Krise der FDP vor der Landtagswahl in Sachsen: Auf ins letzte Gefecht
Deutschland geht es gut, nur die FDP kämpft ums Überleben. Eine Partei, die sich den Alleinvertretungsanspruch des Liberalismus auf die Fahne schrieb, verlor den Kontakt zur Vielfalt des liberalen Gedankenguts. Ein Paradox.
Wer im Niedergang der FDP gleich eine Krise des Liberalismus ausmachen wollte, gerät schnell in Erklärungsnöte. Denn auf den ersten Blick lässt sich wohl kaum behaupten, dass Vorstellungen von Freiheit und Individualismus oder die kapitalistische Wirtschaftsweise als solche ernsthaft an Attraktivität eingebüßt haben. Ganz im Gegenteil: Gesellschaftspolitisch diagnostiziert man eine anhaltende und sich weiter beschleunigende Liberalisierung – in den Geschlechterbeziehungen, in der Auflösung traditioneller Familienrollen, in der Distanzierung von konventionell und kirchlich geprägten Moralvorstellungen, in der gesellschaftlichen Öffnung für Minderheiten.
Eine „neue Bürgerlichkeit“ scheint durch den breiten Konsens getragen, die Freiheiten der Wohlstandsgesellschaft für neue Distinktionsmöglichkeiten zu nutzen. Die einst zur Schau gestellten Statussymbole der Wirtschaftswundergesellschaft sind in den Hintergrund getreten; das Geld der Gut- und Besserverdienenden wird zunehmend in Bildung, sportive Freizeitgestaltung, bewusste Ernährung und alternative Lebensstile investiert. Die neuen Sachzwänge einer auf Flexibilität, Innovation und Dauermobilität angewiesenen Ökonomie stehen erstaunlicherweise kaum zur Disposition.
Gleichwohl hat die FDP, die ihrem Selbstverständnis nach den parteipolitischen Liberalismus repräsentiert, von der unangefochtenen Zustimmung zum allgemeinen Liberalisierungstrend nicht profitieren können. Es scheint zum Schicksal des politischen Liberalismus zu gehören, dass seine Werte im politischen Feld nach links und rechts diffundierten. Er stand schon häufig im Verdacht, sich „totgesiegt“ zu haben. Liberale Parteien waren ohne Chance, jemals eigene Mehrheiten bilden zu können. Nationalliberale und Fortschrittler im Kaiserreich, DDP und DVP in Weimar und schließlich die FDP der Bundesrepublik konnten immer nur als kleiner Koalitionspartner Einfluss nehmen, auch weil sie klassenbewusst „bürgerlich“ blieben. Die herausragenden Persönlichkeiten des deutschen Liberalismus – Walter Rathenau, Gustav Stresemann, Theodor Heuss, Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher – vermochten es aber durchaus, den Gang der Politik zu beeinflussen und der Zeit ihren Stempel aufzudrücken.
Die FDP entwickelte intellektuellen Appeal für schillernde Figuren
Die FDP war eine Partei, die Kehrtwendungen und Verwandlungen vollzog. Ihre sozialliberale Öffnung von 1969 blieb verbunden mit den legendären, aber unwirksam gebliebenen Freiburger Thesen von 1971; sie entwickelte intellektuellen Appeal für schillernde Figuren wie Ralf Dahrendorf und Rudolf Augstein, die kurzzeitig Mandatsträger waren; sie trug maßgeblich zur Durchsetzung der Ostpolitik bei und entledigte sich ihres deutschnationalen Parteiflügels. Nicht zuletzt war es die lange Ära Genscher, die ein außen- und sicherheitspolitisches Renommee für die Partei erarbeitete, in dessen Licht einem die Fallhöhe Guido Westerwelles erst richtig bewusst wird. Blickt man auf die Geschichte der FDP, sollte man nicht vergessen, dass die Partei selten mehr als sechs bis acht Prozent der Wählergunst erreichte.
Allerdings gelang es ihr, sich als ausschlaggebende politische Kraft, als Zünglein an der Waage, zu profilieren und erheblichen Einfluss, verbunden mit gesellschaftlichen und außenpolitischen Richtungsentscheidungen, geltend zu machen. Ihren Erfolg verdankte sie dem Umstand, dass sie in der alten Bundesrepublik ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten und liberalen Denkrichtungen ein gemeinsames Dach bot: Bürgerrechtlern, Sozial- und Wirtschaftsliberalen.
Ein beispielloser politischer Absturz
Es bleibt erklärungsbedürftig, wie es ausgerechnet nach dem historischen Wahlsieg 2009 mit über 14 Prozent Stimmanteil zu einem beispiellosen politischen Absturz kommen konnte, der mit dem Gang in die außerparlamentarische Opposition vergangenen September den ersten dramatischen Tiefpunkt erreichte. Anders als viele Interpreten meinen, hat der Niedergang der FDP nur wenig mit der Lage des Liberalismus zu tun.
