Kultur: Die Auslöser
Vor 15 Jahren gründeten DDR-Fotografen die Agentur Ostkreuz. Nun suchen sie den Weg aus der Nische
„Nichts ist schlimmer als die schicken Fotografen, die tolle Aufnahmen machen, aber ich sehe in keinem ihrer Bilder, worüber sie nachgedacht haben“, sagt Werner Mahler und wischt mit der Handfläche über die glatte, runde Tischplatte. Es ist sein Kommentar zur so genannten Neuen Deutschen Fotografie, die in den letzten Jahren international großes Aufsehen erregte. Vor allem wegen ihres hohen technischen Niveaus, wie Mahler einräumt. Doch das sei eine Generation von Fotografen, fährt er fort, „die nicht mehr weiß, worüber sie sich ärgern soll.“
Aus solchen Sätzen spricht das Credo eines Mannes, dessen Lieblingswort Haltung ist und der Fotografen für „Intellektuelle“ hält. Dabei geht gar nichts Energisches von dem 55-jährigen Geschäftsführer der Fotoagentur Ostkreuz aus. Er trägt einen grauen Pullover, der gut zu seinen grauen Haaren passt. Sein Stoppelbart ist weißgrau, er hat eine Lesebrille über die Stirn geschoben und raucht. Und er erzählt von damals, als er sich im Herbst 1990 mit sechs weiteren DDR-Fotografen zu einer Agentur zusammenschloss, ohne zu wissen, wie man das anstellt. Nur so viel war sicher, dass sie ihre Honorare nicht wie ein Kollektiv untereinander aufteilen würden. Sie hatten gehört, wie das bei den 68ern im Westen geendet hatte – mit Mord und Totschlag.
Um nach der Wende nicht unterzugehen – als „gelernte DDR-Bürger“ –, richteten sie ein Büro ein und führten neben einer monatlichen „Böropauschale“ einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einnahmen ab. Gegen den kalten Hauch des Kapitalismus setzten sie die „Nestwärme“ einer verschworenen Einzelkämpfer-Clique. Sie wollten ihr soziales Engagement nicht aufgeben. Da sie als Spezialisten für die neuen Bundesländer galten („Ostkenner“), konnten sie sich vor Aufträgen nicht retten. Ihr Markenzeichen: mit geringem technischen Aufwand dem Zeitgeist auf den Zahn fühlen.
Noch 15 Jahre später, da das Fotografenkonglomerat Ostkreuz auf 17 Mitglieder angewachsen und längst nicht mehr nur auf Ost-Themen festgelegt ist, bleibt dieser Zug prägend. Neulinge müssten nicht nur „menschlich zu uns passen“, sagt Mahler, sondern eben auch „Haltung haben“. Woran erkennt man ein Ostkreuz-Bild? Mahler schnauft. Am symbolischen Impetus? Das Bild als politisch-geistige Metapher? „Nicht umsonst sitze ich an einem Schweizer See fünf Stunden rum und warte auf irgendwas“, erläutert Mahler seine Methode. Statt als Reporter auf Ereignisse zu reagieren, suchen die Autorenfotografen selbst im Nichtereignis nach den Spuren von etwas Größerem.
Einer, der sich erst seit kurzem auf Spurensuche begibt, ist Julian Röder. 1981 in Erfurt geboren, ging er bei Ostkreuz in die Lehre, im letzten Jahr wurde er Juniormitglied. In der Ausstellung im Pfefferberg, die anlässlich des 15. Jubiläums Arbeiten sämtlicher Ostkreuzler vorstellt, kleben von ihm nur Farbkopien an der Wand. „Beim letzten Mal habe ich Hochglanzabzüge aufgehängt, aber das gefiel mir nicht“, sagt der schlanke, sanfte Mann mit den Resten eines Irokesenkamms auf dem Kopf. Dann streicht er mit der Hand über das Papier, spürt den rauen Untergrund und ist zufrieden. Auf den Bildern sieht man Jugendliche, die im Zug zur Demo fahren, einen Rucksack zwischen den bunt bemalten Springerstiefeln. Eine Menschenmenge, die in wilder Panik auseinander stiebt, eine andere, die ausgelassen tanzt und auf den nächsten Wasserwerfer wartet.
