Kuba, ein linker Mythos: Auf eine Zigarre mit Fidel
Kuba, das war der Traum der Linken in aller Welt von einem menschlichen Sozialismus. Erinnerung an eine Insel, die jahrzehntelange gelebte Utopie und Hassobjekt zugleich war.
Amerika ist reif für diese Insel. Präsident Obama reicht Kuba die Hand. Amerika ist also bereit, womöglich, eine jahrzehntealte Haltung zu überwinden, die zum Museum des Kalten Krieges gehört. Papst Franziskus, der als Mittler fungiert hat, freut sich, der UN-Generalsekretär begrüßt das Tauwetter, in Brüssel wird applaudiert. Auf der Insel selbst wird, was sonst, getanzt. Während sich Kubaner vom Ende des Embargos mehr Dollars erhoffen, Reisefreiheit, Internetanschlüsse, das Andocken an Miami Beach, erinnern sich Linke in aller Welt an den Traum vom entspannten Sozialismus unter Palmen, dem schönsten, den es je gab – oder gegeben zu haben schien. Those were the days!
1961, in den „Flitterwochen der Revolution“, wie sie es nannten, machten sich Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir, das Paradepaar der politischen Utopie, auf nach Havanna, um das weltweit einzig annehmbare Modell eines wirklichen Sozialismus persönlich zu begehen. Zwei Monate verbrachten sie auf der Insel, diskutierten Nächte mit Fidel Castro und Ernesto Guevara genannt Ché. Von ihm ließ Sartre sich Feuer für seine Zigarre geben, das Paar bewunderte ihn beim Reparieren eines Kühlschranks. Castro, Kopf der Revolution, Jesuitenschüler und Jurist, aber auch ein Mann, der sich nie zu schade für die Praxis war. In Paris erklärte Sartre: „Es ist für einen Intellektuellen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unmöglich, nicht auf der Seite Kubas zu stehen.“
Die fruchtbarste Dekade, die "década prodigiosa", war zwischen 1960 und 1970
Jenseits des brachialen Stalinismus und des dogmatischen Leninismus hatte sich auf der langen, leicht fischförmigen Insel ein blühender, tropischer Sozialismus entwickelt, der die humanistischen Ideale seiner Urheber Wirklichkeit werden ließ. Zwischen 1960 und 1970 fiel die „década prodigiosa“, die fruchtbarste Dekade. Aus Analphabeten war eine Bevölkerung von selbstbewussten, lesenden, debattierenden Leuten geworden, es gab Literatur, Kunst, Orchester, Schulen und Bibliotheken für alle, Kliniken mit Gratisversorgung. Zur Entdeckung der Welt trug die Kulturbeilage „Lunes“ der Zeitung „Revolución“ bei, zeitweise mit einer Auflage von 250 000. „Lunes“ druckte Texte von Borges, Faulkner, Sartre, Neruda, Virginia Woolf, Bilder von Picasso und Miró. Intellektuelle und Künstler auf allen Kontinenten zog es, in der Fantasie oder per Flugzeug, nach Kuba, zum Traum der Linken und Alptraum der Rechten.
1963 produzierte Agnes Varda ihren Kurzfilm „Salut les Cubains“, eine bewegte Montage von Fotografien, die sie von Dezember 1962 bis Januar 1963 auf Kuba aufgenommen hatte. Michel Piccoli sprach den Text zu den Bildern aus dem fröhlich bis melancholisch präsentierten Alltag der Insel ohne Klassenhass und Rassismus. Schwarze Kinder tragen weiße Puppen, weiße Kinder schwarze Puppen, schwärmt der Kommentar. Venedigs Dokumentarfilmfestival ehrte den Film, der heute auf vielen Webseiten zu sehen ist.
Hans Magnus Enzensberger ließ ein Stipendium sausen und reiste nach Kuba
Das zweite Kursbuch von 1965, dem zweiten der legendären Bände überhaupt, druckte eine Rede Fidel Castros vor der Uno, die nicht nur Herausgeber Hans Magnus Enzensberger beeindruckte. Ihn aber ganz besonders. Im Februar 1968 ließ er ein Stipendium an der Wesleyan University sausen, um vom Klassenfeind USA zu den Revolutionären zu reisen. Der damals 38-Jährige war einer von vielen solcher Touristen, doch von den anderen hielt er offenbar wenig. Er dichtete: „Diese Ausländer, die sich photographieren ließen / auf den Zuckerfeldern von Oriente, das Messer hoch / erhoben, die Haare verklebt, das Kattunhemd steif / von Sirup und Schweiß: Überflüssige Leute!“
Auch Henze kam - und komponierte die Revolution in seine Symphonie
Von derlei Votum nicht abgeschreckt lebte Hans Werner Henze 1969 eine Weile auf Kuba, wo er seine Sinfonia Nr. 6 komponierte und bei der Uraufführung in Havanna am 26. November 1969 selbst das Orquesta Sinfónica Nacional dirigierte. Er habe sich, so Henze, seiner Erfahrungen als Bourgeois bedient, der zwanzig Jahre lang Musik im Auftrag der herrschenden Klasse, aber wider die Bourgeoisie geschrieben hatte. Nun wolle er die direkte Affirmation der Revolution. Seine Symphonie zitierte unter anderem Lieder der vietnamesischen Befreiungsfront und kubanische Son-Rhythmen.