Das reiche Ideenreservoir des politischen Liberalismus – Bürger- und Freiheitsrechte, Rechtsstaat, Chancengleichheit und die liberale Hoffnung auf zivilisatorischen und technischen Fortschritt – gehört weiterhin zu den Antriebskräften für die politische Gestaltung moderner Gesellschaften. Im Fall FDP trat aber die paradoxe Situation ein, dass eine Partei, die sich den Alleinvertretungsanspruch des Liberalismus auf die Fahne schreibt, den Kontakt zur Vielfalt des liberalen Gedankenguts erkennbar verloren hatte.
Der Erfolg Guido Westerwelles als Parteivorsitzender war deshalb kurzlebig. Zu seiner Hinterlassenschaft zählt die Verantwortung für die geistige und personelle Entkernung der FDP. Als Westerwelle sich selbst zur „Freiheitsstatue der Republik“ ernannte, war darin eher Hybris als Humor zu erkennen. Er formte die Liberalen zur Einmannpartei, legte sie programmatisch auf Steuersenkung sowie die Segnungen der New Economy fest und züchtete ein Führungspersonal heran, das die Schnöseligkeit der jungen Besserverdienenden kultivierte.
Eine Trendwende für die FDP ist nicht in Sicht.
Westerwelles Rhetorik der großen Klappe, sein fehlendes soziales Gespür („spätrömische Dekadenz“) und sein maßloser Ehrgeiz fielen ihm auf die Füße, als der Weg in die schwarz-gelbe Koalition zusätzlich schwerwiegende strategische Fehler offenbarte. Er strebte ohne wahrnehmbare außenpolitische Kompetenz ins Auswärtige Amt, anstatt einen Ministerposten anzuvisieren, der ihm wirtschafts- und finanzpolitischen Gestaltungsraum ermöglicht hätte. Die FDP verlor ihre Wählerschaft rapide, weil es für ihre Wahlversprechen – Steuerreform, Entbürokratisierung – erwartungsgemäß keine politische Mehrheit gab. Die Diadochenkämpfe einer zerstrittenen Führungsriege taten ein Übriges, um das Erscheinungsbild der Partei in Höchstgeschwindigkeit zu ruinieren.
Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Es fällt schwer zu glauben, dass es dem jungen Vorsitzenden und einstigen Hoffnungsträger Christian Lindner in nächster Zeit gelingen könnte, die FDP wieder zurück in die Parlamente geschweige denn in die politische Verantwortung zu führen. Zwar müht er sich redlich, die Partei programmatisch aus der Sackgasse des Neoliberalismus herauszulotsen, doch stoßen seine Versuche, einen „mitfühlenden“ Liberalismus zu annoncieren und überhaupt die Existenzberechtigung der FDP zu begründen, kaum auf Resonanz. Nicht nur fehlt ein nachhaltiges Anliegen, sondern vor allem mangelt es an Führungspersonal, nachdem sich ehemalige Funktionäre sang- und klanglos in den Lobbyismus verabschiedeten oder über Plagiate stolperten.
Erfolg kommt von Charisma - doch das fehlt der FDP
Erfolgreiche Parteipolitik ist auf charismatische Persönlichkeiten angewiesen, das gilt zumal für den Liberalismus. Die einfluss- und erfolgreichsten Liberalen waren zumeist Pragmatiker, die auf eklektizistische Weise, mit praktischer Vernunft begabt, die unterschiedlichen, oft widerstreitenden liberalen Ziele im Auge behielten und sich eben nicht auf ideologische Verheißungen einließen. Ein zu Unrecht vergessener deutscher Liberaler, der Nationalökonom und Staatswissenschaftler Moritz Julius Bonn, Mitbegründer der DDP, erinnerte bereits in der Weimarer Republik daran, dass der Liberalismus nie allein die Interessen einer Schicht im Auge haben dürfe, sondern sich um das Wohl aller Bürger kümmern müsse. Das bedeutete gerade in ökonomischen Fragen die Abkehr von jedem Dogmatismus und die Anerkennung einer Steuerungsfunktion des Staates.
Die klugen Liberalen der Vergangenheit wussten um die Fragilität gesellschaftlicher Ordnung. Max Weber und Friedrich Naumann, die Vordenker des Ordoliberalismus wie Walter Eucken und Wilhelm Röpke, aber auch Ralf Dahrendorf waren sich alle darüber im Klaren, dass liberale Politik auf die soziale Einhegung eines dynamischen, sich stetig wandelnden Kapitalismus zielen müsse. Sie erkannten ihre Aufgabe darin, die Kosten des Fortschritts und die spürbaren Modernisierungsschäden ebenso nüchtern wie kritisch wahrzunehmen, um die Lebenschancen des Bürgers und die gleichen Möglichkeiten für ein gutes Leben zu sichern. Die dazu nötige intellektuelle Anstrengung ist auch heute gefragt, nur wird man ihr Kraftzentrum auf absehbarer Zeit wohl nicht in der Nähe der FDP orten.
Jens Hacke, 40, ist Politikwissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung und arbeitet an einer Studie zur Ideengeschichte des Liberalismus.
Jens Hacke