Norwegische Literatur: Baustellen am Fjord
In Oslo trafen sich norwegische und deutschsprachige Schriftsteller in Vorbereitung auf den Gastlandauftritt Norwegens bei der Frankfurter Buchmesse.
Es ist ein eigenartiges Erlebnis, einmal direkt zwischen zwei Schriftstellergrößen wie dem Norweger Erik Fosnes Hansen und dem Österreicher Christoph Ransmayr zu sitzen. Und dann zu verfolgen, wie die beiden sich versuchen zu unterhalten. Ransmayr, schlank, braun gebrannt, mit Schnauzer und langen, nach hinten gekämmten grauen Haaren, erklärt gerade, was es mit dem Trend zu den Siebentausender-Bergen auf sich hat, dass diese von den Bergbesteigungscracks verstärkt in Angriff genommen würden, als der stämmige, ebenfalls irgendwie noch langhaarige Fosnes Hansen zu ihm sagt, sie hätten sich lange nicht gesehen, sie müssten sich unbedingt mal wieder treffen.
Ransmayr findet das auch – beide Autoren haben sich schließlich schon kennengelernt, als sie in den neunziger Jahren mit ihren Romanen „Der Schrecken des Eises und der Finsternis“ (Ransmayr) und „Choral am Ende der Reise“ (Fosnes Hansen) über ihre Heimatländer hinaus berühmt wurden. Aber der österreichische Schriftsteller fährt unvermindert in seiner Erzählung fort und erklärt, dass dieser Siebentausender-Trend eine ganze Industrie am Leben erhalte und mit neuen Produkten und Erkenntnissen versorge. Was wiederum Fosnes Hansen nicht weiter stört. Er unterbricht Ransmayr oder ergänzt ihn, insbesondere mit Hinweisen auf seine Ehefrau, die Autorin Erika Fatland. Die sei im Moment in den Ländern des Himalaja-Gebiets unterwegs, in Afghanistan, Pakistan, Indien, China, Nepal und Myanmar. Nur für Bhutan habe sie keine Einreisegenehmigung bekommen. Überhaupt ihre Bücher: Fatland habe ja seinerzeit über ihre Reise an der 20 000 Kilometer langen russischen Grenze ein Buch geschrieben, so Fosnes Hansen, „Die Grenze“, auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen. Und auch über die durch mehrere ehemalige Sowjetrepubliken wie Turkmenistan und Kirgistan, ebenfalls auf Deutsch erhältlich, es heißt „Sowjetistan“.
Maja Lunde, Jo Nesbø, Anne Holt oder Karl Ove Knausgård kommen regelmäßig zu Bestsellerehren
So geht es hin und her zwischen Ransmayr und Fosnes Hansen, mal gänzlich ungeachtet, mal durchaus unter mimischer Einbeziehung der anderen Menschen, die an diesem Sonntagabend im Restaurant Lorry in Oslo mit am Tisch sitzen. Darunter ist auch die junge Schriftstellerin Maria Kjos Fonn, die das alles seltsam befremdlich findet. Ob die beiden Herren einander zuhören, auf ihr Gegenüber eingehen können?
Zumindest Fosnes Hansen hatte das am Tag zuvor professionell gemacht, als er Ransmayr moderierte: in Oslos vierstöckigem Literaturhaus, dem größten Europas, gelegen in Sichtweite des norwegischen Königshauses und des Schlossparks. Er bereitete hier seinem österreichischen Kollegen zusammen mit dessen norwegischem Übersetzer Sverre Dahl die Bühne, und zwar im Rahmen des norwegischen Literaturfestivals. Die Idee dazu kam von Fosnes Hansen, und organisiert vom Goethe-Institut, der Willy-Brandt-Stiftung und einigen norwegischen Verbänden fand das Festival an diesem letzten April-Wochenende erstmals statt.
Nun stellt sich die Frage: ein deutsch-norwegisches Festival, in dessen Mittelpunkt viele deutschsprachige Autoren und Autorinnen stehen, so wie Simon Strauß, Olga Grjasnowa, Jakob Hein, Bettina Wilpert, Ferdinand von Schirach oder Judith Hermann? Ist nicht Norwegen im Herbst zu Gast bei der Frankfurter Buchmesse? Schaut die Welt der Literatur nicht gerade auf dieses skandinavische Land und seine Autorinnenschaft?
Erik Fosnes Hansen jedoch kann in der ihm eigenen Eloquenz und nicht zuletzt in einem fast perfekten Deutsch erklären – er hat zwei Jahre in Stuttgart studiert –, dass mit Autoren wie Böll, Lenz oder Grass die deutschsprachige Literatur in Norwegen einst hoch im Kurs stand. Nur habe sich das in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr geändert, das Interesse sei lange nicht mehr so groß. Was sich gerade in diesem Jahr auffällig zeigt, nicht nur weil Maja Lunde, Jo Nesbø, Anne Holt oder Karl Ove Knausgård regelmäßig zu Bestsellerehren in Deutschland kommen. Wegen des Buchmessenauftritts werden gleich 280 Bücher aus dem Norwegischen ins Deutsche übertragen. Dem gegenüber stehen keine zwanzig Übersetzungen aus dem Deutschen ins Norwegische.
In dieses Bild passt, dass auch Ransmayrs Bücher keine Selbstläufer sind. Seine beiden Erfolgsbücher „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ und „Die letzte Welt“ sowie der Roman „Morbus Kithara“ wurden übersetzt, mehr aber nicht. Ransmayrs jüngsten, 2016 erschienenen Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“ hat nun Sverre Dahl auf eigene Initiative und Kosten übersetzt, um danach einen Verlag dafür zu suchen. Der Pelikanen Verlag wird den Roman veröffentlichen, vielleicht im Herbst, vielleicht auch erst 2020. Pelikanen ist jener Verlag, den Karl Ove Knausgård 2010 zusammen mit seinem Bruder Yngve gegründet hat und in dem neben viel junger norwegischer Literatur vergangenes Jahr auch Simon Strauß’ Debüt „Sieben Nächte“ auf Norwegisch erschien oder zuvor Bücher von Peter Handke oder Christian Kracht.
