Sanierungen der Wagner-Kultstätten: Bayreuth: Halb saniert ist auch geschlossen
Achtung, Baustelle: In der Festspielstadt Bayreuth werden die Richard-Wagner-Kultstätten überholt – und nicht nur sie. Auch das Markgräfliche Opernhaus und die Stadthalle werden umgebaut.
Bayreuth ohne Wagner-Witz, das ist wie Bayreuther Bratwurst ohne Senf. „An Wotans Wunderesche hängt er seine Unterwäsche“, hat ein Spaßvogel am Baustellenzaun vor Haus Wahnfried auf das Foto des US-Soldaten geschrieben, der es sich 1945 im bombenzerstörten Wahnfried an Wagners Flügel bequem macht. Überhaupt geht es hemdsärmelig zu in diesen Tagen in der Wagner-Stadt. Was weniger mit Frank Castorfs hemdsärmeligem „Ring“ im Festspielhaus zu tun hat als mit den Kulturbaustellen Bayreuths.
Das Wagner-Museum samt Archiv in Wahnfried bekommt einen Neubau und eine neue Dauerausstellung. Kosten: rund 18 Millionen Euro. Für die Instandsetzung der 2012 in die Weltkulturerbeliste aufgenommenen Markgräflichen Hofoper stellt das Land Bayern 20 Millionen Euro bereit. Für die Sanierung des Festspielhauses und die Ertüchtigung der Stadthalle zu einem multifunktionalen Kultur- und Tagungszentrum ab 2015 sind je 30 Millionen Euro veranschlagt. Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe rechnet am Telefon vor: Rund 100 Millionen Euro werden hier 2014 ff. in die Kultur investiert. Davon stammen gut 7,2 Millionen aus der Stadtkasse, wovon allein Wahnfried mit fünf Millionen Euro zu Buche schlägt. Der Rest kommt vom Bund, vom Freistaat Bayern, dem Bezirk, der Oberfrankenstiftung und der „Gesellschaft der Freunde Bayreuths“.
7,2 Millionen Euro sind eine beachtliche Summe, wenn man bedenkt, dass die 70.000-Einwohner-Stadt im strukturschwachen Oberfranken liegt und der Kulturetat 2014 nur 4,5 Millionen Euro beträgt. 4,5 Millionen für alles, was hier außer Wagner auch noch Kultur ist, vom Oster-Festival über die „Musica Bayreuth“ und das „Festival junger Künstler“ bis zum rundum erneuerten Jean-Paul-Museum. Zusätzlich werden freie Projekte aus einem Extratopf mit 1,1 Millionen Euro gefördert.
Baustellenbesichtigungen sind gerade der Hit in der Festspielstadt
Wagner-Stadt Bayreuth? 2013 war kräftig geschimpft worden. Ausgerechnet zum 200. Geburtstag des Meisters hatte hier fast alles geschlossen oder bröckelte vor sich hin. Inzwischen macht man aus der Not eine Tugend, Baustellenbesichtigungen sind gerade der Hit am Roten Main. Während man im barocken Holzlogentheater von Markgräfin Wilhelmine den Restauratoren beim Abtragen verdunkelnder Schutzlacke zuschauen kann und auf intermedialen Touchscreens über die illusionistische Bühnenmalerei und die geplante Wiedereröffnung der Hofoper 2017 informiert wird (und über die Anfrage aus China, ob ein bestimmter Langkornreis Wilhelmines Namen tragen darf), spazieren Wagner-Fans aus aller Welt über die Wahnfried-Baustelle.
Im ersten Stock des benachbarten Siegfriedhauses, in dem Winifred Wagner bis zu ihrem Tod 1980 wohnte und ihr Freund Adolf Hitler ein- und ausgegangen war, grüßt eine Wagner-Gipsbüste mit Bauhelm aus dem offenen Fenster. Hier oben sitzt die Museumsverwaltung, sie hat Übung im geduldigen Warten auf die Lösung von Wagner-Problemen. Museums- und Archivleiter Sven Friedrich erklärt es der Besucherin aus der Flughafenskandal-Stadt Berlin so: „Man ist gut beraten, nicht allzu forsch Eröffnungstermine bekannt zu geben. Aber wir werden alles daran setzen, es bis Juli 2015 zu schaffen.“
Bis zur nächsten Festspielsaison soll im einstigen Wohnhaus der Wagners die gründlich überarbeitete Dauerausstellung über Leben und Werk des Komponisten eröffnen, einschließlich einer Schatzkammer mit Originalpartituren. Ein neuer gläserner Flachbau des Berliner Büros Staab Architekten ist für die Geschichte der Festspiele vorgesehen, für Veranstaltungen und Wechselausstellungen. Im Siegfriedhaus soll es um Wagner und die Nazis gehen. Und eine Cafeteria gibt es dann endlich auch.
