Kunstsammlungen von den Eltern: Auf den Sperrmüll oder zu Sotheby’s?
Immer mehr Menschen erben Kunstsammlungen von ihren Eltern. Gar nicht so einfach. Ein Gespräch mit der Expertin Sasa Hanten-Schmidt.
Deutschland ist neben England und der Schweiz einer der wichtigsten Standorte für Kunstsammler. Auch Berlin profitiert von seinen Sammlern, ob Ulla und Heiner Pietzsch, Erich Marx oder Barbara und Axel Haubrok. In den letzten Jahren haben in der Bundesrepublik zahlreiche Unternehmer und Selbstständige Kunstsammlungen aufgebaut. Nun steht eine mächtige Erbschaftswelle bevor. Unsere Gesprächspartnerin, Sasa Hanten-Schmidt, hat das Symposium „Der Faktor Mensch“ mitorganisiert, das sich jetzt in Köln mit den psychologischen Implikationen des Erbens befasst: Wenn ein charismatischer Lenker wegfällt, ist oft auch die Kunst in Gefahr.
Frau Hanten-Schmidt, Sie sammeln auch selbst, welche Kunst ist das?
Ich verstehe mich nicht primär als Sammlerin. Meine Kunstkollektion ist lebensbegleitend entstanden, von meinen Anfängen bis heute im Rahmen meiner Tätigkeit als Sachverständige. In dieser Funktion bin ich zuständig für Kunst ab 1960. Ich habe zusätzlich die Verantwortung in einer Sammlung übernommen, die mein Mann mitgebracht hat. Dazu gehören Werke von Rosemarie Trockel, Günther Förg, Tacita Dean, Francis Bacon und Tobias Rehberger. Ich sage Ihnen, was ich sehe, wenn ich durch mein Arbeitszimmer gehe. Was von mir dazugekommen ist, sind lebensbegleitende Positionen, etwa Angela Glajcar, deren Werkverzeichnis ich herausgebe, und radikal zeitgenössische Positionen, Via Lewandowsky, ULAY, Rose Eken. Die Arbeiten sind fast alle im neuen Jahrtausend entstanden.
Wird die Sammlung öffentlich präsentiert?
Wir haben ein Sammlungshaus in Köln, das man zu bestimmten Gelegenheiten besichtigen kann, wie jetzt während der Art Cologne. Die Sammlung befindet sich in den Häusern, in denen wir wohnen, an Standorten in Wien, Köln und Dresden. Und es gibt ein Depot. Sammeln bedeutet ja, dass man mehr besitzt als man aufhängen kann. Eine Sammlung ohne Depot gibt es in der allgemeinen Definition nicht. Das wäre dann einfach die Ausschmückung des Wohnumfeldes, noch keine Sammlung.
Sie beraten andere Kunstsammler. Welche Probleme tauchen auf, wenn ein Generationswechsel ansteht?
Zu mir kommen Sammler oder Künstler, die etwas zu vererben haben und planen, wie es nach ihnen laufen soll. Oder es kommen Erben zu mir, weil sie eine Erbschaftssteuererklärung abgeben oder einen Pflichtteil auszahlen müssen. Oder weil sie eine Sammlung in eine Stiftung einlegen wollen. Aber oft greifen die Fragen, die an mich gestellt werden, viel zu kurz.
Welche Aspekte sind es, die nicht bedacht werden?
Manchmal haben Kinder die Sammlung schon ihr ganzes Leben lang gehasst und wollen sie gar nicht übernehmen. Zum Beispiel, weil die Aufmerksamkeit der Vorfahren sich nur auf die Kunst bezogen hat und nicht auf sie selbst. Kennt man erst den Geldwert einer Sammlung, kann man bestimmen, welcher Pflichtteil ausbezahlt werden muss und was an Erbschaftssteuer anfällt. Das Juristische kriegt man auf die Reihe. Die Probleme sind meistens psychologisch-soziologischer Natur.
Raten Sie zum Verkauf, wenn ein Mandant die Sammlung seiner Eltern hasst?
Nein, das nicht unbedingt. Aber verstehen hilft oft schon, ein Problem zu lösen. Manchmal reicht es, darüber zu reden.
Die Widerstände der Erben, den „Faktor Mensch“, behandeln Sie jetzt auch in einem Symposium in Köln.
