„Eternauta“ von Oesterheld und López: Auf Tauchstation
Der visionäre und historisch bedeutsame Comic „Eternauta“ wird nach fast 60 Jahren zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht - mit hochkarätiger Unterstützung.
Im spanischen Sprachraum werden Comics als Historietas bezeichnet. Dies lässt sich mit „kurze Geschichte“ übersetzen, aber natürlich beinhaltet das Stammwort Historia ebenso einen Verweis auf historische Ereignisse. Die Nacherzählung oder Interpretation von vergangenen Begebenheiten, da macht der Comic keine Ausnahme, ist ein populärer medialer Topos. Dagegen ist das Vorausahnen tatsächlich stattfindender geschichtlicher Vorgänge eher selten. „El Eternauta“, ein argentinisches Science-Fiction-Epos von Szenarist Héctor Germán Oesterheld und Zeichner Francisco Solano López, soeben in Deutschland unter dem Titel „Eternauta“ erstveröffentlicht, macht jedoch genau das. Hier allerdings nicht im Sinne eines Jules Verne und seiner technischen Prophezeihungen, sondern als parabelhafte Vorwegnahme einer negativen gesellschaftlichen Entwicklung.
Der bei Ediciones Frontera, einem von Oesterheld und seinem Bruder gegründeten Verlag, und im Magazin „Hora Cero“ zwischen 1957 und 1959 veröffentlichte Fortsetzungscomic glänzt mit einem der bis zum damaligen Zeitpunkt ungewöhnlichsten Handlungsentwürfe in der Comicgeschichte, der bereits zu jener Zeit die später von Autoren wie Cary Bates oder Grant Morrison im Comic etablierte Metaebene nutzt. Ein Comicautor, unschwer als Oesterheld selbst erkennbar, erhält Besuch von einem sogenannten „Eternauten“: ein Reisender durch Zeit und Raum, der Frieden sucht und dem staunenden Schriftsteller von seinen außergewöhnlichen Erlebnissen berichtet.
Draußen ist feindlich
Die Erzählung des mysteriösen Besuchers nimmt ihren Ausgangspunkt an einem gemütlichen Abend, bei dem sich mehrere Freunde in Buenos Aires zum Kartenspiel zusammengefunden haben, darunter der spätere Eternaut in seiner noch bürgerlichen Existenz. Als überraschend Schneefall einsetzt, wird eine vertraute Situation durch ein für südamerikanische Breitengrade seltenes Ereignis zuerst mit Besonderheit aufgeladen, um es anschließend schrittweise in ein Schreckensszenario zu überführen.
Denn der Schnee ist tödlich; wer mit ihm in Kontakt gerät, stirbt augenblicklich. Geistesgegenwärtig reagieren die Teilnehmer der Herrenrunde und dichten sämtliche luftzuführenden Öffnungen des Hauses ab. Die außerhäusliche Atmosphäre scheint todbringend zu sein, wie die Männer entsetzt in ihrer Nachbarschaft beobachten müssen, wo vor ihren Augen ein Mann am offenen Fenster stirbt. Vertrautes in Grauenhaftes kippen zu lassen, ist nicht erst ein seit Stephen King bewährtes Verfahren. Zusätzlich wird die Nähe der Freunde durch die äußeren Umständen geschuldete Zwangsunterbringung auf engstem Raum einer psychologischen Belastbarkeitsprüfung unterzogen.
Die erste Expedition nach draußen, in einem aus im Hausrat befindlichen Utensilien selbstkonstruierten Anzug, steigert die beklemmende Situation durch von Leichnamen übersäten Orten, deren ehemalige Alltäglichkeit eine negative Konnotation erhält. Gleichzeitig führt der Rückgriff auf die Nutzbarmachung von Alltagsgenständen nicht nur zu einer unterschwelligen Propagierung von heimischen Werten, er inszeniert überdies eine bis heute ikonografische Darstellung, nämlich die des Eternauten.
Hier kann der Anteil von Zeichner López am gemeinsamen Werk nicht hoch genug bewertet werden, denn dessen Darstellung der taucherbrillenbewehrten Hauptfigur ist vielen Lateinamerikanern auch ohne den Kontext des Stoffes, dem er entstammt, vertraut.
Zusammen mit dem späteren Wandel der Rezeption Eternautas vom simplen Serienstoff zur prophetischen Parabel bewirkte diese ein fortwährendes Einsickern in die argentinische und überdies lateinamerikanische Alltagskultur, ob es nun Wandmalereien an öffentlichen Gebäuden oder die Okkupation der Begriffshoheit von Eternauta durch die ehemalige argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner zu deren eigenem Vorteil ist.
Warte, bis es dunkel wird
Im weiteren Verlauf der Geschichte findet die kleine Gruppe von Überlebenden unter ersten Verlusten heraus, dass die ganze Welt Opfer einer Invasion durch eine außerirdische Rasse geworden ist, deren überlegener Technologie man recht hilflos gegenüber steht. Von diesem Moment an wandelt sich die bisher mit klaustrophobischen Horror-Elementen befrachtete Geschichte zu einem konventionelleren Plot, der große Ähnlichkeit mit einem Kriegscomic aufweist.