Röder hat monumentale Schlachtengemälde eingefangen. Sein Thema: Repräsentationskonflike von sozialen Gruppen. Eigentlich wollte er Chronist einer Jugendbewegung werden, aber es gab keine. Die Love Parade war ihm zuwider. Erst als so genannte „Reclaim the streets“-Partys um sich griffen und Jugendliche spontan Straßenkreuzungen besetzten, um den öffentlichen Raum zurück zu erobern, sah er mehr als bloß „Dissenzjugendliche“. Attac und die Anti-Globalisierungswelle rissen ihn mit. Auch er habe Nächte in Zellen verbracht, weil er Bauzäune umriss und auf die Straße warf. Eine „Verherrlichung des Protests“ nennt er seine Fotos. Warum sollte er sich um Objektivität kümmern? Die ergebe sich ohnehin erst aus der Summe aller Perspektiven.
Es ist nicht schwer zu verstehen, warum man bei Ostkreuz große Hoffnungen in Julian Röder setzt. Ihm, der mit Preisen überhäuft wird, ist die Sache wichtiger als ein Scheck. Und er spürt den untergründigen Bruchlinien nach, von denen die Gesellschaft wenig weiß – und wissen will. Er soll die Agentur aber auch davor bewahren, wieder kurz vor dem Abgrund zu stehen wie vor eineinhalb Jahren, als Werner Mahler nicht mehr weiter wusste. Sie waren pleite. Die Einnahmen waren nach dem anfänglichen Hype um die Ex-DDRler stetig zurückgegangen, die Digitalisierung des Mediums suchte sich neue Vertriebswege. In der Greifswalder Straße wurde viel diskutiert. Schließlich schossen die Mitglieder aus eigenen Mitteln Geld nach.
Einer, der von Anfang an dabei war und gewiss eine Heimat verloren hätte, ist Harald Hauswald. Der 51-Jährige bärtige Fotograf mit weißem Haupt und Zopf war in der DDR eine Legende, weil mit Publikationsverbot belegt. Erst seit ein paar Monaten macht er wieder, was er „meine Bilder“ nennt. Gemeint sind Aufnahmen aus seiner unmittelbaren Umgebung, aus Berlin, von den Menschen, denen von jeher seine Zuneigung gehört. Seit der Wende habe er wenig fotografiert, sagt er, „das ging mir alles zu nah, mit 35 zu merken, dass die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe“.
Seine Biografie gleicht einer Zickzacklinie. Er war Heizer, Telegrammbote und „der erste offiziell zugelassene Rocktechniker der DDR“, übersetzt: Roadie. Arrangieren konnte er sich nicht. Er habe sich „Möglichkeiten verbaut“, gibt er zu, als er seine Fotos vom Alltag im Sozialismus in den Westen schmuggelte. Dort wurden sie in „Geo“, „Stern“und „taz“ gedruckt. Aber diesseits der Mauer wären seine Bilder nie akzeptiert worden. Er wollte „bloßstellen“. So fotografierte er einmal das Schaufenster eines Nähmaschinengeschäfts mit der Aufschrift: „Reparaturen sämtlicher Systeme“. Wenig später – sein Foto war in Westberlin erschienen – ging die Fensterfront zu Bruch. Über seine Farbaufnahmen von der 750-Jahr-Feier in Ostberlin hieß es in einem Stasi-Gutachten: Hauswald zeichne „ein düsteres Schwarzweiß-Bild von Berlin“. Nur, dass er „bei Kirchens angestellt“ war, habe ihn geschützt.
Mit der Abwicklung der DDR, die so herrlich angreifbar war, verlor Hauswald sein Sujet. Das Gefühl, dem er zu folgen pflegte, blieb stumpf. Seine Aufnahmen aus der Vorwendezeit waren längst Geschichte. Doch neulich packte er seine Kamera ein und marschierte wieder los, 40 Filme jagte er durch wie in einem Rausch. Es zog ihn auch zum Marx-Engels-Denkmal am Alexanderplatz. Als er um das Figuren-Duo herumging, entdeckte er, dass es beschmiert worden war. Jemand hatte auf Engels Rockschoß „ARSCH“ geschrieben.
Neueinstellung, bis 12. November im Haus 2, Pfefferberg (Schönhauser Allee 176, Prenzl. Berg), Di-So 12-21 Uhr.
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