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Verdamp lang her. Frontmann Niedecken spielt unplugged.
© Davids

BAP unplugged in Berlin: Bäuche streicheln

Zerbrechliche Urgewalt: Wolfgang Niedeckens BAP im Tempodrom

Dies ist also etwas Besonderes. Das stand schon in den Ankündigungen, das betont nun auch der Sänger immer wieder. Man habe das lange vorgehabt mit einer Unplugged-Tour, aber es habe halt nie gepasst, erzählt ein aufgeräumter Wolfgang Niedecken am Freitagabend einem Tempodrom, das, wie die Frau im Kassenhäuschen angehalten ist mitzuteilen, mit 3000 Leuten ausverkauft ist. Was man drinnen nicht unbedingt sieht. Da ist schon noch die ein oder andere Lücke im Rund, das ein bisschen zu groß ist für etwas, was als „akustisch und nah“ annonciert ist. Aber gut, Tour-Auftakt, große Gästeliste, das kennt man ja, und auch, dass dann ganze Sitzreihenbesatzungen im VIP-Bereich hängen bleiben. A propos Sitzreihen: „Bestuhlt“ steht auf den Flyern. Wenn man sich das schon vor Konzertbeginn auf sanfte Weise wohlgelaunte Publikum – überwiegend Fiftysomethings, viele erkennbar miteinander alt gewordene Paare – so ansieht, ist das eine durchaus sinnvolle Zielgruppenansprache. Wer möchte schon mit Knie-Arthrose über drei Stunden Konzert im Stehen erdulden? Und apropos drei Stunden: Ja, bei BAP kriegt man was fürs Geld!
Aber was genau kriegt man bei dieser „BAP zieht den Stecker“-Tour, die ja – es kann an diesem Abend offenbar nicht oft genug gesagt werden – ein Experiment ist, ein Wagnis? Musikalisch wird der übliche „Unplugged“-Standard aufgefahren, eine Abwandlung also des Band-Oeuvres für Instrumente, die auch ohne Verstärkung klingen würden: Geige statt E-Gitarre, allerhand perkussives Gedöns – musikalisch perfekt, aber ein bisschen farb- und seelenlos. „Niedeckens BAP“, wie es unter dem Bild des Meisters (ohne Band) auf dem Tourplakat steht, ist ja schon lange eher eine Profimusiker-Combo um Niedecken und hat mit der einstigen Band BAP nur noch wenig zu tun. Dass für die Unplugged-Variante nun noch Ulrich Rode (diverse Zupfinstrumente), Anne de Wolff (Geige, Mandoline, Harmonium, Posaune) und Rhani Krija (Percussion) dabei sind, macht diese Gruppe musikalisch noch einmal besser, aber eben auch austauschbarer.

Fast schon angenehm erscheint es da, dass der Ritt durch fast 40 Jahre Band-Geschichte – das älteste Lied ist die Gastarbeiter-Hymne „Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg“ von 1976 – von durchaus wechselvoller Qualität ist. Auch dies wie bei vielen Unplugged-Sessions großer Bands: Auf der einen Seite stehen Songs, die wie etwa der charmant orientalisierte „Novembermorje“ durch die Bearbeitung neue Facetten offenlegen. Auf der anderen Seite gibt es Lieder wie „Rita, mir zwei“ oder auch, allerdings nach einem ambitioniert-stillen Beginn mit Kontrabass und Blues Harp, „Verdamp lang her“, die eher uninspiriert, als Schwundstufe echter krachender Rockmusik, durchgestampft werden wie eh und je, nur eben: ohne E.
Doch darum geht es hier natürlich eigentlich überhaupt nicht, ebenso wenig darum, ob es für das Publikum nicht doch noch etwas mehr aus dem in Deutschland weltbekannten Frühwerk der Band hätte sein dürfen statt einer Reise durch deren gesamte Geschichte, die irgendwann so verzeihlich verflacht wie dieser lange Abend für den Nicht-Fan. Es geht natürlich um diese Urgewalt Niedecken, die jetzt, zerbrechlich geworden durch den Schlaganfall im Jahr 2011, fast noch größer ist als je. Wie der stetig pendelt zwischen angeberischen Ansagen (mit wem er schon alles spielen durfte) und zarten Liedern, umflossen von einer Sprache, die mit solcher Selbstverständlichkeit ja kaum noch jemand spricht, das macht schon sehr milde und nachgiebig. Da vergibt man dann auch, dass das zunehmend außer Rand und Band geratende Publikum jede Möglichkeit nutzt, um aufzuspringen und in Marschtakt-Geklatsche zu verfallen. Es hört ja dann auch wieder auf. Und wer einmal gesehen hat, wie sich gemeinsam alt gewordene Fiftysomethings verträumt zu „Do kanns zaubere“ im blauen Licht der Zugabe wechselseitig die Bäuche streicheln, weiß, was Frieden ist.

Johannes Schneider

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