Großbauten der Nazis in Prora: Auf Rügen wird das Monster am Meer saniert
Die leer stehenden Riesenbauten der Nazis in Prora auf Rügen werden saniert. Damit soll der lange Jammer an der Ostsee ein Ende haben. Ein Kampf um Geschichte und Gedenken.
„Die Prora ist aber ein höchst romantisches Stück Weg; ihre eigentümlichen Schauer sind in aller Munde“, plauderte der auf der Insel Rügen geborene Schriftsteller Arnold Ruge aus seinen Jugendtagen. Zu seiner Zeit, vor 200 Jahren, führte ein Hohlweg durch den dichten Wald zwischen Bodden und Meer „so eng, dass in ihr kein Wagen dem anderen ausweichen“ konnte: „Wenn man also zu Wagen vor der Prora ankommt, bleibt einem kein anderes Mittel, sich freie Bahn zu erhalten, als aus Leibeskräften zu schreien: Halt vor der Prora! Dies ist dann zu einer Art Sprichwort geworden und heißt soviel als ‚sieh dich vor!‘ Unter beständigem Klatschen und Rufen fährt man in die verrufene Höhle hinein.“
So sehr der Landstrich sich seither verändert hat, so wenig scheint Ruges Einschätzung des Ortes überholt zu sein. Ruge konnte freilich nicht ahnen, dass die Gegend an Rügens Ostküste erst im 20. Jahrhundert, dem Zeitalter der Diktaturen, seine „eigentümlichen Schauer“ voll zur Geltung bringen sollte. Im neu eröffneten Naturerbe-Zentrum mit seinem Aussichtsturm, der einem Adlerhorst nachempfunden ist, erhält man einen unverstellten Blick auf das Szenario von oben herab. Da erhebt sich aus der grünen Wildnis ein monströser Flügelbau, der anders gar nicht zu überblicken ist. In den 1930er Jahren setzte die nationalsozialistische Bewegung „Kraft durch Freude“ den Koloss in den Sand, als eines von fünf geplanten Seebädern. Doch wegen des Zweiten Weltkrieges ist daraus nichts geworden. Stattdessen wuchs das unfertige Bauprojekt in der Nachkriegszeit zu einer der monumentalsten Kasernenanlagen in der DDR heran. „Was hab ich verbrochen, was hab ich getan, dass ich in die Wüste von Prora kam“, war eines der bekannten Schlagworte unter den jungen Soldaten. Nach der Wende zog das Militär ab, die Schlagbäume öffneten sich. Damit begannen die Diskussionen um die Zukunft des viereinhalb Kilometer langen Kolosses.
Prora verkörpert Aufstieg und Fall der DDR
Seither scheiden sich die Geister. Die einen erkennen in den Ruinen den „schönen Schein“ der nationalsozialistischen Sozialpolitik, welche die Vorfahren verführen half. Die anderen sehen in ihnen die Fratze des untergegangenen real existierenden Sozialismus. Prora verkörpert den heimlichen Aufbau der NVA. Aufstieg und Fall des DDR-Regimes, der Bau und der friedliche Fall der Mauer sind mit den Geschehnissen in Prora verknüpft. Der Ort gehörte wegen seines militärischen Drills und seiner Abgeschiedenheit zu den berüchtigtsten Kasernenanlagen des Landes, mit vielen Suiziden und tödlichen Unfällen.
Aber auch am Schnittpunkt der Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat Prora einiges zu bieten. Fast vergessen, dass Angela Merkel 1990 in den Kasernen ihr Direktmandat für den Bundestag holte. Dass hier die Zusammenführung von NVA und Bundeswehr verhandelt wurde. Baugeschichtlich ist nun eine neue Zeit eröffnet.
Die neue Ära verwandelt den Klotz in Ferienwohnungen und Hotels. In den eleganten Linien des Bauhauses wird Prora mit 75 Jahren Verspätung doch noch das, was der Ort nie gewesen ist: ein Seebad. „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, so bewirbt ein Zitat von Victor Hugo das „weltberühmte Denkmal“ in den Broschüren, die mit Steuerabschreibungen winken und wenig oder nichts über die Geschichte wissen.
