Gayle Tufts im Schiller Theater: Atemlos um halb acht
Die neue Show von Berlins berühmter Denglish-Entertainerin: Gayle Tufts und ihr Pianist Marian Lux sind im Schiller Theater „Wieder da!“.
Überall im Zuschauerraum des Schiller Theaters liegen Handtücher über den Sitzen, immer paarweise, so als hätten sich egoistische Touristen im Morgengrauen die besten Plätze am Pool reserviert. Alles hier ist auf Ferienstimmung getrimmt, vor dem Haus stehen Liegestühle, im Windfang-Foyer begrüßt ein gigantischer Aufblas-Flamingo die Eintretenden, außerdem gibt es Palmen, Sonnenschirme, Sombreros.
Der Kudamm-Bühnen-Impresario Martin Woelffer und sein Team haben alles, was der Fundus an holidaytauglichen Utensilien hergab, in ihren Räumlichkeiten an der Bismarckstraße verstreut – wo sie ja selber nur Logiergäste sind, in einer Art unfreiwilliger Auszeit, während an ihrem Stamm-Standort die Bauarbeiten laufen.
Der Flügel ist eine Leihgabe aus dem Theater des Westens
„Komödie. Stadt. Strand.“ steht auf den Plakaten überm Eingang, wobei man das mittlere Wort als „statt“ lesen muss, um die Botschaft zu verstehen: Wer es in diesem Sommer nicht geschafft hat, ins Ausland zu fahren, kann hier Kurzurlaub von Corona machen, abtauchen in die Welt des schönen Scheins.
Bis 20. September liegt die Reiseleitung jetzt in den Händen von Gayle Tufts. Die Denglish-Entertainerin ist „Wieder da!“, zusammen mit ihrem Pianisten und Songschreiber-Partner Marian Lux. Der Flügel kommt als Leihgabe aus dem nahen Theater des Westens, für das es weiterhin keine Wiedereröffnungsperspektive gibt, Lichtdesigner Henning Schletter fährt an optischen Effekten auf, was die Technik des Hauses hergibt, es wird großzügig genebelt – und dennoch bleibt die Schiller-Theater-Bühne eine herausfordernd große Freifläche, wenn sie von nur zwei Menschen bespielt werden soll.
Ein geselliger Abend in Buffet-Form
Gayle Tufts hat sich darum gemeinsam mit Regisseur Christopher Tölle für einen Abend in Buffet-Form entschieden: Wie im All-inclusive-Resort wird ein maximal abwechslungsreicher Mix aufgeboten – mit dem bekannten Nebeneffekt, dass sich auf dem überladenen Teller dann alles zum wüsten Mischmasch verbindet. Süßes und Salziges, Saftiges und Sentimentales, Politisches, Privates und Popkulturelles. Was natürlich denjenigen nicht wirklich schmeckt, die lieber eine durchkomponierte Menüfolge am Platz serviert bekommen.
Der Höhepunkt der Show ist tatsächlich der unglamouröseste Moment. Wenn nämlich der zuvor in allen erdenklichen Farben beleuchtete Samtvorhang im Hintergrund hochfährt und den Blick freigibt auf die Hinterbühne, auf das technische Skelett der Illusionsmaschine Theater. Nackt und verletzlich präsentiert sich der Raum, ein Symbolbild des Lockdowns, den die Pandemie erzwungen hat – und Gayle Tufts singt dazu den Irving-Berlin-Klassiker „There's no business like showbusiness“.
Beeindruckend: Tufts Interpretation von Annie Lennox' "Why"
Da scheint sie für ein paar Minuten lang auf, die alte Verführungskraft des Entertainments, die Leichtigkeit, mit der sich auch die ganz großen Lebensthemen ansprechen lassen. Dann aber fällt der Abend wieder zurück ins Revuehafte, eine lose Nummernfolge aus Sketchen und Gesangseinlagen, die mal mehr, mal weniger zünden. Das Engagierte steht unverbunden neben dem Läppischen, auf eine gallige, aus wundem Herzen aufsteigende Tirade gegen das Trump-Amerika – „Wo liegt Dummheit? Zwischen Kanada und Mexiko!“ – folgen Allgemeinplätze übers Älterwerden – „I am not ready for the Treppenlift“, die im Geburtstagsständchen „Sixty“ kulminieren, das sich Tufts selber singt.
Beeindruckend kraftvoll und anrührend ehrlich gelingt dagegen Gayle Tufts Interpretation von Annie Lennox' „Why“, das kollektive Gedächtnis wird stimuliert durch ein Medley jener Hits, die man gerade nicht spielen sollte – von „Take my breath away“ über „Fever“ und „Die perfekte Welle“ bis zu „Atemlos durch die Nacht“ –, wirklich komisch ist die deutsche Umdichtung von Lady Gagas „Shallow“ zu „Schiller“.
Die Show, sie geht jetzt also weiter, zur Freude aller, die Live-Entertainment in den letzten Monaten schmerzlich vermisst haben. Die lässige Leichtigkeit der Vor-Corona-Zeit jedoch, sie lässt sich so einfach nicht wieder herstellen.