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The Painted Bird, das sind von links: Christian Dawid, Daniel Kahn, Hampus Melin und Michael Tuttle. Vorne: Kahns Hund Shmonik.
© Esra Rothoff/Promo

Musiker Daniel Kahn im Porträt: Banditen aus dem Jiddisch-Land

Ob im Maxim Gorki Theater oder beim Festival Shtetl Neukölln: Daniel Kahn und seine Band The Painted Bird feiern ihren ganz eigenen Klezmer-Mix. Eine Begegnung.

Auch das noch. Der Spaniel ist krank. Womöglich ist eine Operation nötig, je nachdem, was der Tierarzt gleich sagt. Daniel Kahns Anruf klingt aufgeregt. Das überrascht jetzt ein bisschen. Der bärtige Hutträger wirkt auf der Bühne und seinem jüngsten Album wie ein ziemlich cooler Hund. Oder, damit jetzt mal Schluss mit Vierbeinern ist, wie ein Songwriter, der nur wegen der Dummheit der Menschen ernsthaft aus der Ruhe, ja in heiligen Zorn gerät.

Nicht von ungefähr hat Daniel Kahn seinem von Konsum- und Kapitalismuskritik strotzenden Album-Titelsong „The Butcher’s Share“ den weiland schon von Bertolt Brecht adaptierten Politslogan vorangestellt: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber.“ Und neulich bei den Radikalen Jüdischen Kulturtagen im Maxim Gorki Theater wurden er und seine Band The Painted Bird als „radikale Banditen des Grenzlandes Jiddish-Punk“ vorgestellt.

Beim Konzert mit dem ebenfalls einen seiner Songs zitierenden Titel „Freedom is a Verb!“ begrüßt der Bandleader das von Theaterchefin Shermin Langhoff munter zum Mittanzen aufgeputschte Publikum eingangs noch artig mit „Schalom Alechem“, um dann mit Michael Tuttle am Kontrabass, Hampus Melin am Schlagzeug, Christian Dawid an der Klarinette und einem Haufen befreundeter Gastmusiker so richtig aufzudrehen. Er selber singt und spielt neben dem Akkordeon auch Klavier und Gitarre. Und am Ende weiß der ganze Saal, dass die jiddische Musiktradition lebt.

Polkas, Arbeiterlieder, Balkanpop, Klezmer

Kahns fünfte Platte mit The Painted Bird ist ein raues, mal in wilden Polkas davonrumpelndes, mal in zeitgemäß arrangierten Arbeiterliedern agitierendes Album. Musikalische Assoziationen sind Theatermusik, Balkanpop, die lyrischen Balladen von Tom Waits und Leonard Cohen oder Pete Seegers Politfolk, wobei auch gleich ein paar Hausheilige des Sängers genannt sind. Klezmer, die Volksmusik der aschkenasischen, also aus Nord-, Mittel- und Osteuropa stammenden Juden, ist der Oberbegriff, der Kahns auf Englisch, Jiddisch und Deutsch gesungene Lieder als mal prägende, mal nur zart zitierte Klangfarbe zusammenhält. Logisch, dass einer wie er – 39 Jahre alt, geboren in Detroit und nach Stationen in New Orleans und New York nun seit 2005 in Berlin ansässig – die jiddische Kultur und ihre Musik nicht als museale Tradition, sondern als geschmeidige Grundlage für den eigenen Stil versteht. Dass er sein Jiddisch erst in Berlin gelernt hat, merkt man weder den Moderationen noch seinem Gesang an. Nur die betonte Diktion verrät, dass hier einer die Sprache spricht und singt, die er sich als Spätberufener mit Bedacht gewählt hat.

Beim Treffen in Daniel Kahns Neuköllner Nachbarschaft erzählt er, dass Jiddisch seinen Wortschatz aus zwanzig Sprachen bezieht. Und dass trotz der Vernichtung der osteuropäischen Schtetl-Kultur durch die Nationalsozialisten auch heute von Amsterdam über Jerusalem bis New York mehr als eine Million Menschen die Sprache sprechen. Das tut offensichtlich auch Kahns Hund, der wieder hergestellt unter dem Tisch sitzt. Er hört auf den Namen Shmonik.

