Interview: Ein Kanzlerkandidat für den Comic
Am Wochenende hat die SPD Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten gekürt. Vor gut einem Jahr äußerte sich der Ex-Finanzminister im Tagesspiegel erstmals öffentlich über seine Comicleidenschaft. Aus aktuellem Anlass hier das Interview zum Nachlesen.
Tagesspiegel: Herr Steinbrück, Sie sind Bundestagsabgeordneter, waren Bundesfinanzminister, Ministerpräsident – und Sie sind Comicfan. War es für Sie in einem solchen Umfeld je ein Problem, sich angesichts des ambivalenten Rufs des Mediums hierzulande offen als Comicleser zu bekennen?
Peer Steinbrück: Überhaupt nicht. Warum sollte ich mich für mein Faible entschuldigen? Ich teile aber Ihre Einschätzung, dass der Comic in Deutschland als unseriös gilt und nicht als Kulturbeitrag wahrgenommen wird. Den meisten Menschen fällt bei dem Thema nur „Fix und Foxi“ ein, oder Sigurd mit dem kleinen Kopf und dem wenigen Hirn drin - in Frankreich ist das ganz anders.
Ist die deutsche Comicszene daran selber schuld?
In gewisser Weise ja. Offenbar ist der Comic eine Ausdrucksform, die in anderen Ländern viel stärker gepflegt worden ist. Wenn ich mir angucke, aus wessen Feder meine Lektüre stammt, sind darunter sehr wenige deutsche Zeichner und Texter.
Wir haben Sie zuletzt auf der Berliner Comicbörse getroffen, als Sie alte „Prinz Eisenherz“-Ausgaben durchschauten – für viele Fans der beste Comic der Geschichte. Was gefällt Ihnen an der Reihe?
Ich bin damit groß geworden. „Prinz Eisenherz“ wurde in den 50er Jahren regelmäßig in einer Zeitschrift veröffentlicht, die meine Großmutter abonniert hatte. Ich habe ihr immer die Hefte aus der Hand gerissen. Später habe ich mir dann eine Originalseite aus jener Zeit besorgt. Und als die Serie in den 70er Jahren neu herausgegeben wurde, haben meine Kinder mir die Bücher aus den Händen gerissen. Die haben sogar zu Hause Szenen aus „Prinz Eisenherz“ nachgespielt.
Welche anderen Comics bedeuten Ihnen etwas, und warum?
Besonders die Arbeiten von Enki Bilal, die zweifellos eine literarische Qualität haben, allen voran die Reihe „Alexander Nikopol“. Dann die Werke von Alberto Breccia, vor allem die zusammen mit Héctor Oesterheld geschaffene Reihe „Mort Cinder“ aus den 60er Jahren. Dann natürlich Jacques Tardi sowie Hugo Pratt mit seiner Reihe „Corto Maltese“, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts in den Comic überträgt. Was deutsche Autoren angeht, hat mir vor allem die historische Spionage-Erzählung „Die Sache mit Sorge“ von Isabel Kreitz gut gefallen.
Und welche Comics sagen Ihnen nichts?
Mangas haben mir nie gefallen, genau wie die meisten Science-Fiction-Geschichten. Auch mit Superhelden konnte ich nie etwas anfangen.
Sie haben offensichtlich eine Vorliebe für historische Themen, verbunden mit klassischen Mythen und einem Schuss Fantasie ...
In meinem zweiten Leben würde ich deshalb wohl auch versuchen, Geschichte zu studieren. Ich habe ein großes historisches Interesse.
Halten Sie das Medium Comic für historische Themen für besonders geeignet?
Ja. Zum Beispiel bieten die Comics von Jacques Tardi, die die Grauenhaftigkeit des Ersten Weltkrieges zum Thema haben, eine besondere Art der Vermittlung historischer Ereignisse. Über die Verbindung von Bild und Text, aber auch mit den Verfremdungs- und Überzeichnungsmöglichkeiten eines Comics, entsteht ein Bild, das kein anderes Medium vermitteln kann. Ich will das nicht überhöhen, aber die Antwort auf Ihre Frage lautet: ja.
Sie sind Jahrgang 1947. In Ihrer Jugend waren Comics einerseits sehr populär, vor allem bei Kindern, andererseits verpönt. Der „Spiegel“ titelte damals: „Comics – Opium in der Kinderstube“, es gab sogar öffentliche Comicverbrennungen …
Die Einstellung war: Wir sind eine Kulturnation, also darfst du keine Comics lesen, sondern musst mit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann beginnen.
Durften Sie als Kind Comics lesen?
Ja, meine Eltern haben da nicht eingegriffen. Und es gab damals viele Comicstrips in den Zeitungen, die ich regelmäßig las. Von „Mecki“ über „Nick Knatterton“ bis hin zu der Westernreihe „Cisco Kid“.
Apropos Zeitungen. Sie wurden und werden ja immer wieder selbst in politischen Karikaturen oder Comicstrips zeichnerisch verewigt. Wie finden Sie das?
Karikaturen sind für mich eine Kunstform. Wenn sie gut sind, freue ich mich darüber.
Welchen Bezug haben Sie eigentlich zur Figur Dagobert Duck? Der müsste Ihnen als ehemaligem Bundesfinanzminister ja sehr viel zu sagen haben.
Natürlich. Und so schlimm ist er gar nicht: Onkel Dagobert war definitiv kein Spekulant.
Kürzlich erschien eine Neuauflage der klassischen Geschichten von Carl Barks, in deren Vorwort Dagobert als Antithese zum Investmentbanker gerühmt wird, der nur das investiert, was er selbst verdient hat, und seine Taler mit ganzem Herzen schützt. Hätte mehr Dagobert die Krise verhindert?
Es hätte mehr große Panzerschränke wie bei Onkel Dagobert geben sollen, in denen das Geld hätte gebunkert werden müssen, statt die Märkte zu überschwemmen und Blasen zu treiben.
Gab oder gibt es eigentlich Kollegen, die Ihre Vorliebe für Comics teilen?
Ich habe mal meiner damaligen Justizminister-Kollegin Brigitte Zypries, der ich immer noch in Sympathie verbunden bin, eine „Prinz Eisenherz“-Ausgabe geschenkt. Und ich glaube, sie hat angebissen. Aber sie ist die Einzige im Kollegenkreis.
(Das Gespräch führten Moritz Honert und Lars von Törne. Es wurde erstmals im Januar 2011 im Tagesspiegel veröffentlicht.)