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Marcus Crome (l.) mit den Chören und Musikern im Kammermusiksaal.
© Giampiero Assumma

Brechts "Die Maßnahme": Ausgelöscht und auferstanden

Laienchöre singen Bertolt Brechts jahrelang verbotenes Stück „Die Maßnahme“ zur Musik von Hanns Eisler im Berliner Kammermusiksaal

„Ändere die Welt, sie braucht es“ ist so eine Zeile, die Bertolt Brecht heute noch über Generationsgrenzen hinweg trägt – als großen Dichter und kaltschnäuzigen Denker. Sie stammt aus dem Lehrstück „Die Maßnahme“, das in der Adventszeit des Jahres 1930 im alten Gebäude der Philharmonie seine kontroverse Uraufführung feierte. Nun kehrt es in den Kammermusiksaal zurück, erstmals seit 80 Jahren wieder mit gut 300 Laiensängern, ganz so, wie Hanns Eisler es sich gedacht hatte.

Der Komponist, der hier erstmals mit Brecht zusammenarbeitete, umreißt den Inhalt der „Maßnahme“ so: „Das Stück zeigt, dass es bei der revolutionären Tätigkeit Handlungen von solcher Schädlichkeit gibt, dass derjenige, der sie begeht, dem Proletariat eventuell nur noch durch Verschwinden helfen kann.“ Das klingt so grausam, wie es ist. Vor dem Parteigericht verantworten sich vier Agitatoren, die einen jungen Genossen erschossen und in eine Kalkgrube gestürzt haben.

Eine Auslöschung. In nachgestellten Szenen zeigen sie, wie den Jungen das Mitleid überkommt mit den Elenden – und wie er darüber die Strategie der Klassiker für nichtig erklärt. Am Ende willigt er selbst in seine Ermordung ein, um die große Sache des Kommunismus nicht zu schwächen. In Eislers Musik schlagen dazu immer wieder Bachs Passionen durch.

Erst verboten die Nazis das Stück, dann Brecht selbst

Starker Tobak, den erst die Nazis verboten und nach dem Krieg Brecht selbst: „Die Maßnahme“ wäre unweigerlich in stalinistisches Fahrwasser geraten – und darin versunken. Erst 1997 fiel das Aufführungsverbot, Marcus Crome, der „Die Maßnahme“ seitdem mehrfach aufführte, steht auch jetzt vor dem kleinen Blasorchester und einem vielgestaltigen Chor aus Wohnungssuchenden, Werktätigen, Senioren und Gebärdensängern. Vor ihnen auf dem Podium lassen sich die aufgeklebten Umrisse eines Menschen auf dem Parkett ausmachen, eine Lichterkette markiert die Spielfläche, auf der die Agitatoren darstellen, wie es wurde, was es ist: schwer erträglich.

Eislers Kunst, mit ein wenig Blech und Schlagwerk zwischen Propaganda und Passion, Parodie und Populärmusik zu changieren, gewinnt noch immer eine staunenswerte Gegenwart. Sein straffes, aber ausdrucksloses Gesangsideal bändigt jedes Kollektiv. Doch das Ganze atmet einen Rigorismus, der sich erschreckend einfach okkupieren lässt. „Welche Niedrigkeit begingst du nicht, um die Niedrigkeit auszutilgen?“ Diese Brecht- Zeile war sowohl Markus Wolf als auch Ulrike Meinhof Legitimation und beinahe schon religiöser Trost. Dass es dem Autor letztlich nicht gelang, sein eigenes Stück auszulöschen, ist ein befreiendes Signal dieser Wiederaufführung – und gibt Crome und seinen Mitstreitern recht. „Ich weiß nicht, was ein Mensch ist. Ich kenne nur seinen Preis“, singt Brechts Händler salbungsvoll. Für die noch unbezahlte Arbeit an der „Maßnahme“ wird im Internet gesammelt. Umbuchungen aus Panama sind willkommen.

Infos: diemassnahme.wordpress.com

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