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Christoph Franken in der Titelrolle
© Eventpress Hoensch

Stefan Pucher inszeniert Brecht am Deutschen Theater: Baal ist Qual

Stefan Pucher inszeniert in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Bertolt Brechts "Baal" - und versetzt die Geschichte vom egomanischen Triebmenschen in eine seltsam gestrige Zirkuswelt

Brecht war gerade einmal 20 Jahre jung und altklug, als er diesen Typen schuf, der Erste Weltkrieg war kaum zu Ende. Baal hat ihn sein ganzes Leben begleitet, seine Existenz kommentiert, bis in die finsteren Fünfzigerjahre in Ost-Berlin. Dieses autobiografische Monster, der Künstler mit dem Ego, das in keinen Salon und keinen Körper passt, dieser Dauerrausch und -kater auf zwei Beinen. Alles, was Baal macht, wird zum Klischee. Jede Rebellion, jeder Exzess liefert sogleich den Beweis seines gesellschaftlichen Gegenteils. Das ist Brechts Sex and Drugs and Rock 'n' Roll: Schicksal der Pop-Kultur. Ausschweifung ist eine Frage der Ausdauer. Und des Marketings.

Alles gelaufen, alles sicher verstaut in der Erinnerung einer Gesellschaft, die allerdings immerzu giert nach Baal und Fanal. Und so zeigt sich Stefan Puchers Inszenierung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters von Anfang an als Karikatur. Christoph Franken – warum muss Baal immer ein Dicker sein, und Exhibitionist? – sagt seinen großen Choral brav auf, so wie man früher in der Schule auswendig gelernte Gedichte vor der Klasse ablieferte. Natürlich Fontane, Schiller, Goethe. Brecht eher nicht. Und den Geier-Vögler Baal schon gar nicht, der stand nicht auf dem Lehrplan.

"Baal": Ein Trupp verirrter Joker auf der Suche nach ihrem Stück

Man sieht es gleich: Dieser Kerl im Opernkostüm glaubt gar nicht an seine übermenschlichen Kräfte, hat schon verloren, ehe die Leute sich das Maul zerreißen über sein Benehmen. Der hat hier seine wilde Zeit längst hinter sich, das sind nur Posen. Jeder hergelaufene Rapper haut mehr Ekel, Wut und Menschenverachtendes raus als Baal, Berlin, im Dezember 2014.

Es herrscht eine traurige Backstage-Atmosphäre in dem Bühnenbild von Barbara Ehnes. Oben hat Baal seinen Ausguck, es gibt drehbare Apparate und Podeste – ein seltsames Zirkus-Etablissement, in dem vier Schauspieler/Clowns (Anita Vulesica, Daniel Hoevels, Tabea Bettin, Felix Knopp) zwei Dutzend Rollen markieren. Dazu bedient Michael Mühlhaus die Hammond-Orgel. Einmal stecken sie in 20er-Jahre-Figurinen à la Schlemmer (Kostüme: Annabelle Witt), ein andermal sind sie blutig geschminkt wie Heath Ledger in „The Dark Knight“, dem Batman-Film. Ein Trupp verirrter Joker auf der Suche nach ihrem Stück.

Im besten Moment kratzt Stefan Pucher ein "Lulu"-Gefühl raus

Stefan Pucher, das ist nichts Neues, tastet die Oberflächen der Stücke und Stoffe ab, die er auf die Bühne bringt; diesmal mit eher spärlichem Einsatz von Elektronik. Dabei kratzt er in den besten Momenten ein „Lulu“-Gefühl heraus; Bertolt Brecht neigt sich in seinem frühen Stuck durchaus zu Frank Wedekind hin. Baal und Lulu, die Triebmenschen, Zerstörer und Selbstzerstörer, dringen vor in leere Räume absoluter Freiheit, wo die Luft nach Tod schmeckt. Das bleiben kurze Anflüge, der knapp zweistündige Abend tut nicht weh. Keine Toten, keine Verletzten, nicht wirklich. Aber es tut weh, ein Stück wie „Baal“ in historische Ferne gerückt zu sehen. Weit weg.

Nun muss man fairerweise sagen, dass Brecht mit seinem Geschöpf ewig gekämpft hat. Die Uraufführung war 1923 in Leipzig ein Skandal. Später wollte B. B. Baals anarchistischen Charakter sauber marxistisch aushebeln, um in seinen letzten Lebensjahren wieder zum Ausgang zurückzukommen, zum Genussmenschen um jeden Preis. Baal ist Qual, so oder so. Wenn er den „lyrischen Dichter“, wie er ihn stolz und höhnisch nannte, durch den dramaturgisch-materialistischen Fleischwohl drehte, übte der Dramatiker Selbstkritik. Bei Stefan Pucher endet die Moritat in Ratlosigkeit. Wahrscheinlich sind wir alle ein bisschen wie Baal, aber wir trauen uns nicht. Wir reflektieren uns zu Tode. Und das schließt leider auch das Theater ein.

Wieder am 1., 12. und 26. Dezember.

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