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Das blaue Band in Berliner Südwesten: die Havel.
© Ralf Hirschberger/dpa

Weltpremiere für Komposition von Marian Lux: 25 Minuten Klangerlebnis: "Die Havel"

Sie ist Berlins mitreißendster Fluss. Nun hat der Komponist Marian Lux „Die Havel“ vertont. Ein Spaziergang am Ufer und ein Gespräch über Nixen, Slawen und eine Melodie, die fließt.

Ein gutes Stück die Spree aufwärts hat Marian Lux zurückgelegt, um zu unserem Treffpunkt zu gelangen. Nicht auf dem Wasser, sondern per Auto, von seiner Wohnung in Prenzlauer Berg bis zu dem Punkt, wo der Berliner Stadtfluss in die Havel mündet. Wenige paar Schritte östlich der Spandauer Altstadt, am Lindenufer, vereinigen sich die Ströme, vor denkbar unspektakulärer Kulisse. Auf der gegenüberliegenden Seite stehen ruinöse Backsteinbauten, die einst industriell genutzt wurden, dahinter ragt der Betonkoloss der „Schuttmühle Berlin“ in den Himmel. Und direkt vor unseren Augen steht ein Bauzaun: Die letzte Lücke im Havel-Radwanderweg wird hier geschlossen. Wenn die Arbeiten beendet sind, wird man die gesamten 334 Kilometer am Ufer entlangfahren können, von der Quelle am Mühlensee bei Ankershagen in Mecklenburg-Vorpommern über die Bundesländer Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt bis zur Mündung der Havel in die Elbe bei Gnevsdorf.

Wer nicht so gerne in die Pedale tritt, könnte die Idee attraktiv finden, dem Flussverlauf akustisch zu folgen, bequem im Sitzen. Am kommenden Sonnabend wird das möglich sein, denn dann erlebt Marian Lux’ Komposition „Die Havel“ ihre Weltpremiere. Bei einem Konzert des Filmorchesters Babelsberg, das im Rahmen der Bundesgartenschau stattfindet. Allerdings nicht direkt mit Blick aufs glitzernde Nass, sondern auf dem Landgut A. Borsig im Nauener Ortsteil Groß Behnitz. Das ehemalige landwirtschaftliche Mustergut der Eisenbahnerdynastie ist heute ein Ausflugslokal mit Platz für große Freiluftveranstaltungen.

„Das Projekt entstand bereits vor drei Jahren“, erzählt Marian Lux, während wir uns entlang der Absperrungen zur Brücke an der Stresowstraße vorarbeiten. „Ein Freund, der Kulturmanager Michael Omilian, fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, einen musikalischen Beitrag für die Gartenschau zu schreiben. Die Idee fand ich sofort verlockend – trotz der großen Konkurrenz.“ Damit meint der 1982 geborene Komponist eine Partitur seines Kollegen Bedrich Smetana. „Die Moldau“ kennen sogar Menschen, die sich sonst nicht für Klassik interessieren. Die 1874 entstandene Vertonung des tschechischen Flusses aus dem Zyklus „Mein Vaterland“ wurde zum Welthit. Dennoch hat es Marian Lux gewagt, seinem Werk dieselbe Gattungsbezeichnung zu geben: sinfonische Dichtung.

„Mit den Mitteln des Orchesters erzähle ich von den Erlebnissen und Impressionen, die ich an der Havel gesammelt habe.“ Auf einem Floß ist er im vergangenen Jahr das Gewässer entlanggeschippert und hat neugierig die Ohren aufgesperrt. „Zuerst sind mir die vielen Tierlaute aufgefallen“, erzählt er. „Über weite Strecken erlebt man ja Natur pur, die Gegenden sind dünn besiedelt, alles wirkt einfach und bodenständig.“ So wie auch bei unserem Spaziergang, auf dem wir gerade die Dampfer-Anlegestelle der Reederei Lüdicke passieren. Die „MS Berolina“ ist an der Kaimauer vertäut, die „MS Heiterkeit“ gerade unterwegs. Ziemlich träge fließt das Wasser, das Windgekräusel auf der Oberfläche ist deutlicher zu sehen als die Strömung selber. Ruderer ziehen vorüber, kleine Privatjachten und Lastkähne.

