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Was ist hier los? Inge Moraths Lama
© Magnum Fotos/Veborgenes Museum

Die Magnum-Fotografin Inge Morath: Auf Augenhöhe mit dem Gegenüber

Unprätentiös und offen: Das Verborgene Museum zeigt Arbeiten der Magnum-Fotografin Inge Morath.

In einem Waggon der Holzklasse, mit neuem Hut und „einer beträchtlichen Anzahl von Sandwiches“ reist Inge Morath 1949 nach Paris, aufgeregt wie ein Teenager. Robert Capa, der charismatische Chefakteur der frisch gegründeten Fotoagentur Magnum, hat die junge Textjournalistin zusammen mit einem Fotokollegen eingeladen. Noch fotografiert sie nicht selbst, versteht aber zu recherchieren, hat ein Gespür für Stories und ihr Auge als Bildredakteurin geschult.

Sie heuert bei Magnum an. Der Fotojournalismus boomt, die Neugier auf Bilder der Welt ist unersättlich, und den jungen Fotografen kribbelt es in den Fingern. Bald greift auch Inge Morath zur Kamera. In Venedig schießt sie ihre ersten Aufnahmen. Spielende Kinder auf dem Campo di Ghetto Nuovo, Transportarbeiter mit geschulterten Säcken. Jahrzehnte wird Inge Morath von nun an mehr auf Reisen verbringen, als irgendwo in Paris oder USA zu Hause.

Wenn sie nicht unterwegs ist, bereitet Morath ihre Reportagetrips gründlich vor oder nach. Sie lernt Mandarin, um mit den Chinesen ins Gespräch zu kommen, paukt Russisch, studiert die Kulturen des Iran. Der Seidenstraße will sie nachgehen, mit offenem Sucher und Neugier für das Andere. Seit ihrer Heirat mit dem US-Schriftsteller Arthur Miller 1962 ist das Paar zusammen unterwegs, er hat die Kontakte, öffnet Türen, sie führt akribisch Tagebuch, drückt auf den Auslöser. Ihr Blick geht nach außen und gleichzeitig nach innen. Surreales Sehen und die Alten Meister der Kunstgeschichte haben sie geprägt. Aber ihr Stil bleibt unprätentiös, offen und ohne artifizielle Attitüde.

Ihre Aufnahmen beruhigen den Blick, lassen die Zeit für einen Moment langsamer vergehen

Das Verborgene Museum, das seit 1986 Kunst von Frauen dokumentiert, stellt die 2002 verstorbene Fotografin in Zusammenarbeit mit dem Fotohof Archiv Salzburg vor. Vor allem frühe Aufnahme aus den fünfziger Jahren wurden ausgewählt. Die Aufnahmen verströmen das sanfte Retroflair der Fünfziger, entrückt in Schwarzweiß. Mit wehenden Soutanen überqueren zwei junge spanische Priester die Straße, auf dem Times Square in New York streckt ein Lama seinen Kopf aus dem Autofenster, in Isfahan trommelt ein Straßenmusiker. Im Flüchtlingslager in Gaza schaukeln die Kinder 1960 frenetisch. Für die UNESCO war die Fotografin damals mit dem Schauspieler Yul Brunner in Europa und Nahost unterwegs, um ein Fotoprojekt über Flüchtlinge zu realisieren. Mit Henri Cartier-Bresson brauste sie wenig später im Auto durch Amerika, fotografierte auf Filmsets und auf eigene Faust. Was Morath unterwegs auf ihren Reisen findet, sind nicht Sehenswürdigkeiten, sondern Menschen. Die glamouröse, schwerreiche Gloria Vanderbilt zeigt sie schlicht im schwarzen Rolli hinter einer Fensterscheibe: isoliert, aber bei sich. Morath wahrt Distanz und lässt ihren Porträtmodellen Raum. Auf ihren Künstlerporträts scheinen Louise Bourgeois oder Henry Moore ihren eigenen Werken zu lauschen und werden selbst fast zur Nebenfigur.

Da kann sich einer hinter einer Maske verstecken, wie der Karikaturist Saul Steinberg, der sich nur mit Papiermaske fotografieren lassen wollte: Gesehen wird er doch. Henri Cartier-Bresson hat Inge Morath dann selbst abgelichtet, irgendwo in Paris auf einer Straße. Die Fotografin geht leicht in die Knie, die Kamera im Anschlag. Sie blickt über den Sucher hinweg direkt auf ihr Motiv: immer auf Augenhöhe mit dem Gegenüber.

Ihre Aufnahmen beruhigen den Blick, lassen die Zeit für einen Moment langsamer vergehen. Und sie erinnern an eine vergangene Ära: Die Art von Bildreportagen, „Life“-Magazinen und Fotobüchern, für die Inge Moraths Arbeiten entstanden, gibt es nicht mehr.

Verborgenes Museum, bis 26. 8.; Do u. Fr 15-19 Uhr, Sa u. So 12 - 16 Uhr

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