Castro schimpfte später auf seine einstigen Freunde
Kuba, eingezwängt zwischen sämtlichen Parteien des Kalten Krieges, beargwöhnt von den Konservativen aller Länder sowie, bei aller Sympathie, von China und der UdSSR, suchte Schutz, und ging auf Angebote der Sowjetunion ein. In den Tropen änderte sich das politische Klima, Intellektuelle wurden auf Linie gebracht, „Lunes“ nicht mehr gedruckt. Als 1971 ein prominenter Autor verhaftet wurde, brachte Le Monde einen offenen Brief an Castro, signiert von Sartre, Beauvoir und anderen: Italo Calvino, Marguerite Duras, Hans Magnus Enzensberger, Carlos Fuentes, Juan Goytisolo, Alberto Moravia, Rossana Rossanda, Jorge Semprun und Mario Vargas Llosa. Als Freunde der Revolution und in deren Geist warnten sie vor Sektierertum und Repression, gerade jetzt, da in Bolivien, Chile und Peru die Chance bestünde, die „kriminelle Blockade durch den Imperialismus der USA“ zu überwinden. Castro schimpfte auf die „verabscheuungswürdigen Agenten des Kulturimperialismus“ und erklärte sie zu personae non gratae. Aus Flirt und Liebe war fast ein Scheidungsfall geworden.
Aber nur fast. Der Mythos der kubanischen Blüte des Sozialismus war beharrlicher. Einer seiner Protagonisten war Wolf Biermann, der 1975, zwei Jahre vor seiner Ausweisung, in der DDR einen Song schrieb, den auch das halbe, junge Westdeutschland mitsang: „Uns bleibt, was gut war und klar war: / Dass man bei dir immer durchsah / und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah / Comandante Ché Guevara“. Biermann skizziert die weltberühmte Ikone Ché in wenigen Worten: „Der rote Stern an der Jacke / im schwarzen Bart die Zigarre / Jesus Christus mit der Knarre / so führt dein Bild uns zur Attacke.“
Mit dem Zerfall des Ostblocks verlor Kuba seine sowjetischen Geldgeber und die Mehrzahl seiner letzten Freunde. Treu blieben Gabriel García Márquez, Gérard Depardieu, Sean Penn oder Ted Turner – CNN unterhält seit Jahrzehnten ein Fernsehstudio in Havanna. Mit einem letzten, melancholischen Hauch feierte 1999 Wim Wenders’ Film „Buena Vista Social Club“ Kubas soziale Musikalität. Das Portrait betagter, aber beschwingter Altmeister kubanischer Musik zündete ein Flämmchen des großen Einst an, auch in der nächsten Generation. Wer Kuba bereist, kann Spuren der „década prodigiosa“ noch finden, etwa da, wo Lässigkeit, Stolz und Humor sich zu einem Selbstbewusstsein kombinieren, das auch einen Armen jedes Trinkgeld ablehnen lässt, mit breitem Grinsen: „Ich bin Kubaner!“
Der neue Anti-Kubanismus, den Amerikas Republikaner und eine Schar neoliberaler Europäer jetzt nach Obamas Offerte entfalten werden, dürfte das Flämmchen noch mal größer werden lassen. Hassobjekt war das Modell Kuba bei Kritikern sozialer Utopien nämlich besonders aus einem Grund: Weil es tatsächlich, wenn auch nur kurz, nur eine Phase lang, attraktiv und lebendig funktioniert hat. Weil Kuba verführen konnte, wie kein Rumänien, Sowjetrussland oder Nordkorea. Tropensozialismus, das war nicht abschreckend, sondern ansteckend. Kann eine bessere, menschlichere, egalitärere Gesellschaft wirklich und wirksam existieren? Kuba war das Ja zur Frage. Irgendwie ging das dort, in der Anfangsphase mit Überschuss an Idealen und Mangel an Dogmatismus. Dieser Funke eines funktionierenden Sozialismus, auf einer kleinen, wie erfunden wirkenden Insel, der allein war die kubanische Gefahr.
Caroline Fetscher
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