Das lässt sich ebenfalls bei der Charakterzeichnung beobachten, deren vormals etwas subtilere Feineinstellung nun mehr ins Klischeebehaftete tendiert. Verwiesen sei hier auf einen todesmutigen und selbstverständlich bodenständigen Arbeiter im Widerstand oder den für komische Momente sorgenden zerstreuten Intellektuellen, dessen größte Sorge einer authentischen Dokumentation selbst im Angesicht furchtbarster Ereignisse gilt.
Insbesondere die Darstellung der wenigen weiblichen Protagonisten, es sind insgesamt drei, ist hier ärgerlich. So kann man zwar die Charakterisierung von Frau und Tochter des Eternauten als der Handlung förderliche Motivationsschablonen und schmückendes Beiwerk noch unter dem Gesichtspunkt von dem damaligen Zeitgeist geschuldeten Schönheitsflecken durchgehen lassen, jedoch ist die Darstellung einer jungen Frau, die sich ausgerechnet als von den außerirdischen Invasoren benutzte Verräterin entpuppt, auf Grund ihres geschlechtlichen Seltenheitsmerkmals im Repertoire der Protagonisten eher ungenießbar.
Trotzdem werden diese Schwächen immer wieder durch Momente wie den mit sich hadernden Kommandeur der Truppe oder den Humanismus von im Dienste der Invasoren handelnden Handlanger konterkariert, was dann insgesamt doch eine Abkehr vom klassischen Held-/Schurke-Schema markiert.
Die Qualität der Zeichnungen in einer derart langen Geschichte mit mehr als dreihundert Fortsetzungsfolgen auf einem gleichbleibendem Niveau zu halten ist eine weitere Herausforderung. López bewerkstelligt dieses Unterfangen, indem er einem effektiv-ökonomischen Zeichenstil den Vorzug gibt, wie er in vielen seriellen Comicstrip-Produktionen der damaligen Zeit vorherrschend war und seine Fortsetzung besonders in britischen Publikationen für heranwachsende männliche Jugendliche fand; für die López denn später auch tätig war.
In den besten Momenten von „Eternauta“ entstehen durch grafisches Know How das Skript solidierende Bilder von beklemmender Eindringlichkeit mittels effektvoller Schwarzweiß-Kontrastierung. So ist die Folge, in der die Frau des Eternauten von diesem über die Geschehnisse unterrichtet wird, von einer dunklen Eleganz, in der nicht nur der Faltenwurf der Bettdecke und die detaillosen schwarzen Flächen der Gesichter von einer düsteren Zukunft künden, sondern gleichzeitig durch geschickt gewählte Raumbelegung eine Steigerung bei der Darstellung innerer Spannungen erreicht wird.
Ebenso klug kalkuliert ist in dieser Folge der einen dynamischen Lesefluss begünstigende Einsatz der figurativen Darstellung innerhalb der einzelnen Panels, die der Statik der formatbedingten Panelaufteilung entgegenwirken. Und Schneeflocken vor einem dunklen Firmament sind natürlich ein dankbares Sujet für einen Künstler, der Kontraste einzusetzen weiß. Somit hat López einen großen Anteil daran, dass Eternauta bis heute ansehbar und daher lesbar bleibt.
Geschichten aus der Welt von Morgen
All dies würde aber nicht ausreichen, um die anhaltende Ausnahmestellung von „Eternauta“ zu rechtfertigen. Einigen gilt zum Beispiel die in den späten 60er Jahren entstandene Neubearbeitung des Stoffes in Zusammenarbeit mit Alberto Breccia auf Grund ihrer wesentlich experimentelleren Grafik (Benday Dots etc.) als überlegenere Version.
Was den vorliegenden Comic so besonders macht, ist seine überzeugende Visualisierung eines gesellschaftlichen Klimas, in dem gegenseitiges Misstrauen die Atmosphäre vergiftet, und der von einem Verlust der geliebten Angehörigen durch eine undefinierbare Macht erzählt. Hier nimmt die düstere Bildpoesie von Eternauta die Militärdiktatur im Argentinien der 1970er Jahre vorweg, die ein ganzes Volk nachhaltig traumatisieren sollte.
Zwar ist die politische Geschichte Argentiniens, wechselnd zwischen vehementem Antikommunismus, Zivil- und Militärregierungen sowie sicherer Hafen für deutsche Kriegsverbrecher und deren Vermögenswerte, sicherlich eine der Inspirationsquellen für den antizipatorischen Charakter von „Eternauta“ gewesen. Der Staatsterror, mit dem die Militärjunta unter Jorge Rafael Videla das Volk ab 1976 unterjochte, bekannt geworden als „Schmutziger Krieg“, findet seine visionäre Entsprechung im gnadenlosen Vernichtungskrieg der Außerirdischen gegen die Menschen der Erde, welcher hier vornehmlich aus der Sicht von Bewohnern der Stadt Buenos Aires erfahrbar wird.
