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Berlin: Der Rückkehrer

Neue CD, 60. Geburtstag, Biografie: Voriges Jahr war einiges los bei Wolfgang Niedecken. Bis ihn ein Schlaganfall stoppte. Jetzt ist er wieder da.

Darüber sprechen will er, klar. Der frisch gebackene „Echo“-Preisträger Wolfgang Niedecken weiß nur zu gut, dass es bei seinen Werbeterminen für die im Mai startende Tour von BAP nicht um Musik oder Mundart, sondern nur um die Gesundheit des Frontmanns, nur um ihn ganz persönlich geht. „Ich informiere jetzt mal flächendeckend durch“, sagt er, was seltsam technisch aus dem Mund eines Mannes klingt, der dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen ist. Doch sentimentales Gesäusel war noch nie Niedeckens Art. Er sieht gut aus, so ganz in Dunkelblau gekleidet, mit diesem dunklen Kinnbart, den er seit seiner Wiederkehr auf die öffentliche Bühne hat. Ein charismatischer Mann, vorn auf der Sesselkante hockend, ganz dem Augenblick zugewandt.

Der Veranstalter der ursprünglich für November geplanten und nun nach Niedeckens Genesung nachgeholten Tour „Volles Programm“ hat in seine Büros am Lützowplatz geladen. Auch in Fernsehgesprächsrunden hat Niedecken schon gesessen, ja sogar im vergangenen Dezember – vier Wochen nach dem Schlaganfall und noch von Wortfindungsproblemen gezeichnet – bereits ein erstes Interview gegeben. Da bekommt man langsam ein bisschen Angst, dass der Inbegriff des aufrechten Rockmusikers zu einem dieser Talkshowgespenster mutieren könnte, die überall herumziehen, um publicitywirksam über ihr Überleben zu plaudern. Niedecken prustet los. „Auf keinen Fall! Ich habe absolut keine Lust, als der in die Geschichte einzugehen, der den Schlaganfall überlebt hat. Wenn überhaupt, dann lieber als einer, der ein paar ordentliche Rocksongs geschrieben hat.“ Also kommt vom ihm kein Schlaganfall-Buch wie das von Komikerin Gaby Köster? „Nein!“ Und warum dann das viele, schließlich immer auch Voyeurismen bedienende Reden über seine Krankheit? „Weil ich schon selber von mir erzählen will und nicht der „Bild“ überlassen, irgendwelche Mutmaßungen als Tatsachen auszugeben. So geht wenigstens nur so viel an die Öffentlichkeit, wie hingehört.“ Außerdem habe er früh das Gefühl gehabt, den Leuten sagen zu müssen, dass es ihm wieder besser gehe. „Weil sie sich so unglaublich beunruhigt haben.“

Die Anteilnahme der Fans, auch vieler Berliner übrigens, der Branche und des ganzen Landes hat Niedecken spürbar überwältigt – im Guten wie im Schlechten. Mit im Gebüsch hockenden Paparazzi etwa hatte es Deutschlands berühmtester Kölschrocker, der am vorigen Wochenende in Marrakesch seinen 61. Geburtstag feierte, seit 30 Jahren mit BAP erfolgreich ist und außerdem noch als bildender Künstler, Politaktivist und Familienvater tätig, vorher noch nicht zu tun.

Seit vergangenem Jahr ist das anders. Da gab es erst freundliches Aufsehen zum Erscheinen des BAP-Albums „Halv su wild“ und der zum runden Geburtstag veröffentlichten, alsbald zum Bestseller avancierten Autobiografie „Für ’ne Moment“. Und dann kam der landesweite Schreck, als er am 2. November in die Kölner Uniklinik eingeliefert wurde. Unfähig zu sprechen und mit einem vom Schlaganfall entstellten Gesicht, aus dem die Seele gewichen war, wie seine Frau, die Fotografin Tina Niedecken, es beschrieben hat.

„Ich hatte Todesangst“, sagt Niedecken schlicht und wie er da so sitzt oder neulich bei der Echo-Verleihung unterm Funkturm auf der Bühne stand, als sei nichts geschehen, ist förmlich greifbar, wie viel Glück der Mann hatte. Das Blutgerinnsel, das sich nach einem Husten in der Halsschlagader hinter seinem Ohr gebildet hatte und ins Gehirn wanderte, konnte entfernt werden. Die Rehabilitation hat er zu Hause absolviert, seit Ende Februar ist sie abgeschlossen.

Und obwohl alles noch mal gut gegangen ist, spürt Niedecken, der sich vorher nie groß mit seiner Endlichkeit beschäftigt hat, sehr wohl einen Einschnitt. Er hat eine Patientenverfügung gemacht, sein im Getriebe des Jubiläumsjahres vernachlässigtes Radfahren am Rhein wieder eingeführt, den Tour- und Lesungsplan luftiger organisiert. Er sei einfach noch mal eingenordet worden, sagt er und dass man mit 61 nicht mehr so leben könne wie mit 20. „Das heißt aber nicht, dass ich jetzt nur noch mit dem geistigen Rollator durch die Gegend ziehe, also immer Gott weiß wie aufpasse und nichts mehr wage. Natürlich spiele ich jedes Konzert, bis ich nicht mehr kann.“

Nie ein Berufsjugendlicher gewesen zu sein, empfindet Niedecken sichtlich als Segen. Er braucht diesen Imagequatsch und das Nachdenken darüber, ob ein Schlaganfall unhip ist nicht, sagt er. Obwohl – bei seinem Lieblingsgitarristen Keith Richards – macht er eine Ausnahme. „Wenn der von der Palme fällt, statt so was Prosaisches wie einen Herzanfall zu kriegen, ist das lustig und passt zu ihm. Aber ich stehe nun mal mitten im Leben und laufe nicht rum wie ein Piratenkapitän.“

Der Verdacht, dass der Echo-Preis für das Lebenswerk ein Trostpflaster der Musikindustrie für den Schicksalsschlag gewesen sein könnte, ist ihm selbst auch schon gekommen. Die Plattenfirma hat’s aber mit Nachdruck verneint und Niedecken freut sich so oder so drüber. Er hat absolut nicht damit gerechnet. „BAP ist und bleibt eine Albumband, ganz old school. Ich bin Künstler und kein Radiodienstleister, einer von den letzten Mohikanern.“ Spricht’s und sieht dabei gegenwärtig statt gestrig aus. Er sei noch entspannter als früher, sagt Wolfgang Niedecken und dass die Gelassenheit mit dem Alter wächst, zumindest solange der Erfolg nicht wegläuft. Er jedenfalls ist immer noch da.

Columbiahalle, 23. Mai, 20 Uhr, 42 Euro

Gunda Bartels

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