Über die Gastronomie war es zum Streit gekommen. Ein typischer Wagner-Streit. Vor allem die inzwischen verstorbene Wagner-Urenkelin Iris hatte sich erregt, weil man eine Unterbringung des Cafés im Siegfriedhaus erwogen hatte, wahlweise im Neubau, unweit der Grabstätte Wagners im Garten. Das fand sie respektlos. „Man muss für solch emotional engagierte Äußerungen Verständnis haben“, erklärt der Museumschef. „Wahnfried ist das Elternhaus der Kinder Wieland Wagners und zugleich ein Museum.“
Beim Umbau des historischen aufgeladenen Orts soll kein "Hitler-Eckerl" entstehen
Ärger hatte sich Friedrich mit dem Satz eingehandelt, man könne das Siegfriedhaus „dadurch humanisieren, dass es hier Bayreuther Bratwürste gibt“. Friedrich rückt das zurecht. Warum nicht darüber nachdenken, ob man zur „Vermeidung eines Hitler-Eckerls an diesem historisch aufgeladenen Ort vielleicht eine Gastronomie einrichtet, so wie es am Obersalzberg heute ein Hotel gibt?“ Gleichzeitig war ihm immer daran gelegen, dass sich Wahnfried seiner Vergangenheit als „Bräustüberl für gewisse Ingredienzien der Hitler-Ideologie“ stellt.
So ist es nun auch gekommen. Das Café wandert ins Gärtnerhaus, und das Siegfriedhaus wird Exponate zur Ideologie- und Wirkungsgeschichte beherbergen, „bis zu den Wagner-Deutungen von Adorno, Bloch und Hans Mayer und zu Wagner in Israel“. Friedrich betont, dass all das wegen des begrenzten Raums nur angerissen werden kann: „Wir sind kein Antisemitismus-Museum.“ Seit einem Gespräch mit dem israelischen Historiker Saul Friedländer vor 15 Jahren ist ihm daran gelegen, die Wagner-Geschichte mit einer klaren Haltung zu erzählen, „ohne zu behaupten, das letztgültige Narrativ zu besitzen. Wahnfried ist nicht der Vatikan des Wagnerismus.“
Wie viel Aura muss bleiben, wie viel Aufklärung muss sein? Friedrich erinnert sich gut daran, wie er Haus Wahnfried als junger Wagner-Fan 1984 erstmals betrat: auf Zehenspitzen. Aber „was weg ist, ist weg“, meint der 51-Jährige lapidar. Schließlich ist das Haus zur Hälfte eine Rekonstruktion. Also werden nur Originalmöbel wieder aufgestellt, Verlorenes wird durch weiße Stellvertretermöbel ersetzt, mit Schonbezügen drüber. „Als sei Wagner gerade auf Reisen.“ Auch das original ausgestattete Speisezimmer Winifred Wagners wird erstmals einsehbar sein, abgesperrt mit einer Kordel. „Damit nicht Fotos auf Facebook auftauchen, unter denen steht: Onkel Erich auf dem Stuhl des Führers.“
Der nächste Skandal steht schon bevor.
Die Frage nach der Balance zwischen Ehrfurcht und Erneuerung stellt sich auch oben auf dem Festspielhügel. Zum Beispiel wird die Sanierung des Festspielhauses keine neue Bestuhlung mit sich bringen, wie der kaufmännische Direktor Heinz-Dieter Sense in der „Walküren“-Pause verrät. Die engen Reihen mit den Holzklappsitzen bleiben den Wagnerianern erhalten; auch eine Klimaanlage wird es nicht geben. Kann im 21. Jahrhundert tatsächlich keine Klimaanlage entwickelt werden, die die legendäre Akustik von Wagners Musiktheater unbeeinträchtigt lässt? Oder gehört auch das Schwitzen zur Aura des Orts?
