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Spielernatur. Menahem Pressler ist Solist des Silvesterkonzerts.
© Holger Kettner

Silvesterkonzert der Philharmoniker: Bei den edlen Wilden

Menahem Pressler spielt Mozart, Simon Rattle dirigiert, Live-Übertragung folgt: das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker.

Wenn man im Jahr nur ein einziges Mal ins Konzert gehen will, dann darf es schon das Silvesterkonzert der Berliner Philharmoniker sein. Das könnten sie glatt eine Woche lang zu deutlich erhöhten Preisen spielen – und vom zusätzlichen Gewinn Karten für Menschen finanzieren, die es sich nie leisten können, dieses fantastische Orchester zu erleben. Nur so als Idee zum Jahresende, wo jeder nach guten Vorsätzen sucht.

Simon Rattle und seine Musiker wissen, wie man ein festlich gestimmtes Publikum nie unter Niveau unterhält. Dazu gehört auch ein Augenzwinkern, wenn der Chef es ordentlich ratteln lässt: Die Ketten versklavter Afrikaner scheppern durch Scharouns Saal und lasten schwer auf dem zum Barockensemble geschrumpften Orchester: Auszüge aus der Ballettoper „Les Indes galantes“ von Rameau eröffnen den Abend – ein Spektakel, in dem der Kontakt zu fremden Kulturen letztlich in amouröses Einvernehmen und gemeinsames Friedenspfeiferauchen mündet. Es dauert etwas, bis die Musiker ganz in der Rolle der edlen Wilden angekommen sind, die Rattle ihnen zugedacht hat. Das Schlagzeug böllert selbstvergessen, schafft aber eine schöne Konzentration für die Stille danach.

In die tritt ganz zart Menahem Pressler. 91 Jahre ist dieser Ausnahmekünstler inzwischen jung, im Januar gab er sein Debüt bei den Philharmonikern, nun beschließt er dieses Musikjahr in Berlin: der gebürtige Magdeburger, den der Nazi-Terror ins Exil zwang, ihm aber nie seine kulturellen Wurzeln nehmen konnte. Pressler, über Jahrzehnte mit dem Beaux Arts Trio ein gefeierter Kammermusiker, hat sich mit Mozarts 23. Klavierkonzert ein geistesverwandtes Werk gewählt. Es beginnt wie nebenbei; eigentlich hat es gar keinen Anfang, gewährt nur Einlass in ein Kontinuum. Der kleine Mann an Klavier klinkt sich wissend in ein Gespräch ein: mit einem Lächeln, einem Augenaufschlag, einem herausfordernden Absenken der Stimme. Er spielt. Das hat Pressler sein Leben lang getan: uneitel, liebevoll, neugierig. Darin offenbart sich eine Natürlichkeit und Weisheit, die seinem Auftritt etwas zutiefst Bewegendes verleiht.

Wie gut, dass diesmal Rattle selbst am Pult steht, der zu schätzen weiß, was Pressler so freigiebig teilt. Traumhaft zart wallt das Adagio zwischen Orchester und Solist auf, nur im finalen Allegro assai muss der Dirigent dämpfend wirken: Pressler war nie ein Musiker der lauten Töne, jetzt fehlt ihm die Kraft der Attacke. Gemeinsam tastet man sich in leisere, nicht minder wache Gefilde.

Natürlich will die geballte Philharmonikerkraft dann auch mal von der Kette: Bei Dvoráks Slawischen Tänzen setzt es eine Extradosis Virtuosität, die sich an die Grenzen dessen vorwagt, was noch fest scheint unter den Füßen. Mürb muss der Klang sein wie ein ausgereifter Wein, der gerade noch die Spannung hält, ehe er sich hinabstürzend ergibt. Kodálys Háry-János-Suite passt nach ein paar Schlucken prächtig dazu: ein Wirtshaus-Schwank um einen Aufschneider, der angibt wie eine Tüte Mücken. Und philharmonischer Souveränität sein Augenzwinkern schenkt.

Noch einmal heute (ausverkauft). Live-Übertragung um 17.25 Uhr im ARD-Fernsehen und im RBB-Kulturradio.

Ulrich Amling

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