Vor zwanzig Jahren wurde der Koloss nicht, wie es hätte sein müssen, als das Zeugnis zweier Diktaturen unter Denkmalschutz gestellt, sondern als baugeschichtliches Zeugnis der NS-Zeit. Prora wird seither gern mit dem Reichsparteitagsgelände oder anderen NS-Monumentalbauten verglichen. Übersehen wird, dass auch die stalinistische Ära Monumentalbauten schätzte. „Hier aussteigen zu den Großbauten des Kommunismus!“, forderte in den 1950er Jahren ein Schild in der heutigen Berliner Karl-Marx-Allee.
Prora: Allianz aus Verdrängung und Vermarktungseifer.
In Prora schmiedete sich in den 1990er Jahren eine Allianz aus interessenbedingter Verdrängung und blindem Aufarbeitungs- und Vermarktungseifer. Fast scheint es, als wollte man bei der NS-Geschichtsbewältigung in den neuen Bundesländern nachholen, was die Bundesrepublik auf ihrem Terrain versäumt hatte. Der Ausbau des „Modells Prora“ zu Kasernen, die reale Geschichte, wird seither verharmlost und nun wegsaniert. Mit den baulichen Strukturen verschwinden in diesen Tagen Zeichnungen und andere Spuren ehemaliger Soldaten, die ein wichtiges Zeugnis dafür sind, wie diese mit dem Bau umgegangen sind. Und die gleichzeitig die Geschichte des Kalten Krieges erzählen.
Proras volle Größe und Masse kommt nur im Kleinen zum Ausdruck. In den individuellen Geschichten, in den Schicksalen und eben in den kleinen Anzeichen am Bau, dass Prora etwas anderes geworden war, als die Planungen vorsahen. Es wird bald nicht mehr erkennbar sein, wo die Fachrichtungen der Militärtechnischen Schule ihren Sitz hatten, wo und wie die ausländischen Offiziersschüler ihre heute umstrittene Ausbildung erhielten, deren jüngster Schüler gerade einmal 15 Jahre alt war, und von wo die Einheiten der 8. Motorisierten Schützendivision 1961 zum Mauerbau nach Berlin abrückten.
Bunt statt grau: Ein Fenster zur Geschichte
Am einst größten Standort der Waffenverweigerer, Wegbereiter der friedlichen Revolution, sind bereits vor drei Jahren vollendete Tatsachen geschaffen worden. Während sich die Jugendherberge Prora dem Motto bunt statt grau verschrieben hat, bemühen sich Zeitzeugen dort um „Fenster in die Geschichte“. Und die sollen grau bleiben. Aus Anlass des diesjährigen 50. Jahrestages der Anordnung über die Aufstellung von unbewaffneten Baueinheiten in der DDR werden Ende August auf dem Gelände der Jugendherberge zwei sogenannte Zeitsplitter aus ihrer Geschichte enthüllt. Der eine erinnert an die einmalige Regelung dieses waffenlosen Dienstes im Ostblock, 1964 zustande gekommen auf Druck von Pazifisten und evangelischer Kirche – und daran, dass dieser uniformierte Dienst sich als ein fauler Kompromiss entpuppte.
Der andere Zeitsplitter macht nun erstmals eine der Arrestzellen transparent, in die Soldaten, mehr noch die als Staatsfeinde verdächtigten Bausoldaten, nicht selten willkürlich gesperrt wurden. Das alles soll am heutigen Partyort Jugendherberge zur Wertschätzung der Demokratie beitragen, so der Förderkreis Bausoldaten Prora e. V. Die Voraussetzungen für ein Ende der einseitigen Wahrnehmung von Prora sind an diesem Platz gar nicht so schlecht. Stefan Wolter
Der Autor ist Historiker. Er betreibt die Datenbank www.denk-mal-prora.de
Stefan Wolter