Jiddisch sei eine Weltkultur, sagt der Musiker, „globalisiert, urban, progressiv und durchaus säkular“. Letzteres gilt für ihn wie für viele der in den letzten zehn Jahren nach Berlin gezogenen Künstler aus Israel, Nordamerika oder Russland. Sie empfinden sich als Juden und machen Berlin in einem glücklichen Akt später historischer Genugtuung zur am schnellsten wachsenden jüdischen Gemeinschaft der Welt, aber religiös sind sie deswegen nicht unbedingt. Dafür aber kulturell umso bewegter, wovon im Oktober, November und nun im Dezember allein vier Festivals erzählen. Neben den 30. Jüdischen Kulturtagen der Jüdischen Gemeinde existieren mittlerweile das 2015 gegründete ID Festival für deutsch-israelische Kultur im Radialsystem V, die Radikal Jüdischen „Anti-Kulturtage“ am Maxim Gorki Theater, wo Daniel Kahn als Hausmusiker, Komponist und Schauspieler auch sonst an diversen Produktionen beteiligt ist – und im zweiten Jahr nun auch das von ihm mitgegründete Shtetl Neukölln in der Werkstatt der Kulturen unweit des Hermannplatzes.

„Wir feiern einfach die jiddische Kultur.“

Hervorgegangen ist es aus den „Klezmer Sessions“, die eine polyglotte Community seit ein paar Jahren in der Neuköllner Kneipe Oblomov veranstaltet. Bei Shtetl Neukölln lässt sich diese Berliner Musikszene von Donnerstag bis Sonntag der kommenden Woche in Workshops zu jiddischem Lied und Tanz, in Konzerten und einer Klezmer-Tanzparty erleben.

Das habe weder was mit Vergangenheitsbewältigung noch mit Religion zu tun, sagt Daniel Kahn. „Wir feiern einfach die jiddische Kultur.“ Die ohne religiöses Fundament aber wiederum undenkbar ist. Das Konzert am Freitagabend heißt „Shabes Bazingen“ und läutet gewissermaßen den Schabbat ein. Berlin ist ein wichtiger Treffpunkt für die aus Australien, Skandinavien, Nordamerika oder Osteuropa stammenden Musiker und Künstler. Und doch habe die jiddische Kultur seit der Schließung des Hackeschen Hoftheaters 2006, wo Karsten Troyke und sein Trio Scho regelmäßig auftraten, kein festes Zuhause mehr, bedauert Daniel Kahn. Also sucht sich die wachsende Mischpoke Kneipenhinterzimmer und Festivals als Auftrittsmöglichkeit. Beispielsweise den Yiddish Summer Weimar, ein interkulturelles Festival, das der ebenfalls aus den USA stammende Teilzeit-Berliner Alan Bern leitet, der kommenden Sonntag auch bei Shtetl Neukölln spielt.

All diese Orte, diese Aktivitäten sind Ausdruck einer geistig-kulturellen Heimat oder – wie es Daniel Kahn nennt – des „Jiddisch-Landes“, das die um den Erdball reisenden Künstler in Gestalt ihrer Tradition mit sich tragen. Sie ist so altehrwürdig wie zersplittert. „Es gibt keine jüdische Kultur, es gibt nur jüdische Kulturen“, differenziert Daniel Kahn, dessen Urgroßvater aus Königsberg stammt. Auch das hat sein ungläubiger Urenkel erst herausgefunden, seit er in Europa lebt. Als Teil einer künstlerischen Graswurzelbewegung, die zur neuen Neuköllner Mischung ebenso passt wie zum Kosmos Maxim Gorki Theater.

Sein politisches Statement zur Stunde, den Song „Freedom is a Verb“ hat er dort auch zur Eröffnung der Intendanz von Shermin Langhoff gesungen, mit der er schon am Ballhaus Naunynstraße zusammengearbeitet hat. In den USA habe sich mal bei einer Umfrage herausgestellt, dass Freiheit für alles etwas anderes bedeute, sagt Daniel Kahn. „Die Weißen beschreiben sie als etwas, dass man besitzt und verteidigen muss. Die Schwarzen als etwas, wonach man streben, wofür man dauerhaft kämpfen muss.“ Er teilt das letztere Konzept und musiziert für eine gerechtere Welt, gegen Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus.

Ob ihm der im heimischen Neukölln schon begegnet ist? Khan nickt gelassen. „Er ist ein Teil der Luft.“ Auch an dem Haus, in dem er lebt, tauchen seit seinem Einzug immer mal wieder Hakenkreuze auf. Doch einer wie er fürchtet Traditionen nicht, er schreibt sie um.

„The Butcher’s Share“ ist bei Oriente Music erschienen. Shtetl Neukölln, 14. –17. 12., Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32, Daniel Kahn & The Painted Bird: Fr 15.12., 20 Uhr

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