Vigidis’ Roman "Bergljots Familie" wurde in Norwegen über 150 000 Mal verkauft.
Norwegen jedenfalls, das zeigt diese Ransmayr-Übersetzungsgeschichte, ist sich literarisch gerade selbst gut genug. So bleibt es in diesen Tagen des Literaturfestivals offen, ob die Veranstaltungen nun wegen Ferdinand von Schirach oder Simon Strauß so überraschend voll sind oder weil sie von der in Norwegen sehr etablierten 1959 geborenen Schriftstellerin Vigidis Hjorth oder im Fall von Strauß von dem 1976 geborenen Autor Simon Stranger moderiert werden.
Hjorth hatte zuletzt mit ihrem autofiktionalen Roman „Arv og miljø“ (auf Deutsch im Osburg Verlag unter dem Titel „Bergljots Familie“ erschienen) über Erbstreitigkeiten in ihrer Familie und den Missbrauch durch ihren Vater, als sie ein Kind war, für viel Aufsehen gesorgt. Dieses verstärkte sich noch einmal, als ihre jüngere Schwester Helga als Antwort darauf ebenfalls einen Roman veröffentlichte, eine gewissermaßen autofiktionale Gegendarstellung dazu. Vigidis’ Roman wurde in Norwegen über 150 000 Mal verkauft.
Auch Simon Stranger ist schon länger eine bekannte Größe. Für seinen Ende August auch auf Deutsch im Eichborn Verlag erscheinenden Roman „Das Lexikon über Licht und Dunkel“ erhielt er vergangenes Jahr den Norwegischen Buchhändlerpreis. Der Roman handelt von einem norwegischen Doppelagenten, der mit den Nazis zusammenarbeitete, und erzählt überdies vom Schicksal einer jüdischen Familie, die nach dem Krieg ausgerechnet in das Hauptquartier dieses Agenten zog; ein Haus, das für Norwegen symbolisch für die Grausamkeiten der Besatzung war.
Bei so vielen einheimischen Stars, man könnte zum Beispiel noch Hanne Ørstavik nennen, ist es kein größeres Wunder, dass auf dem Festival nur wenig von einem der auch international bekanntesten Autoren des Landes die Rede ist: Karl Ove Knausgård. Man hört am Rande, dass Knausgård einer der Eröffnungsredner in Frankfurt sein wird und vorher in Düsseldorf noch die Munch-Ausstellung eröffnet, die er selbst kuratiert hat. Und man hört auch, dass er nicht mehr in Malmö lebe, sondern in London und dort eine neue Freundin und mit dieser wieder ein gemeinsames Kind habe. Ein bisschen scheinen viele Norweger und Norwegerinnen von ihm genervt zu sein: Knausgård ist nun einmal der Schriftsteller, dessen Bände der „Min Kamp“-Reihe inzwischen in den Buchhandlungen der Bahnhöfe und Flughäfen über denen von Comics, Heftchen mit Lippenstiften und Hello-Kitty-Artikel platziert werden.
Das neue Munch-Museum wird im Jahr 2020 eröffnet
Viel lieber erzählen sie Geschichten über einen ihrer großen postmodernen, avantgardistischen Autoren, über Dag Solstad. Der gilt als uninterviewbar und ist selbst auf norwegischen Bühnen oft kaum zu verstehen, so sehr verweigert sich der inzwischen 77-jährige dem Betrieb. Oder über Per Petterson, der sich wegen seiner Schüchternheit nur ungern öffentlich zeigt, von vielen aber viel mehr verehrt wird als beispielsweise Knausgård. Oder sie erzählen auch, wie sie sich auf die neue Bibliothek freuen, die sich noch im Bau befindet, direkt zwischen dem Hauptbahnhof und der raumschiffförmigen Oper mit ihrem Marmordach, einem anderen Prunkstück von Oslos Innenstadt. Auf knapp drei Millionen Besucher jährlich hofft Direktorin Merete Lie, wenn die Bibliothek 2020 eröffnet wird.
Überhaupt wirkt Oslo dieser Tage wie eine Großbaustelle. 2020 ist erst das Jahr, in dem vieles in ganz neuen Glanz erstrahlen soll: das Ibsen-Museum, das kulturhistorische Museum, vor allem aber das neue Munch-Museum in der neuen Hafenstadt Bjørvika. Dieses wird das für das riesige Werk von Edvard Munch viel zu kleine Museum in dem etwas außerhalb des Zentrums gelegenen Stadtteil Tøyen ersetzen. Entworfen von dem spanischen Architekten Juan Herreros, soll dieses neue Museum 13 Stockwerke haben und 2000 Munch-Werke immer gleichzeitig zeigen können; darunter, so ist es geplant, im 5. und 6. Stockwerk die Klassiker der Sammlung wie „Madonna“, „Vampir“ und natürlich eine der beiden sich im Besitz des Museums befindlichen Versionen von „Der Schrei“.
Viele seiner Bilder seien weniger mit einer malerischen, sondern vielmehr auch einer literarischen Bedeutung aufgeladen, hat Karl Ove Knausgård.einmal über Munch geschrieben. Und tatsächlich, die vielen Baustellen hin, das Literaturfestival mit den vielen Autoren und Autorinnen aus dem deutschsprachigen Raum her, steht gerade alles im Zeichen des Lesens und der Literatur in Norwegens Hauptstadt.