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Kreislauf des Lebens. Szenen aus "jedermann (stirbt" von Ferdinand von Schmalz, mit dem die Autorentheatertage eröffnet werden.
© Georg Soulek/Burgtheater

Mit Rebekka Kricheldorf, Thomas Köck und anderen: Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin

Am Deutschen Theater Berlin eröffnen die Autorentheatertage. Im Trend: Klassiker umschreiben und düstere Dystopien entwerfen.

Wenn das Berliner Deutsche Theater an diesem Dienstag die Autorentheatertage mit „jedermann (stirbt)“ eröffnet, liegt es wirklich voll im Branchentrend. Denn der Gegenwartsdramatiker Ferdinand Schmalz aktualisiert hier – wie der Titel unschwer erahnen lässt – finanzkapitaltechnisch wasserdicht den über hundert Jahre alten Hugo-von-Hoffmannsthal-Gassenhauer „Jedermann“. Und die so genannte Überschreibung kanonischer Texte hat absolute Betriebskonjunktur. Auch jenseits von Schmalz’ „Jedermann“-Variation, die in Stefan Bachmanns kongenialer Ur-Inszenierung vom Wiener Burgtheater nach Berlin kommt. Und auch derart weit über die Autorentheatertage hinaus, dass sich ein Blick über den Berliner Tellerrand lohnt.

Als prototypischer Kanon-Vergegenwärtiger jenseits des zeitgenössischen Dramatikfestivals, das Ulrich Khuon schon 1995 als Theaterchef in Hannover ersann und nach mehrjähriger Station am Hamburger Thalia-Theater 2009 zu seinem Intendanzantritt mit ans DT brachte, gilt Autor und Regisseur Simon Stone. In Berlin kennt man ihn vor allem durch die auf den Theatertreffen 2016 und 2017 gefeierten Zeitgeist-Versionen von Ibsens „John Gabriel Borkman“ und Tschechows „Drei Schwestern“. Vor wenigen Monaten klotzte Stone nun das „Hotel Strindberg“ auf die Bühne des Wiener Akademietheaters: Eine mehrstöckige, vollverglaste Bettenburg, in der sich simultan lauter vom schwedischen Vorzeige-Seelenhöllen-Dramatiker inspirierte Ehetragikomödien abspielen. Und zwar auf eine Weise, die den theatralen Hochkulturtempel praktisch nahtlos ans Bingewatching-Zeitalter anschließt: Stones Dialoge sind so qualitätsserientauglich, dass der alte Strindberg plötzlich in Netflix-Nähe rückt und die fünfstündige Spieldauer für TV-Junkies eher noch suchtsteigernd als suchtbefriedigend wirken dürfte. In Berlin wird das allerdings nicht zu sehen sein.

Befragung der Gegenwart mit Klassikern

Dass man auch in einer ganz anderen und sich viel weiter von der Inspirationsquelle entfernenden Art auf kanonische Stoffe zurückgreifen kann, zeigt – ebenfalls seit Jahren und jenseits der diesjährigen Autorentheatertage – geradezu exemplarisch die Dramatikerin Rebekka Kricheldorf, deren jüngste Kulturbetriebsfarce „Fräulein Agnes“ Molières „Menschenfeind“ wiederauferstehen lässt. Und zwar in Gestalt einer kompromisslosen Bloggerin, die aus purem Berufsethos sogar den eigenen Sohn verreißt und somit pars pro toto für die Gesamtgesellschaft die philosophische Frage in den (Theater-)Raum wirft, ob die sprichwörtliche Lebenslüge tatsächlich nur eine Krücke für mediokre Mitläufer und Mitläuferinnen ist. Oder ob, im Gegenteil, womöglich sogar ein moralisches Grundrecht auf verbalen (Selbst-)Betrug existiert, zumindest in homöopathischen Dosen.

Alle drei – Schmalz, Stone und Kricheldorf – erhärten mit ihren aktuellen Texten auf komplett unterschiedliche Weise den Befund, dass der Dramenkanon als Inspirationsquelle im Idealfall überdurchschnittlich kluge und/oder witzige Gegenwartsbefragungen hervorbringen kann. Kricheldorfs „Fräulein Agnes“ war in Erich Sidlers Urinszenierung vom Theater Göttingen ebenso wie Stones „Hotel Strindberg“ (das aus technischen Gründen allerdings nicht gezeigt werden konnte) für die soeben zu Ende gegangenen Mülheimer Theatertage nominiert, quasi das zeitgenössische Autoren-Äquivalent zum Berliner Theatertreffen.