In Erbschaftssituationen geht es ja oft um fiktive Werte. Man erbt nicht nur schieres Geld. Erben bedeutet, dass man eine Wohnung, ein Haus, ein vollgestopftes Lager erbt und jemand muss entscheiden: Das kommt zum Entrümpelungsdienst, das kommt zu Sotheby’s, das behalte ich. Um zu verstehen, wie eine Sammlung funktioniert, ob es überhaupt eine Sammlung ist, ob es eine wertvolle Sammlung ist, dafür braucht man Hilfe. Deshalb bringen wir Experten aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen, Sachverständige, Psychologen, auch einen Wissenschaftler wie Jens Beckert vom Max-Planck-Institut, der sich mit der Soziologie des Erbens beschäftigt
Erben ist nicht nur ein Geschenk, es kann auch Zündstoff für die Familie sein?
Leidenschaft lässt sich nicht zwanglos vererben. Nur weil Ihnen ein Gemälde gefällt, gefällt es Ihrer Tochter noch lange nicht. Ob man die Geschichte dazu wertschätzt oder ablehnt, hängt von psychologischen Mustern ab. Versteht man, was der innere Motor für das Sammeln war, kann man damit in der Regel mehr anfangen als mit den blanken Bildern im Depot.
"Die Familie hat oft das schlechteste Verhältnis zu der Kunst."
In Ihrem 2018 veröffentlichten Buch „Sieh mich an!“ analysieren Sie, wie die Familiensammlung aufgebaut wurde, die Sie gemeinsam mit Ihrem Mann betreuen.
Ich habe an vielen Beispielen gesehen, dass Sammler gar nicht wissen, was sie eigentlich haben, oder dass die Kinder gar nicht wissen, wie die Sammlung der Eltern zusammengekommen ist. Der wichtigste Punkt im Buch ist, exemplarisch nachzuvollziehen, wie eine deutsche Unternehmersammlung in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Es ist notwendig, bei jedem Stück zu überlegen, warum es gekauft wurde oder warum es wieder gegen etwas anderes getauscht wurde und wie das Gesamtkonvolut entstanden ist.
Solche Sammlungen sind nach einem einheitlichen Muster aufgebaut?
Ja. Zwar begreifen sich alle Sammler als singulär Handelnde, aber alle sind in dieselben soziologischen Gegebenheiten eingebettet. Man gründet ein Unternehmen oder übernimmt ein kleines Unternehmen, das man groß macht, dann beginnt man, Kunst zu kaufen, um das Haus zu dekorieren. Und irgendwann überspringt das eine Hürde und wird zum Sammeln. Es macht etwas mit einem, wenn man sich mit Nachdruck mit Kunst beschäftigt.
Warum werden so viele Unternehmer und Selbstständige zu Kunstsammlern?
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, etwa aus der Spieltheorie: Man simuliert unternehmerische Wagnisse. Oder man erfährt Selbstwirksamkeit durch den Kauf von Kunst. Distinktion, soziale Abgrenzung, Außendarstellung können ebenfalls Motoren sein. Oder man erlebt Transzendenzerfahrungen durch das Kunstsammeln. Diese Aspekte finden sich in allen Sammlungen wieder, mehr oder weniger stark ausgeprägt. Nicht zuletzt ist auch das Sammeln selbst ein kreativer Akt. Das hat schon Goethe gesagt. Es wird aber nicht hinreichend reflektiert.
Ein Unternehmer fängt an, Kunst zu kaufen. Wie wird es dann eine Sammlung?
Die Sammlung wird immer größer und ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es kein privates Hobby mehr, sondern es wird sichtbar. Wie geht es dann weiter? Gründet man ein privates Museum, schließt man sich einem öffentlichen Haus an, öffnet man sein eigenes Haus, um über die Sammlung zu reden, um andere zum Kunstgenuss anzuregen oder zum Sammeln einzuladen? Oft kommt es vor, dass zwar nach außen viel mit der Sammlung gemacht und anekdotenhaft erzählt wird, wie sie entstand, aber nach innen nicht.
Die am nächsten dran sind, die Familie, wissen am wenigsten?
Sie haben oft das schlechteste Verhältnis zu der Kunst und eine bizarre Fehlvorstellung davon, wie viel oder wenig die Sammlung wert ist. Dieses Nicht-Miteinander-Sprechen und Schlecht-Informiertsein findet sich eigentlich immer. Manchmal haben die Kinder selber Lust zu sammeln, dann aber ganz sicher nicht die Kunst der Eltern, weil man sich auch abgrenzen will gegen die Eltern. Entscheidend ist, ob es gelingt, das zu integrieren. Darin liegt ein Teil des Geheimnisses: Davon hängt ab, welche Sammlungen es schaffen, die Generationsgrenze zu überspringen und welche nicht.
An diesem Dienstag, den 9. April, findet in Köln das Symposium „Der Faktor Mensch“ statt, das Hanten-Schmidt mitorganisiert hat und sich der Frage des „Generationsübergangs mit Kunst“ widmet. Informationen: www.ifsforum.de
Birgit Rieger
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