Als Oesterheld das Skript zur Fortsetzung von „Eternauta“, dieses Mal wieder mit López, verfasste, befand er sich gemeinsam mit seinen vier Töchtern bereits in Verbindung zu einer linken Widerstandsgruppe, da sich das Putschen gegen Zivilregierungen seitens des Militärs in seinem Geburtsland zu seinem Missfallen zu häufen begann. Er verschwand, wie seine Töchter und viele andere, 1977 in den Gefängnissen der Militärdiktatur. Es wird vermutet, dass Oesterheld 1979 von Handlangern des diktatorischen Regimes ermordet wurde. Eternauta erlebte noch weitere Fortsetzungen, diese wurden jedoch von anderen Autoren verfasst. López war im Jahr 2001 an einer dieser Weiterführungen beteiligt und verstarb 2011 an einer Hirnblutung.
Bildstörung
Als das Zeit-Magazin in der Januar-Ausgabe 2015 den Artikel „Auf der Suche nach der verlorenen Familie“ über das Schicksal der Familie Oesterheld veröffentlichte, übersetzte dessen Verfasserin Anna Kemper für die Printversion erstmals Seiten von „Eternauta“ in die deutsche Sprache. Ein Jahr später gibt es nun eine komplette deutsche Ausgabe der ersten von Oesterheld und López verfassten Serie, flankiert von einer im Literaturhaus Stuttgart gezeigten Ausstellung, die sich selbst ausdrücklich als Comicausstellung versteht.
Zur Eröffnung hatte man denn nicht nur die Mit-Kuratorin Anna Kemper eingeladen, sondern auch den bekennenden Comic-Freund und Oesterheld-Fan Peer Steinbrück. Das ist insofern bemerkenswert, da deutsche Politiker so gut wie nie mit Comics in Verbindung stehende Veranstaltungen besuchen; von französischen Verhältnissen ist man hier noch weit entfernt. Und um den Fokus der Kuratoren noch einmal mit Nachdruck zu bekräftigen, stand kein Geringerer als der argentinische Comiczeichner José Muñoz, ehemaliger Assistent von López und Zuarbeiter für Oesterheld, mit auf der Gästeliste.
Diese längst überfällige Anerkennung des Comics abseits von mit Niveau und Relevanz assoziierten Marketingbegriffen ist erfreulich. Dass trotz besseren Wissens im Nachwort von „Eternauta“ mehrfach die Bezeichnung „grafischer Roman“ bemüht wird, zeigt dann noch einmal, wie nötig die Rehabilitation und Analyse vermeintlich trivialer Stoffe in Deutschland immer noch ist.
„Eternauta“ ist seinem Wesen nach ein in Fortsetzungen veröffentlichter Science-Fiction-Comic, was an dessen Erzählstruktur inklusive Cliffhanger am Ende jeder Folge klar erkennbar ist. Was zwar von der Verfasserin des Nachworts zur Kenntnis genommen wird, aber ein „Fortsetzung folgt“ zum bewusst gewählten Stilmittel im Sinne einer vom Autor intendierten Botschaft über die Veränderung des Schicksals Kraft des Willens zu verklären, ist schon gewagt.
Und wohlgemerkt, von der Intention des Autors ist hier die Rede, nicht von einer Intention der Autoren. Der Anteil von Francisco Solano López an „Eternauta“ wird also kaum gewürdigt, welcher doch einen Großteil zur Ikonografie und Überzeugskraft dieser bedrückenden Vision beisteuerte.
Es scheint fast, als ob der sich der Bilderlosigkeit rühmende reformierte Protestantismus hierzulande noch immer wirkmächtiger ist, als man gemeinhin annehmen möchte, und Wertschätzung in der Comicrezeption weiterhin nur auf literarische Aspekte beschränkt bleibt. Zudem erinnert das wiederholte Verwenden von das Wort Comic umgehenden Bezeichnungen an die gerade erneut vollzogene Gentrifizierung von Hugo Pratts „Corto Maltese“ als Begründer der Graphic Novel.
Man muss daher schon froh sein, dass im Zuge der Wiederveröffentlichungen alter Comicklassiker statt „El Cid“ von Antonio Hernández Palacios dessen „Manos Kelly“ auserkoren wurde, Ersterer wäre sonst mit großer Wahrscheinlichkeit noch als Biographic Novel durchgewunken worden.
Héctor Germán Oesterheld und Francisco Solano López: Eternauta, Avant-Verlag, 392 Seiten, schwarz-weiss , Hardcover mit Spotlack, 39,95 Euro.
Ausstellung "Der Mythos Eternauta" im Literaturhaus Stuttgart bis 15. April, mehr dazu hier.
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