Junge Autoren ersinnen Dystopien

Der diesjährige Gewinner des dort ausgelobten Dramatikerpreises, Thomas Köck, steht mit seinen Stücken wiederum für einen anderen gegenwartsdramatischen Trend: Junge Autorinnen und Autoren ersinnen – angesichts der Weltlage wenig überraschend – zurzeit vermehrt Dystopien. Wenn auch beileibe nicht in jedem Fall so komplexe und ernst zu nehmende wie der 32-jährige Mülheim-Preisträger, der jetzt auch bei den Berliner Autorentheatertagen zu erleben sein wird. Allerdings nicht mit seinem Siegerstück „paradies spielen (abendland, ein abgesang)“, sondern mit der zusammen mit Elsa-Sophie Jach am Wiener Schauspielhaus eigens inszenierten Arbeit „die zukunft reicht uns nicht (klagt, kinder, klagt!)“. Durchexerziert werden die düsteren Prognosen hier speziell anhand des katastrophalen Erbes, das jede Generation bei ihrem Erden-Abtritt der nächsten hinterlässt.

Ebenfalls ins dystopische Genre fällt Laura Naumanns Status-quo-Befund „Das hässliche Universum“, das – zeitgleich zu Schmalz’ „jedermann (stirbt)“ auf der großen Bühne – die Autorentheatertage nebenan in den DT-Kammerspielen einläutet: eine gelegentlich zum Raunen neigende Textfläche in der Regie von Julia Hölscher vom Schauspiel Frankfurt über Utopiesucher, die freilich längst den Friedensnobelpreis gewonnen hätten, wenn sie bei ihrer Recherche auch nur ansatzweise erfolgreich gewesen wären.

Konstruktive Problemlösung als unüberwindbare Herausforderung

Aber die Hoffnung, dass die Dramatik Dilemmata zu lösen vermag, an denen mehr oder weniger seit Jahrhunderten die ganze Welt laboriert, wäre natürlich selbst eine nett-blauäugige Utopie. De facto zeigen Abende wie Tina Müllers und Corinne Maiers „Children of Tomorrow“, die vom Münchner Volkstheater zu den Berliner Autorentheatertagen kommen, dass konstruktive Problemlösung selbst im engsten Umfeld – nämlich der viel zitierten familiären Keimzelle – eine unüberwindbare Herausforderung darstellen kann: Ein kinderzeugungswilliges Paar malt sich in drei Varianten das potenzielle Familienleben aus. Und offenbart neben familienpolitischen Defiziten auch ein zwar hübsch beobachtetes, aber letztlich vergleichsweise harmlos bleibendes Hinterwäldlertum der vermeintlich fortschrittlichsten Gesellschaftsmilieus in puncto Geschlechterklischees.

Einen weiteren kleinen Schwerpunkt zwar nicht der Gegenwartsdramatik generell, wohl aber der Berliner Autorentheatertage bilden Bühnenadaptionen gefeierter Romane wie Robert Menasses „Die Hauptstadt“ vom Zürcher Neumarkt und Nino Haratischwilis „Das achte Leben (Für Brilka)“ vom Thalia Theater. Mit letzterem – einer georgischen Familiensaga von 1900 über die UdSSR-Zeit bis hin zur postsozialistischen Gegenwart in der Regie von Jette Steckel – schließt sich auch der Kreis zu dem Prolog, den das DT dieses Jahr in Gestalt einer kleinen Ost-Gastspielreihe erstmals den Autorentheatertagen vorgeschaltet hatte. Und am Ende des Festivals steht – wie immer – die „Lange Nacht der Autoren“ mit drei druckfrischen Theatertexten, die sicher auch keine Lösungen wissen, aber hoffentlich originelle Fragen stellen.

Autorentheatertage 2018 bis 23. Juni, Programm unter www.deutschestheater.de

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