Wohnen an der Ostsee: Kapital schlägt Geschichte
Im ehemaligen NS-Seebad Prora auf Rügen wurden die ersten Ferienwohnungen verkauft.
Axel Bering strahlt mit der Sonne um die Wette. Vom zweiten Stock des einst von den Nationalsozialisten als KdF (Kraft durch Freude)-Seebad geplanten Megabaus in Prora auf Rügen schaut der 51-Jährige auf die Ostsee. „Das ist eine Immobilie in bester Strandlage und nicht vermehrbar. So etwas bekommt man heute kaum noch“, freut sich der Berliner Geschäftsmann. Den Kiefernwald zwischen Haus und Sandstrand haben er und sein Geschäftspartner Michael Jacobi vom Unterholz befreien lassen. Und auch im Haus selbst weicht die bis vor kurzem vorherrschende Tristesse uniformer Räume und vergilbter Wände einer lichten Freundlichkeit.
Prora, von den Nazis als 4,5 Kilometer langes Seebad mit 20 000 Betten geplant, gilt als Prototyp einer Ferienanlage, in der die Bevölkerung im Erleben eines billigen Strandurlaubs gleichgeschaltet und für die Nazi-Ideologie begeistert werden sollte. Wegen des Kriegs wurde der Bau aus dem Jahr 1940 als NS-Ferienanlage nicht zu Ende gebaut. Zu DDR-Zeiten wurde der Komplex militärisch genutzt.
Ab 2004 verkaufte der Bund das denkmalgeschützte Megaobjekt scheibchenweise auf dem freien Markt – 3000 Gästebetten dürfen nach dem Bebauungsplan in unmittelbarer Nähe zu den Hotels und Pensionen des Ostseebades Binz entstehen. Doch Historiker wie der Chef des Dokumentationszentrums Prora, Jürgen Rostock, warnten davor, dass Prora mit dem Verkauf auf dem freien Markt zum Spekulationsobjekt verkommt und ideologische Intention und historischer Kontext, unter denen die gigantische Anlage geplant und gebaut wurde, in Vergessenheit geraten.
2012 kauften Bering und sein Geschäftspartner Michael Jacobi knapp einhundert Meter des denkmalgeschützten nationalsozialistischen Erbes auf Rügen von Ulrich Busch. Der Sohn von Agitpropsänger und Linken-Ikone Ernst Busch (1900–1980) hatte den Block I und II im Jahr 2006 für 455 000 Euro vom Bund erworben und nach Diskussionsrunden mit Denkmalschutz und Baubehörden Baugenehmigungen erwirkt. Doch dann ging es nicht weiter, weil das Kapital fehlte.
Hoteliers in Binz schauen mit Argwohn auf die Konkurrenz
Bering und Jacobi gaben ihrem Abschnitt den unverfänglichen Namen „Meersinfonie“. In zwei Aufgängen entstehen nun jeweils 30 Eigentumswohnungen. Für die Sanierung nehmen sie Millionenbeträge in die Hand. Von den ersten 30 Wohnungen seien 20 bereits notariell beurkundet, für die anderen zehn Einheiten gebe es ausreichend Interessenten, wie Bering betont. „Wir verkaufen im Windhundrennen.“ Neben der exzellenten Lage locken Eigennutzer und Kapitalanleger die derzeit niedrigen Zinsen und die Denkmalschutzabschreibung.
Eine Wohnung mit 80 Quadratmetern kostet 267 000 Euro – etwas mehr, als Busch im Jahr 2006 für einen kompletten Block zahlte. Am Sonnabend wird für die ersten Ferienwohnungen „Richtfest“ im Haus „Aurum“ gefeiert, „73 Jahre nach Baubeginn“, wie es in der Presseeinladung heißt. Was die neuen Eigentümer in den verkauften Blöcken machen, sei rechtlich nicht zu beanstanden, sagt der Binzer Bürgermeister Karsten Schneider. „Nach 20 Jahren Verfall sind endlich Investoren da, die den Eindruck erwecken, dass sie solvent sind.“
An den Wertsteigerungen des Betonkolosses hat das Ostseebad Binz, zu dem Prora gehört, nicht partizipiert. Mit Argwohn schauen Hoteliers auf die Konkurrenz nördlich der pittoresken Binzer Bäderarchitekur. „Ich hätte mir gewünscht, dass man Prora nicht allein der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben überlassen hätte“, sagt Gemeindechef Schneider. Was ihn wurmt, sind die 3000 Betten, die zusätzlich auf den Markt drücken und die sommerlichen Verkehrsprobleme um Binz mit bereits 14 500 Ferienbetten verschärfen. Schneider ist sich sicher: Mit einem Abriss von weiten Teilen der NS-Hinterlassenschaft nach 1990 und dem Erhalt eines Blockes als Denkmal hätte man sich viele Diskussionen erspart und Fehlentwicklungen verhindert.
Und: In diesem Fall hätte sich die Natur inzwischen wohl weite Teile des Areals zurückerobert – so wie es sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche anlässlich der Eröffnung des ebenfalls in Prora gelegenen Naturerbe-Zentrums wünschte. Zusammen mit einer Erlebnisausstellung soll das Zentrum einen Überblick über ökologisch besonders wertvolle Naturerbeflächen in Deutschland geben. Der zunehmende Flächenverbrauch gehe zulasten von Natur und Nachhaltigkeit, sagte Merkel. Die Bundesregierung wolle bis 2020 zwei Prozent der Landesfläche und fünf Prozent der Wälder als Wildnis wieder der Natur überlassen. In Prora aber hat man sich für einen anderen Weg entschieden. (dpa)
Martina Rathke