Sinkane bei der Berlin Music Week: Aus der Seele der Schmelztiegelstadt
Sinkane alias Ahmed Gallab wurde im Sudan geboren und lebt heute in New York. Auf seinem neuen Album „Mean Love“ verbindet er Soul, Reggae, Afro-Beat und Country zu einer elektrisierenden Mischung.
Auf dem Cover seiner neuen Platte „Mean Love“ (City Slang) ist ein Porträt von Ahmed Gallab abgebildet, dem Mann hinter Sinkane. Er hat die Augen geschlossen, es ist die Pose eines In-sich-Ruhenden. Spiritual-Jazz-Musiker der Sechziger wie Pharaoh Sanders haben sich gerne so präsentiert, als seien sie gerade damit beschäftigt, dem eigenen Blut beim Zirkulieren oder vielleicht sogar den Worten des Allmächtigen zu lauschen.
Man kann sich sicher sein, dass Ahmed Gallab sich bewusst ist, welche Assoziationen diese Aufnahme eines wahlweise Erleuchteten oder Suchenden hervorruft – auch wenn Jazz in seiner Musik nur eine vergleichsweise geringe Rolle spielt. Wir sollen aber schon sehen, dass es ihm um Seele und Geist geht, oder, um es fachsprachlich zu sagen: um Soul.
Man kann aus der Musik von Sinkane wirklich vieles heraushören, aber über allem oder eher in allem ist dabei der Soul. Dass es ihm vor allem um diesen gehe, das macht der in Brooklyn lebende Ahmed Gallab in Interviews immer wieder klar. Er hat dabei ein ziemlich dehnbares oder vielleicht auch einfach nur universalistisches Genre-Verständnis. „Reggae, afrikanische Musik, Country, all diese Musiken haben Soulanteile“, sagt der 29-jährige Multiinstrumentalist. „Man kann diese Anteile nun so verbinden, dass es Sinn ergibt. Und genau das versuche ich.“
Was sehr theoretisch klingt, hört sich in der Praxis ziemlich verblüffend an. „Mean Love“, das zweite hierzulande erscheinende Album von Sinkane, ist eine Platte, auf der Funk, afrikanische Musik, Country und Rock im Geiste von Soulmusik zusammenkommen. Kein großer Mischmasch, sondern eine saubere Aneinanderreihung von Stilelementen, die von der großen Klammer Soul zusammengehalten werden. Da hört man Afro-Beat-artige Drums, einen funkigen Bass und den Falsettgesang von Ahmed Gallab, der zwar nur entfernt an Curtis Mayfield erinnert, aber dies doch unweigerlich. Dazwischen werden psychedelische Twang-Gitarrensounds geblendet, wie sie Norman Whitfield bei seinen Produktionen für Soulplatten in den Siebzigern berühmt machte.
Oder es erklingen diese schnittigen Bläsersätze, die an Fela Kuti erinnern. Dabei wird nicht jeder Sound homogen in ein Gesamtbild modelliert, sondern kleine Irritationen sind durchaus gewollt. Etwa durch die Pedal-Steel-Gitarre im Titelstück „Mean Love“, dieses typische Country-Element, das hier plötzlich zu einem Falsett ertönt, bei dem man eigentlich an Bilder aus einem Blaxploitation-Film denken muss. Weiß und schwarz codierte Soundelemente werden selbstverständlich zusammengebracht, wodurch man nebenbei daran erinnert wird, dass Country und Soul nie die Gegensätze waren, als die sie fälschlicherweise oftmals angesehen werden. Bei Sinkane kommt also musikalisch, aber durchaus auch kulturell einiges zusammen und dass „Mean Love“ dennoch derart locker und leicht vor sich hin swingt und am Ende schlicht eine richtig gut gemachte Pop-Platte ist, erstaunt zusätzlich.
Was Sinkane veranstalten ist natürlich auch Hipster-Musik. Es ist der Sound wahnsinnig informierter Auskenner, für die musikalische Grenzziehungen keine Bedeutung mehr haben. Schmelztiegelmusik aus der Schmelztiegelstadt New York. Ahmed Gallab nennt Michael Jackson und Bob Marley seine großen Vorbilder, steht aber erklärtermaßen auch auf den noisigen Indierock von Bands wie Blonde Redhead und Unwound. Er selbst hat eine Zeit lang als Studiomusiker für die Hipsterbands Of Montreal und Yeasayer Schlagzeug gespielt.
Der Stile-Hybrid von Sinkane erinnert von der Machart her zudem an eine andere berühmte New Yorker Indie-Hipstercombo, nämlich an Vampire Weekend, die sich ebenfalls afrikanischer Sounds bedienten, was ihnen den Vorwurf einbrachte, gelangweilte, weiße Kids zu sein, die die Traditionen anderer Kulturen plünderten. Diesem Verdacht muss sich Sinkane freilich nicht aussetzen, dagegen spricht schon Ahmed Gallabs persönlicher Background. Sein Interesse für afrikanische Musik, für den malischen Bluesgitarristen Ali Farka Touré etwa oder den sudanesischen Musiker Mohammed Wardi, erscheint weniger künstlich, da er selbst im Alter von fünf Jahren als Sohn eines College-Professors aus dem Sudan in die USA migrierte. Was er mit seinem Projekt Sinkane versucht, ist also kein Verfremdungseffekt wie bei Vampire Weekend, sondern etwas, das viele afroamerikanische Musiker, von Pharaoh Sanders bis De La Soul, schon vor ihm gemacht haben. Er betreibt Wurzelforschung, wendet seinen Blick zurück nach Afrika, um aber trotzdem ganz nach New York zu klingen und um musikalisch nach vorne zu blicken.
Alles deutet darauf hin, dass Sinkane mit seinem Album jetzt durch die Decke gehen wird. Schon vor zwei Jahren, als „Mars“ erschien, war er bereits ein Kritikerliebling. Auch David Byrne wurde auf Gallab aufmerksam und band ihn in ein aufsehenerregendes Projekt zur Wiederentdeckung des nigerianischen Space- Funkers William Onyeabor ein. Dadurch kamen gemeinsame Auftritte mit Damon Albarn und Musikern von Hot Chip und LCD Soundsystem zustande. So könnte es gerne weitergehen für Sinkane. Verdient hätte er es mit „Mean Love“ auf jeden Fall.
Konzert beim First We Take Berlin Festival, 4.9., 23.20 Uhr, Postbahnhof
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