Abschied von der Neuen Nationalgalerie: Auf Wiedersehen, altes Haus!
Ende des Jahres schließt die Neue Nationalgalerie. Das Berliner Wahrzeichen der Nachkriegsmoderne wird saniert – drei, vier, vielleicht fünf Jahre lang. Sieben Künstler erzählen, welche Werke sie vermissen werden.
Ein Museum macht dicht: Ende des Jahres schließt die Neue Nationalgalerie. Das Berliner Wahrzeichen der Nachkriegsmoderne von Architekt Mies van der Rohe wird saniert – drei, vier, vielleicht fünf Jahre lang. Wir haben sieben Künstler darum gebeten, sich zu verabschieden und zu erzählen, welche Werke sie ganz besonders vermissen werden. Lesen Sie hier die Beiträge von Ólafur Elíasson, Thomas Struth, Angela Bulloch, Christian Jankowski, Thomas Scheibitz, Thomas Demand und Katrin Sander.
Ólafur Elíasson über Carl Spitzweg: „Der arme Poet“, 1839
Was ich mit der Neuen Nationalgalerie verbinde, ist in erster Linie ein Raum, der immer wieder neu verhandelt wird. Ich verstehe den Umbau als Chance, das Haus aus der Perspektive von morgen zu sehen und das Museum für das Berliner Jetzt zu aktivieren – so wie wir es gerade mit unserem Festival of Future Nows getan haben.
Meine Lieblingsgeschichte zur Sammlung hat mit einem verschwundenen Bild zu tun: Carl Spitzwegs „Der arme Poet“ (1839). Der Künstler Ulay stahl das Bild 1976 aus der Neuen Nationalgalerie, um es in der Muskauer Straße in Kreuzberg bei einer türkischen Immigrantenfamilie aufzuhängen. Nach ein paar Stunden brachte er das Bild zurück. Natürlich kann man sich fragen, warum ein Biedermeierbild heute noch relevant sein soll. Aus meiner Sicht, weil es das Potenzial hat, eine Brücke zwischen gestern und morgen zu schlagen: Beim Festival of Future Nows knüpfte Aykan Safolu an Ulays Aktion an, als er Bewohner der Muskauer Straße in die Neue Nationalgalerie einlud, um ein Klagelied zu singen und Migrationsgeschichte anders zu reflektieren. Mariana Castillo Deball zeigt im Hamburger Bahnhof gerade einen Rollstuhl – ebenfalls mit Bezug auf Spitzwegs Gemälde. Es war 1989 im Charlottenburger Schloss zu sehen, als Kunsträuber mit einem Rollstuhl ins Museum kamen, das Bild von der Wand rissen und verschwanden. Den Rollstuhl ließen sie stehen. Seitdem ist das Werk verschwunden. Für mich zeigen diese aktuellen Querbezüge, wie lebendig und kraftvoll Kunst ist.
Die Neue Nationalgalerie war zu ihrer Eröffnung ein Ort für experimentelle Kunst, für ein junges Publikum. Inzwischen sind Jahre vergangen. Das Festival of Future Nows hat gezeigt, dass sich die Institution wieder für eine junge Generation öffnet. Die Re-Novierung ist der äußere Schritt – die Re-Aktivierung des Museums in der Stadt der innere.
Ólafur Elíasson, 47, beschäftigt sich in seiner Kunst mit physikalischen Phänomen der Natur, wie Licht und Wasser, Bewegung und Reflexion. Bis vor kurzem unterhielt der dänische Künstler in seinem Studio im Pfefferberg einen Lehrstuhl der UdK.
Thomas Struth über Isa Genzken: "Saal" und "Voglenest", 1989.
Die Betonskulpturen von Isa Genzken kenne ich seit den Anfängen der Werkgruppe, deshalb stehen sie mir vielleicht besonders nahe. Sie haben etwas mit Aggression zu tun, gleichzeitig sind sie aber heroisch schweigende Architekturbruchstücke, die man als Entwürfe für den öffentlichen Raum deuten könnte. Das Material ist ruppig, rüde und sperrig.
