Synchronsprecher Tom Vogt: Atmen, stottern, schreien
Morgens Herzensbrecher, mittags Serienkiller und abends Werbung für Lutschpastillen. Im Studio mit Tom Vogt, der deutschen Stimme von Colin Firth und Russell Crowe.
In Deutschland ist Tom Vogt Colin Firth. Ebenso Clive Owen, Chris Noth und Nathaniel Parker. Manchmal aber auch Ralph Fiennes und Russell Crowe. Oder Volvo, Warsteiner und Nivea Men. Heute aber ist Tom Vogt Mark Strong in der Rolle eines sturen Bürokraten. Denn Tom Vogt leiht Mark Strong seine unverwechselbare tief-raue Stimme. Dieses Mal in einem Film mit dem Titel „Jadotville“. Der deutsche Titel ist noch nicht bekannt.
Damit Vogt und Strong zusammenfinden, steht der Synchronschauspieler nun in einem dunklen Raum, vor ihm hunderte Seiten Text, Mikro und Bildschirm. Letzterer zeigt gerade eine zwei Sekunden-Szene, die Vogt gleich sprechen soll. Einmal zum Ansehen im Original, dann ein weiteres Mal zum Nachsprechen. Ein Countdown zählt runter. Vier, drei, zwei, eins. „Hmm“, macht Vogt. Sein Körper ist angespannt. Seine Bewegungen und der Rhythmus seiner Aussprache folgen denen Strongs.
Bleibt die Zunge vorne oder hinten?
Vogts Arbeit erfordert hohe Konzentration. Der 59-Jährige muss das Spiel seiner Kollegen spontan erfassen, muss ihre Gesprächshaltung nachahmen und passende deutsche Betonungen finden. Und das in Sekunden. Spricht der Schauspieler auf dem Bildschirm mit der Zunge vorne oder hinten? Bleibt der Mund eher geschlossen oder ist er ein Breitmaul? Nuschelt er? Spricht er ironisch?
„Zu lang“, sagt jetzt die Cutterin. Ihr Job: darauf achten, dass Vogts Sprache zu Strongs Mundbewegungen passt. Also noch mal. Vier, drei, zwei, eins. „Hmmmmmmmm.“ „Schon besser, aber da ist eine kleine Pause im Original.“ Vier, drei, zwei, eins.
Cutterin, Regisseur und Toningenieur arbeiten zusammen mit dem Sprecher
„Hmmm-mmmm.“ „Du, weil der schon sehr erregt ist, kannst du da ruhig ein bisschen mehr opponieren“, sagt jetzt der Regisseur. Er ist für die Kontrolle des Ausdrucks und der Betonungen zuständig und sitzt in einem separaten Raum. Bei ihm ist der Toningenieur, zuständig für Klang und Lautstärke. Auf seinen Bildschirmen tanzen Dutzende Pegel eine wirre Choreografie. Vier, drei, zwei, eins.
„Hmmm-mmmm“, macht Vogt ein viertes Mal. „Okay“, sagt die Cutterin. „Sehr gut“, sagt der Regisseur. Vogt hält die Körperspannung noch an, vielleicht zwei Sekunden, dann macht er sich locker. Seine Rechte wandert in die Hosentasche, seine Linke zum Smartphone.
Ein Spielfilm hat etwa 1000 Takes
Kurz Pause, dann sofort der nächste Take, also die nächste gesprochene Szene. Das können ein oder zwei Sätze sein, eine Reaktion oder aber ein „Hmmmm“ wie gerade eben. Ein Spielfilm hat etwa 1000 Takes, eine 42-minütige Serienfolge bis zu 500. Je nach Verhandlung und Marktwert lassen sich Produktionsfirmen einen solchen zwischen 2,60 Euro und vier Euro kosten. Besonders gefragte Stimmen jedoch bekommen noch einmal deutlich mehr.