„In meinem Stück kommen nicht nur zwitschernde Vögel vor“, sagt Marian Lux, „sondern auch die Nixe Undine, die Sage vom Untergang des Dorfes Wust sowie slawische Volksmusikanten.“ Und sogar der Zusammenfluss von Spree und Havel ist akustisch eingefangen. Selbst für das Laienohr ist das gut hörbar, wenn sich im Orchester nämlich die Hymne Brandenburgs und die inoffizielle Erkennungsmelodie der Hauptstadt mischen, also „Fliege hoch, du roter Adler“ und Paul Linckes „Berliner Luft“.

Überhaupt ist Marian Lux’ Musiksprache bewusst populär. Die Klangexperimente der Neutöner-Avantgarde sind seine Sache nicht, beim Studium der „Medienkomposition“ an der Berliner Eisler-Musikhochschule konnte er von Bernd Wefelmeyer lernen, wie man atmosphärisch ansprechend schreibt. Diverse Kino- und TV-Filme hat er schon mit Soundtracks unterlegt, zuletzt die 13-teilige Mystery-Serie „Armans Geheimnis“, die im April in der ARD lief.

Ein Stück zu schreiben, das sich ganz ohne Bilder erklärt, ist da Luxus und Herausforderung zugleich. „Über das Hauptthema habe ich am längsten nachgedacht“, erzählt Marian Lux beim Cappuccino im Café „Charlotte“ in der Spandauer Altstadt, „denn es sollte eine Melodie sein, die wirklich fließt.“ Neben der üblichen Streicher- und Bläserbesetzung sieht seine Partitur übrigens auch sechs Schlagzeuger vor, eine Harfe sowie eine Celesta, also eine Art Klavier, bei dem über die Tasten ein Glockenspiel bedient wird.

Eine knappe Viertelstunde dauert Smetanas Wunschkonzerthit, „Die Havel“ ist gut zehn Minuten länger. Und ganz am Ende hat der Komponist sogar augenzwinkernd ein kleines Zitat aus der „Moldau“ eingebaut. „Mein größter Wunsch ist“, sagt er, „dass die Leute am Ende denken: Ja, das war tatsächlich mein Fluss.“ Seiner ist es auf jeden Fall, denn Lux lebt nicht nur seit 15 Jahren in Berlin, sondern wurde auch ganz in der Nähe des Havellaufs geboren, in Bad Freienwalde.

Zu seinem vierten Geburtstag bekommt er von der Oma ein Kinderkeyboard aus Plastik geschenkt. Als er beginnt, darauf Melodien nachzuspielen, die er im Radio gehört hat, schicken die Eltern ihn zum Klavierunterricht. Er erweist sich als so begabt, dass seine Lehrerin vorschlägt, er möge die Aufnahmeprüfung fürs Berliner Bach-Musikgymnasium versuchen. Er schafft sie und wird Internatsschüler. Das Klavier schätzt Marian Lux auch heute noch als Ausgleich zum einsamen Beruf des Komponisten. Regelmäßig begleitet er Musicalsänger, für Gayle Tufts’ aktuelles Programm „Love“ hat er nicht nur Songs beigesteuert, sondern ist auch als Pianist der Denglish-Entertainerin auf der Bühne präsent.

Wir sind so richtig ins Reden gekommen, doch Marian Lux muss jetzt los, nordwärts Richtung Havelmündung und dann noch weiter die Elbe hinauf bis Hamburg. Dort laufen schon die Proben für sein nächstes Stück, ein Musical über Charlotte Buff, jene Frau, die Johann Wolfgang von Goethes Vorbild für die Angebetete seines jungen Werthers war. Die Uraufführung findet im hessischen Wetzlar statt, auch eine Zwei-Flüsse-Stadt übrigens: Hier treffen sich Dill und Lahn.

Tickets für das Konzert des Filmorchesters Babelsberg auf dem Landgut Borsig am 13. Juni um 16 Uhr gibt es unter der Telefon-Nummer 033237-85963 oder unter www.havellaendische-musikfestspiele.de

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