Die beiden Werke in der Ausstellung erinnern an eine Art Baustelle, an etwas, das nicht fertig ist und trotzdem eine Schönheit besitzt. Sie haben eine Kraft, die sich nicht anbiedert, wollen aber auch nicht wirklich große Gesten sein.
Die Arbeiten setzen sich mit Geschichte und Funktion der Skulptur auseinander. Sie sind prozessual angelegt. Etwas scheint sich mitten in einem Prozess zu befinden. Der Betrachter weiß nicht, ob es sich um etwas Herausgerissenes oder Hineingeworfenes handelt. Dieser Moment hat offensichtlich auch etwas mit Schmerzen zu tun. Die Skulpturen sind einerseits unbequem, andererseits verkörpern sie eine Sehnsucht nach Schönheit. Diese Widersprüchlichkeit löst sich nicht auf, sie wirkt bis heute nach.
Wenn man die Vorgeschichte nicht kennt, könnte man aus heutiger Sicht sogar eine gewisse Ironie und Hellsichtigkeit in den Betonskulpturen von Isa Genzken erkennen. Unbeteiligte könnten sie für ein Stück der Berliner Mauer halten. In ihrer Geborstenheit lassen sie heute jedoch eher an die Zerstörungen im Gazastreifen denken, Attentate in Israel, an Beirut, den Irak oder Syrien, sie rufen Fernsehberichte darüber in Erinnerung, und in dieser Hinsicht sind sie Mahnungen. Im öffentlichen Raum werden Skulpturen von historischen Ereignissen oder Figuren auf einen Sockel gehoben, die nicht vergessen werden sollen. Hier erhält das Bruchstückhafte, das Gebrochene der menschlichen Existenz ein Podest.
Thomas Struth, 60, arbeitet in Werkgruppen wie Straßenzügen, Menschen, Museen und Natur. Seit 2008 setzt sich der Fotograf mit elementaren Themen der Menschheit wie Industrie, Forschung, Energie und Globalisierung auseinander.
Angela Bulloch über Picassos „Liegende“ (1958) und Metzkes’ „Abtransport der sechsarmigen Göttin“ (1956).
Als Studentin bin ich 1987 zum ersten Mal nach Berlin gereist und habe gleich den „Mies van der Rohe“-Bau besucht. Damals malte ich sogar selber noch, aber Harald Metzkes habe ich erst jetzt in der Neuen Nationalgalerie kennengelernt. Die Kombination seines Werks mit einem Picasso wird mir am eindrücklichsten in Erinnerung bleiben, denn diese Hängung erschien mir auf den ersten Blick geradezu gemein. Erst auf den zweiten merkte ich, dass die Sache komplizierter ist, dass der Kurator hier zwei verschiedene Diskurse von Malerei einander gegenübergestellt hat.
Zunächst sah es für mich so aus, als würde ein Picasso neben einem Künstler hängen, der so malen will wie er. Als würde jemand, der auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs lebt, den großen Maler des Westens kopieren wollen. Aber Metzkes’ Bild entstand zwei Jahre früher. Beide Gemälde mögen das gleiche Thema haben, eine Aktfigur, aber sie bedeutet bei jedem von ihnen etwas vollkommen anderes. Bei Metzkes gewinnt der Akt mythische Bedeutung: Oh meine Göttin! Seine sechsarmige Figur ist fälschlicherweise als Monument des Stalinismus interpretiert worden. Ich denke vielmehr, die Figur könnte ein Symbol für das Universelle, die Ganzheit sein – und das erstaunlicherweise in einem damals noch geteilten Land.
Angela Bulloch, 48,beschäftigt sich mit den Funktionsweisen und Ordnungsprinzipien von Regelsystemen, die unsere Umgebung und unser Verhalten organisieren. Die Kanadierin kombiniert Licht, Ton, Text, Video zu multidisziplinären Installationen.