Vogt hat Glück: Heute darf er den Film so sehen, wie ihn auch das Publikum sehen wird. Das ist nicht immer der Fall. Denn die Produktionsfirmen haben Angst, dass ihre Filme vor Veröffentlichung illegal kopiert werden. Einige senden den Synchronstudios daher vorbearbeitete Takes zu, in denen alles geschwärzt ist – außer den Mündern der sprechenden Schauspieler. Das Synchronteam sieht also nicht, wo sich die Darsteller aufhalten; nicht, wer bei ihnen ist und mit wem sie sprechen. „Adventskalender-Synchronisation“ nennt Vogt das. Bei „Matrix 3“ lief das so ab. Vogt sprach in der Trilogie Laurence Fishburne in der Rolle des Morpheus.
Spaß macht's, wenn's dem Schauspieler Spaß macht
Insgesamt eine angenehme Arbeit heute. „Strong spielt straight“, sagt Vogt. Das zu sprechen fällt ihm nicht schwer – der Regisseur hat wenig zu meckern.
Als er König George VI. in „The King’s Speech“ synchronisierte, hatten er und das Produktionsteam wesentlich mehr Arbeit. Denn alle Stotterer, Atmer und Ausbrüche des Königs mussten auf den Punkt mitgesprochen werden. Stottern beim K im Wort „König“ – Atmer – drei Worte flüssig sprechen – schlucken – zwei Anläufe für das V von „Vater“.
Trotzdem: Es habe Spaß gemacht. Denn Spaß, sagt Vogt, macht’s immer dann, wenn’s dem Schauspieler Spaß macht. Genauer: wenn der Schauspieler in seiner Rolle aufgeht. Bei Colin Firth als König George VI. war das der Fall. Rupert Everett sei ebenfalls einer, der mit Leidenschaft spiele. Humor- und liebevoll widme der sich seinen Rollen.
Durchbruch mit "Die Hochzeit meines besten Freundes"
Auch Tom Vogt hat eine Schauspielausbildung absolviert, arbeitete vier Jahre lang an Theatern in Deutschland und der Schweiz. „Aber wenn man nicht ganz die große Nummer ist“, sagt er, „dann ist Schauspiel in hohem Maße fremdbestimmt.“ Beim Synchronisieren gebe es ebenfalls einen engen Rahmen. Nur: Da ist das was anderes. „Hier begegnet man sich grundsätzlich mit Respekt. Vor allem, weil wir Sprecher frei arbeiten. Wenn mir da einer dumm kommt, dann mache ich halt nicht mit.“ Also ist gegenseitige Achtung im Atelieralltag Standard.
In der Vergangenheit führte Vogt, der in Lichterfelde wohnt, lieber Meinungsumfragen zu Gartenscheren durch, als weiter auf Bühnen zu stehen. Parallel begann er mit kleinen Synchronrollen. Solchen, die in einem Stimmwirrwarr untergehen. Solchen, die etwas sagen wie „Guten Morgen, Sir“ – und das war’s dann. Der Durchbruch kam mit „Die Hochzeit meines besten Freundes“, als Tom Vogt seine Stimme Rupert Everett lieh. Seither spricht er Werbung, Dokumentationen, Hörbücher und Filmrollen. Sogar Kino- und Radiowerbung des Tagesspiegels hat er mal übernommen.
Jeder Termin eine neue Situation
Sechs Sprecher-Termine hat Vogt heute nacheinander. Üblich sei das nicht, aber es ist durchaus mal möglich, dass Synchronschauspieler frühmorgens noch den unwiderstehlichen Herzensbrecher einsprechen, mittags den eiskalt berechnenden Serienkiller und am Nachmittag eine Werbung für Heiserkeit lindernde Lutschpastillen. Jeder Termin eine neue Situation, auf die Vogt sich einstimmen muss.
Jetzt also ist Mark Strong angesagt. 25 bis 30 Takes planen Synchronstudios pro Stunde ein, also zwei Minuten pro Take. Vier bis fünf Tage pro Film. Wer da zu lange braucht, hat schlechte Karten. Lieber schnell weitersprechen also. Vier, drei, zwei, eins.
Julius Heinrichs
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