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© Illustration: Lenkova/Gerstenberg

Deutsch-deutsche Geschichte: Geteilte Erinnerung

Eine neue Generation von Comiczeichnern arbeitet 20 Jahre nach dem Mauerfall die Geschichte auf

Höchste Zeit, dass Bücher wie diese erscheinen, findet Rainer Eppelmann. „Wir müssen noch fantasievoller sein, um ein realistisches Bild von der SED-Diktatur zu vermitteln“, meint der Vorstand der Bundesstiftung Aufarbeitung. Da immer mehr Deutsche die Zeit vor 1989 nicht mehr persönlich oder höchstens als Kind erlebt haben, können Comics „die Eintrittskarte in eine komplexere Beschäftigung mit dem Thema sein“. Der Anlass für das ungewöhnliche Lob des einstigen Bürgerrechtlers: Die im August eröffnete Ausstellung mit den Tagesspiegel-Comics des Zeichners Flix zur deutschen Teilung und zur Wiedervereinigung an der Mauergedenkstätte Bernauer Straße.

Flix befindet sich in guter Gesellschaft. In den vergangenen Wochen sind zwei weitere Bücher erschienen, die sich mit deutscher Teilung und Wiedervereinigung beschäftigen, andere Zeichner arbeiten an ähnlichen Projekten. Was alle Autoren eint: Sie gehören der Generation an, die mindestens die Hälfte ihres Lebens im vereinigten Deutschland verbracht hat, das ermöglicht Reflexionen nicht nur über Historisches, sondern auch über dessen Nachwirken in die Gegenwart.

Das persönlichste und erzählerisch stärkste Buch kommt von Simon Schwartz.

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Klare Linie. Cover des Buches von Simon Schwartz.
© Illustration: Schwartz/Avant

Der Hamburger Zeichner beschreibt die von einem Familienzerwürfnis begleitete Ausreise seiner Eltern aus dem SED-Staat nach West-Berlin. In „drüben!“ (Avant, 108 Seiten, 14,95 Euro) arbeitet Schwartz seine Familiengeschichte – er war eineinhalb Jahre, als seine Eltern die DDR verließen – mit analytischem Tiefgang auf. Er erzählt in klaren, eleganten Bildern, wie seine Eltern zunehmend am Sinn des DDR-Systems zweifelten und letztendlich mit dem Land brachen. Das alles zeichnet Schwartz mit einem sachlich wirkenden Strich, der in der Konzentration auf das Wesentliche an den Iran-Comic „Persepolis“ erinnert.

Skizzenhafter nähert sich Claire Lenkova dem Thema. Auch sie kam in der DDR zur Welt, ging mit ihrer Familie unter großen Entbehrungen aus Zwickau nach Bayern und verarbeitet die persönlichen Erfahrungen vor allem ihrer Eltern als Bildergeschichte. Ihr Buch „Grenzgebiete“ (Gerstenberg, 48 Seiten, 14,90 Euro) wirkt allerdings vor allem durch die eingeschobenen und primär für junge Leser gedachten Sachtexte arg schulbuchhaft, auch wenn die kolorierten Bleistiftzeichnungen eine dichte Atmosphäre erzeugen.

An Leser jeden Alters richtet sich Flix, dessen Tagesspiegel-Episoden „Da war mal was …“ (Carlsen, 96 Seiten, 14,90 Euro, Präsentation am 7. November, 17 Uhr, bei Dussmann, Friedrichstraße 90, Mitte)

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Bekannt aus dem Tagesspiegel. Die gesammelten Strips von Flix sind vor kurzem als Buch erschienen.
© Illustration: Flix/Carlsen

als Buch erschienen sind. Flix - dessen Buch unter diesem Link ausführlicher gewürdigt wird - bedient sich primär der Erzählungen anderer Menschen – die Distanz hilft ihm, die Erinnerungen auf ihren Kern zu reduzieren und zu souverän gezeichneten Kurzdramen zu verdichten.

Diese Bücher sind nach Gerhard Seyfrieds schon 1990 erschienenem Mauerfall-Comic „Flucht aus Berlin“ (bei Zweitausendeins neu aufgelegt) und dem 1999 von einer Autorengruppe bei Ehapa veröffentlichten Familiendrama „Geht doch rüber!“ (nur antiquarisch erhältlich) eine vielversprechende Fortsetzung der Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte im Comic.

Bald kommt noch mehr: Der Zeichner Peter Auge Lorenz zeigt auf seinem Blog (www.augelorenz.blogspot.com) jetzt das erste Kapitel einer Erzählung zum DDR-Alltag. „Bildgeschichten können nicht Zeitzeugen oder Forschung ersetzen“, sagt Rainer Eppelmann. „Aber sie können Neugier wecken.“

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