Christian Jankowski über Ulay: „Da ist eine kriminelle Berührung“, 1976.
Mir gefällt Ulays Arbeit, weil sie sich mit der Institution Museum auseinandersetzt, ihr etwas zumutet: einen Tabubruch, den Diebstahl eines Kunstwerks: Carl Spitzwegs „Armen Poeten“. Die alten Aufnahmen berühren. Wie grau die Stadt damals aussieht, die leeren Straßen, die Neue Nationalgalerie. Was für ein trister Berliner Winter. Eine ganze Künstlergruppe war beteiligt: Ulay als Aktionist, seine damalige Freundin Marina Abramovic hat die Fotos gemacht, Mike Steiner filmte. Der Betrachter sieht, wie ein Museumsaufseher noch hinter Ulay und dem gestohlenen Bild herläuft, der mit dem vor der Neuen Nationalgalerie parkenden skurrilen Transportauto flieht. Dann verschwindet das Auto in der Berliner Nieselsuppe.
Ich stelle mir vor, wie das heute wäre, was man da aufs Spiel setzt. Die Kunstwerke sind weitaus besser geschützt als damals. Unter bestimmten Umständen müsste man als Aktionist um sein Leben fürchten. Mich berührt auch diese Naivität: die Darstellung des „Armen Poeten“ zu einer Migranten-Familie zu bringen. Auch ich versuche in meiner Arbeit eine Vermischung verschiedener Welten. Manchmal will man als Künstler zu viel, spinnt eine Sache zu weit. Das schien mir zunächst auch der Fall bei Ulays Idee zu sein, das Bild in der Wohnung einer Migrantenfamilie aufzuhängen. Inzwischen halte ich dies für eine sehr schöne Verbindung. Von dort aus rief Ulay den Museumsdirektor an, das Gemälde wurde zurückgebracht. Bei dieser Aktion eröffnen sich viele Ebenen: die Infragestellung der Institution, die Mitwirkung auch von Unbeteiligten. In Ulays Werk gab es immer schon eine große Unmittelbarkeit. Schon vor seinen gemeinsamen Performances mit Marina Abramovic zum Rollenwechsel zwischen Mann und Frau war die Liebe ein Thema von ihm.
Es gibt da eine Arbeit, die von Sehnsucht handelt. Seine damalige Freundin muss verreisen, und er malt sich Flugzeuge auf die Arme und Beine – eine vollkommen filterlose Emotionsperformance. Diese Verbindung aus Herz und Konzept empfinde ich als berührend. Ulay hat keine Angst vor Peinlichkeiten. Es mag zunächst wie ein simpler Kurzschluss aussehen: Da das Spitzweg-Gemälde vom „Armen Poeten“, dort die armen Migranten. Aber gerade dass sich solche Fragen in Arbeiten auftun, dass nicht alles plausibel erklärbar ist wie bei einem Gerhard Richter, darin besteht eine Qualität. Schließlich geht es Ulay immer noch um das Wohl der Institution. Am Ende kehrt das Bild unversehrt zurück in die Sammlung. Das ist auch eine Form der geglückten Vermittlung. Und durch das vorübergehende Fehlen einer Arbeit wurde die Sammlung am Ende sogar um ein Werk bereichert.
Christian Jankowski, 46, nimmt in seinen Videoinstallationen und Inszenierungen die Beziehung zwischen Künstlern, Kunstinstitutionen, Medien und der Gesellschaft aufs Korn. 2016 kuratiert er in Zürich die europäische Biennale Manifesta.
Thomas Scheibitz über Ronald Bladen: „Three Elements“, 1965.
Drei Elemente, drei Dinge – bilden ein Dreigestirn, in das man allerlei kunsthistorische oder allegorische Absichten hineinlesen kann.
