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Kunstvoll und lässig. Das Vision String Quartet.
© Tim Klöcker

Das Vision String Quartet beim „Crescendo“-Festival: Aufgestanden aus Routine

Sie spielen ohne Noten und im Stehen, begeistern sich für Klassik wie für Jazz: Die vier jungen Männer des Vision String Quartet sind aufregend anders – und jetzt auch beim „Crescendo“ der UdK dabei.

Es gibt eine Art von Lässigkeit, die lässt sich nicht lernen. Die entsteht einfach, wo Neugier und Leidenschaft aufeinandertreffen, sich mit einer gesunden Portion Ehrgeiz vermischen, ohne dass darüber der spielerische Zugang zur Sache verloren geht. So wie bei den fantastischen vier vom Vision String Quartet. Sie wissen genau was sie wollen, warum sie die Dinge so angehen, wie sie sie angehen – doch sie verfolgen dieses Ziel nicht verbissen. Darin liegt der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Und ihrer Coolness.

Da ist zum Beispiel die Geschichte, warum sie ohne Noten spielen und – abgesehen vom Cellisten – auch noch im Stehen: Als sie 2012 am International Chamber Music Campus auf Schloss Weikersheim teilnahmen, bemerkten die Musiker, dass im Nebenraum ein anderes Quartett gerade dasselbe Stück probte wie sie selber. „Also haben wir uns an die Wand gestellt und versucht, auswendig mitzuspielen“, erzählt Geiger Daniel Stoll. Dabei merkten sie, dass sie einander viel aufmerksamer zuhörten als sonst und auch viel intensiver in die Musik eintauchten. „Der Vorschlag, im Stehen zu spielen, kam dann von unserem Dozenten“, berichtet Stoll weiter. „Für ihn sahen vier Leute, die auf Stühlen sitzen, aber keine Notenständer vor sich haben, einfach komisch aus.“ Später sind sie dann noch einen Schritt weitergegangen, haben auch mal das Saallicht ausgeknipst, bei völliger Dunkelheit gespielt.

Sie finden Jazz genauso spannend wie Bach und Brahms

Wenn sie sich gegen die Traditionen entscheiden, Experimente wagen, geht es den zwischen 1990 und 1994 geborenen Streichern aber nicht darum, sich als Klassik-Rebellen zu gebären. Sie versuchen so einfach nur, den Stücken näherzukommen. Zwischen dem Mehrzweckhallen-Crossover eines David Garrett und den Auftritten des Vision String Quartets gibt es keinerlei Berührungspunkte.

Kennengelernt haben sich Jakob Encke, Daniel Stoll, Leonard Disselhorst und Sander Stuart am Institut zur Frühförderung der Musikhochschule Hannover. Sie fanden zusammen, weil ihre stilistischen Interessen weit über das Kernrepertoire der Klassik hinausgingen, weil sie Jazz genauso spannend fanden wie Bach und Brahms, weil sie offene Ohren hatten für innovative Popmusik. Als dann das Studium startete, gründeten sie ein Ensemble, um ihren Musikmix weiterhin ausleben zu können, nicht zu Scheuklappen-Spezialisten zu werden.

Fast alle Konzerte des „Crescendo“-Festivals sind gratis

Es ist eine Menge mehr daraus geworden als ein Freizeitspaß. Von ihren Auftritten können die vier Visionäre mittlerweile leben. Und sind doch weiterhin an der Universität der Künste eingeschrieben, im Master-Studiengang Kammermusik. Darum treten sie jetzt auch beim hochschuleigenen „Crescendo“-Festival auf, am 18. Mai im Joseph-Joachim-Konzertsaal in der Bundesallee, und zwar bei freiem Eintritt.

Gratis sind fast alle Konzerte der Veranstaltungsreihe, die am Freitag startet. Am Sonntag gibt es einen Abend zum 100. Geburtstag des Komponisten Isang Yun, am Montag erklingt Musik von Gershwin auf vier Gitarren, am 11. Mai stellt sich der neue Klavierprofessor Gottlieb Wallisch vor. Moderate Eintrittspreise werden für das Eröffnungsevent erhoben, bei dem das Symphonieorchester der UdK Musik aus Wagners „Ring des Nibelungen“ spielt, während gleichzeitig ein Experimentalfilm gezeigt wird, den die Klassen von Ai Weiwei und Anna Anders realisiert haben. Zum Finale treten auch die beiden „Crescendo“-Macher auf: Cellist Konstantin Heidrich und Pianist Markus Groh sind ja selber UdK-Professoren.

Oft kriegen sie zu hören, das Publikum sei für ihre Stücke nicht geeignet

Konservativ sieht das Programm des Vision String Quartet beim Hochschul- Festival nur auf dem Papier aus: Mozart, Bartok, Schubert, Beethoven, okay, aber eben gespielt mit frischem Blick und lebendiger Kommunikation zwischen den Interpreten – und bei angemessenem Applaus gefolgt von hinreißenden U-Musik-Arrangements. Ob Beatles, Benny Goodman oder selbst komponierte Samba, was die Visionäre da mit Geigen, Bratsche und Cello anstellen, reißt die Zuhörer garantiert von den Stühlen.

Das merken auch die Veranstalter in der Provinz, die das Quartet engagieren – allerdings meist zu spät. „Wenn wir vorschlagen, im ersten Teil ernste Stücke zu spielen und im zweiten dann unsere Arrangements, bekommen wir oft zu hören: Bei meinem Publikum geht das nicht“, erzählt Sander Stuart. „Natürlich sind die Abonnenten von Kammermusik-Reihen überdurchschnittlich alt, doch wenn wir unsere Zugaben gespielt haben, kommen viele zu uns und sagen: Davon hätten wir gerne mehr gehört.“

Darum werden die Musiker ihre zweigeteilten Programme auch weiterhin anbieten. Weil letztlich jedes Werk, das sie spielen, ein Lieblingsstück ist. Wert, erst auswendig gelernt und dann durchgestanden zu werden. Kompositionen des 20. Jahrhunderts gehören selbstverständlich dazu, wie Bartok, Schostakowitsch und Erwin Schulhoff, mit denen sich das Vision String Quartet auf seiner ersten CD präsentieren will. Die Studio-Sessions gehörten zum Preis, den sie 2016 beim Concours de Genève gewonnen haben. Ein Label, das die Aufnahme veröffentlicht, haben sie noch nicht. Doch sie sind zuversichtlich, dass sie eines begeistern werden – wenn sie selber vom ihren Interpretationen überzeugt sind. So geht kunstvolle Lässigkeit.

Mehr zum Festival: www.udk-berlin.de

Frederik Hanssen

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