Gerade ist wieder ein Sommerunwetter über Bayreuth niedergegangen, mit Sturmböen und Hagel. Das Haus hält das aus, beruhigt der 74-jährige Musikmanager Sense, den die Berliner aus seiner Zeit als Verwaltungsdirektor der Deutschen Oper kennen. Schwieriger sind extreme Winter. Die unter eleganten Attrappen versteckte Fassade ist beschädigt, Gesims, Dächer, Balkone müssen instand gesetzt werden. Neue Elektroleitungen müssen her, ein Brandschutzkonzept, Sanitäranlagen, Barrierefreiheit. Seit 2009 besteht Handlungsbedarf, im Herbst 2015 soll es endlich losgehen.
Warum um Himmels Willen dauert es auch hier auf dem Hügel so lange? Weil das Gewirr der Verantwortlichkeiten und Eigentumsverhältnisse schier undurchschaubar ist, wie bei allem, was mit Wagner in Bayreuth zu tun hat. Haus Wahnfried zum Beispiel gehört der Stadt, aber der Inhalt des Hauses, Museum und Archiv unterstehen der Wagner-Stiftung, deren Geschäftsführerin die Oberbürgermeisterin ist; im 24-köpfigen Stiftungsrat sitzen neben Vertretern von Bund, Land, Stadt, Oberfrankenstiftung und „Gesellschaft der Freunde Bayreuths“ auch vier Mitglieder der Familie Wagner.
Wann die Sanierung abgeschlossen ist? Da hält man sich zurück
Dass der Stiftung auch das Festspielhaus gehört, welches sie wiederum an die „Bayreuther Festspiele GmbH“ vermietet, macht die Sache nicht einfacher. Die geldgebenden Gesellschafter der GmbH – Bund, Land, Stadt, „Gesellschaft der Freunde“ – wollten aus organisatorischen und fachlichen Gründen, dass nicht die Stiftung, sondern die GmbH als Mieter das Bauvorhaben durchführt, und bestanden auf einen langfristigen Mietvertrag. Im März wurde endlich unterschrieben, 40 Jahre ist er nun gültig.
Ein wenig wurde sogar an der Satzung geschraubt: Fast unbemerkt sind die Festspiele von einem Familienbetrieb in einen Staatsbetrieb umgewandelt worden, 138 Jahre nach ihrer Gründung. „Das ist eine kleine Revolution“, sagt Sense. Und hält sich ebenfalls zurück, was die Fertigstellung betrifft: Weil nur außerhalb der Festspielsommer saniert werden kann, weil man detailgenau planen will, rechnet man auf dem Hügel mit mindestens sieben Baustellenjahren.
Gremien, in denen Mieter und Vermieter in Personalunion sitzen. Komplizierte Mischfinanzierungen. Die Frage, ob bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag nur die zehn Hauptopern Wagners auf dem Hügel gespielt werden dürfen. Merk-Erbe, Friedrich, Sense, viele sind der Meinung, dass auch die Stiftungssatzung weiter saniert werden muss. Aber bislang sind sämtliche Reformideen am Stiftungsrat zerschellt wie Siegmunds Schwert Nothung an Wotans Speer. Der im „Ring“ aber auf Dauer auch nicht hält.
Bauchschmerzen bereitet Friedrich noch etwas anderes. Der Finanzmittelbedarf seines deutlich vergrößerten Hauses wird sich auf etwa 1,3 Millionen Euro verdoppeln. Die Bürgermeisterin hat deshalb schon unzählige Briefe geschrieben, auch an Bayerns Ministerpräsident Seehofer. „Alle Beteiligten sind sich ihrer Verantwortung bewusst“, sagt sie. Nur eine Lösung des Betriebskostenproblems weiß bislang keiner. Bleibt es bei Schriftverkehr und Bemühenszusagen, dann hat Bayreuth nach dem Wagner-Jahr-Debakel von 2013 bald den nächsten Skandal.
Christiane Peitz