Die Arbeiten des gelernten Werkzeugmachers Ronald Bladen, der von der abstrakten Malerei zur Skulptur kam, haben für mich wenig mit dem Minimalismus zu tun, als deren Vaterfigur er oft genannt wird. Es ist eher wieder die Idee, die besticht, als ob man die Ähnlichkeit der Gegenstände innerhalb der abstrakten Tektonik erkennen kann (Welle oder Brücke). Diese Dinge sind von unserer gesehenen Welt herausgelöst und haben durch Größe und Form eine Präsenz, die wie auf einen Sockel des zwingenden Beispiels gesetzt wird.
Thomas Scheibitz, 46, arbeitet in seiner Malerei, seinen Skulpturen und Zeichnungen mit den bildnerischen Möglichkeiten von Abstraktion und Figuration. In seinen Werken untersucht er das Wechselverhältnis von bildhafter und sprachlicher Information.
Thomas Demand über Alexander Kanoldt: "Stillleben", 1926.
Zimmerpflanzen stehen meist in Ecken, sie müssen zäh sein und gewässert werden. Sie taugen selten zur Metaphorik, wenn, dann der von Vernachlässigung. Nie werden sie im Wettkampf von Verlockung, Bestäubung und der Verbreitung ihrer Samen durch Insekten eine Rolle spielen: Sie gehen auf Ableger zurück. Bestenfalls verbessern sie das Raumklima, vertragen aber kein direktes Sonnenlicht.
Der Neuen Sachlichkeit bedeutete solch häuslicher Schwermut einen zumindest verlässlichen Zugang zur Welt. Alexander Kanoldts ruhige Pinselführung neigte nicht zum Expressiven, er war immer ein wenig zu alt, ein geduldiger Lehrer. Er trat sehr früh in die NSDAP ein und wurde trotzdem als entartet disqualifiziert, seine Bilder aus deutschen Museen entfernt. Er starb plötzlich, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und dieses Bild fand sich in der Nationalgalerie Ost wieder. Es hing dort Jahrzehnte am selben Platz, selbst zu einer Topfpflanze geworden. Und so verkörpert es die unheroische Seite der deutschen Nationalgalerie, das leicht zu Diffamierende, aber eben auch das „Immerhin“ in dieser Sammlung.
Thomas Demand, 50, baut Tatort- und Pressefotografien detailgetreu aus Papier nach, um sie dann zu fotografieren. Diese „zweiten“ Fotografien werden erst nach Zerstörung des Modells gezeigt. 2009 würdigte ihn die Nationalgalerie mit einer Retro.
Karin Sander über Rodney Graham: "Edge of a Wood", 1999.
Der Hubschrauber ist von weitem zu hören und erhellt mit den Suchscheinwerfern die Szene. Erst jetzt wird der Wald auf den Projektionsflächen sichtbar, danach verschwindet er wieder im Dunkeln.
Man denkt sofort an Spannung, Grenze und Verfolgung, weil man es szenografisch so gewohnt ist. Mit dem Licht werden Ausschnitte der Landschaft gezeigt, mit der Beleuchtung wird „Wald“ in der Vorstellung aufgerufen und ich versuche mir ein zusammenhängendes Bild zu machen. Der Hubschrauber fliegt weiter, das Geräusch wird leiser, die Szene ist wieder dunkel und in der Dunkelheit wiederum verblasst dann auch der Begriff Wald in meinem Kopf. Das Licht lässt Konturen und Farben erkennen und das ist die ganze Choreografie des Films. Diese Arbeitsweise, eine Situation durch einen einfachen und zugleich präzisen Eingriff anders aufleuchten zu lassen, interessiert mich auch in meiner Arbeit. Rodney Graham hält eine riesige Taschenlampe in die Welt, und so wird die Videoprojektion zu einem Landschaftsbild, zu einem „Nachtstück mit Kunstlicht“.
Karin Sander, 57, feiert mit ihren ortsbezogenen Kunstwerken die spröde Schönheit der Abstraktion. Ihre polierten Wandstücke, weißen Passagen, 3-D-Bodyscans und Patina- und Gebrauchsbilder wurden Ende 2009 für eine Ausstellung in der Temporären Kunsthalle Berlin realisiert.