Kunst der Zukunft: Arbeitende Algorithmen
Das Forecast-Festival im Haus der Kulturen der Welt zeigt neues Denken in verschiedenen Disziplinen.
Recycling ist eine gute Sache. Die Wiederverwertung von Abfall und Müll schont die Umwelt und spart Ressourcen. So kennen wir es. Der Architekt und Designspezialist Tobias Nolte ist da allerdings schon einen Schritt weiter. Beim zweitägigen Forecast-Festival im Haus der Kulturen der Welt, einer Plattform für neues Denken, konnte man sehen, wie Nolte sich die Wiederverwertung von Bauschutt und Altmaterial in Zukunft vorstellt, zum Beispiel in Katastrophengebieten. Auf vier großen Leinwänden konnten Besucher einem Algorithmus, den Nolte programmiert hat, beim Arbeiten zu sehen. Auf den Bildschirmen rotierten geometrische Formen, Zahlen ratterten. Statt Bauschutt mit viel Energieaufwand zu zerkleinern, schlägt Nolte vor, die weggeworfenen Einzelteile zu belassen wie sie sind und sie stattdessen mithilfe eines Computerprogramms, einer Art Scanner, zu analysieren und zu inventarisieren. Noltes Vision ist eine riesige Datenbank für Schrott. „Der Algorithmus schlägt vor, was das beste Haus oder die beste Form ist, die man aus den Einzelteilen bauen kann“, sagt Nolte. „Es ist als stünde man ratlos vor den Resten in einem halbleeren Kühlschrank und der Algorithmus schlägt einem das beste Sandwich vor.“
Sechs Künstler und ihre Mentoren bringen Ideen vom Kopf in die Welt
Zwei Tage lang wurden beim Forecast Festival neue, zukunftsträchtige Ideen von sechs transdisziplinär denkenden Künstlern, Designern, Architekten und Kuratoren präsentiert und diskutiert. Alle sechs werden von erfahrenen Mentoren betreut, das ist das Grundprinzip bei Forecast. Die Kandidaten zeigen work-in-progress, gerade der Prozess von der Idee zur Realisierung mit all seinen Hürden ist Teil der Betrachtung. Forecast, gegründet vom Berliner Opernregisseur Freo Majer, versteht sich als internationale Plattform für Wissenstransfer. Mithilfe einer weltweiten Ausschreibung forschte Majer 2015 nach neuen, bisher unverwirklichten Ideen, nach Projekten, die zwar im Kopf existieren, aber noch nicht umgesetzt worden sind.
360 Bewerbungen aus der ganzen Welt gingen bei ihm ein. Majer fragte dabei weder nach Alter, Geschlecht, Ausbildung oder Beruf. Allein die sich in verschiedene Disziplinen ausbreitende Idee sollte im Vordergrund stehen. 30 Projekte wurden im August vergangenen Jahres im Haus der Kulturen der Welt vorgestellt. Jeder Mentor musste sich anschließend für ein Projekt entscheiden, das weiterentwickelt und nun in fortgeschrittenem Stadium präsentiert wurde.
Leila Albayaty, in Frankreich mit einer französische Mutter und einem irakischen Vater aufgewachsen, präsentierte eine multimediale Performance aus Film, Fotografie und Gesang, in der sie ihre arabischen Wurzeln mittels Musik ergründet. In einem Film kann man ihr beim Skypen mit dem Vater und beim Arabischlernen zusehen. Es sind die Musik und ein vom Vater gemachtes Gedicht, die den roten Faden in dem Filmfragment ergeben. Dazu performt die Künstlerin live auf der Bühne, holt den Musik ihrer Spurensuche in die Realität.
Albayaty ist Filmemacherin, Sängerin, Komponistin, Schauspielerin. Damit bewegt sie sich, wie alle Teilnehmer des Festivals, zwischen verschiedenen Welten, was im Kunst- und Wissenschaftsbetrieb noch oft dazu führt, dass man in gegebene Institutionen und Förderstrukturen nicht so richtig passt. Spannend ist zu beobachten, wie Albayaty mit ihrem Mentor, dem norwegischen Komponisten Lars Petter Hagen interagiert. Hagen, berät die Do-it-Yourself-Musikerin Albayaty nicht nur in Sachen Komposition. Mit seinem strukturierten, nordischen Denken, hilft er ihr, Gedanken zu sortieren, sich zu fokussieren. Darin liegt das Potenzial des Forecast-Festivals: Es zeigt, wie kulturelle Produktion passiert, wie sich neue Formate ergeben.
Eine Software erstellt eine virtuelle Landschaft des ideologischen Deutschlands
Ein weiteres, gleichermaßen faszinierend wie beunruhigendes Vorhaben präsentiert der Berliner Künstler und Performer Arne Vogelgesang. Vogelgesang hat Propaganda-Videos von Dschihadisten sowie Berichte und Selbstdarstellungen von rechten und linken Aktivisten, die ihre Ideologien im Internet verbreiten, gesammelt. Eine blonde Frau berichtet zum Beispiel wie sie bei einen Polizeieinsatz in der Rigaer Straße dokumentieren wollte und dabei von linken Vermummten verfolgt wurde. Mithilfe einer Bewegungs- und Gesichtserkennungssoftware forderte Vogelgesang Besucher im Haus der Kulturen der Welt auf, ihre Gesichter und Körper zur Verfügung zu stellen und die Gesten und Bewegungen der radikalen Protagonisten zu spiegeln. Mithilfe einer Motion-Capture-Software produziert er daraus Avatare, die das Bewegungsrepertoire dieser politischen Propagandisten abbilden. So entsteht eine virtuelle Landschaft des ideologischen Deutschlands, die Vogelgesang später zum Beispiel für eigene Performances weiterverwenden will.
Die Arbeiten sind im Internet zu sehen unter www.forecast-platform.com.
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