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Konfrontativ. Jeanne Balibar in der Rolle des Curzio Malaparte mit Box-Handschuh und Patrick Güldenberg als Hans Frank, Generalgouverneur des besetzten Polens.
©  Thomas Aurin

Frank Castorfs "Kaputt" an der Volksbühne: Apokalypse mau

„Kaputt“: Wie Frank Castorf die Weltkriegsfantasien von Curzio Malaparte an der Berliner Volksbühne inszeniert.

Was haben wir ihn nicht schon genannt: witzig, zynisch, läppisch, sarkastisch, genial, verrückt und oft maßlos verschwenderisch mit der Kunst- und Lebenszeit aller Beteiligten, von Spielern und Zuschauern. Nur eines, zu viel Süße und Sülze, das haben wir Frank Castorf noch nie vorgeworfen. Bis jetzt nicht.

Nun hat er an der Berliner Volksbühne wieder zugeschlagen, sechs Stunden lang. Doch geschlagen sind nur die Stunden und wir. Dabei sind ein Abend und eine halbe Nacht eigentlich nicht zu viel – für einen Weltuntergang. Wenn denn die Welt, zumindest die alte Welt namens Europa zugrunde geht und man ein bisschen noch mit von der letzten Partie sein will. Wie einst Curzio Malaparte und bislang noch jeder Betrachter der Apokalypse.

Das passt ja auch zu Castorfs Oeuvre. Vor einem Jahr hat er in München eine Theatralisierung von Louis-Ferdinand Célines 1932 erschienenem Roman „Reise ans Ende der Nacht“ inszeniert. Eine Fieberkurvenfahrt durch die Höllen des Ersten Weltkriegs, die Hütten des kolonialisierten Afrikas, durch Bordelle und Irrenhäuser, von Paris bis New York. Außerdem in Bayreuth den ganzen Götterdämmerungs-„Ring“. Und nun schlicht: „Kaputt“. So heißt das Gemisch aus Malapartes gleichnamigem Horror-Roman aus dem Jahr 1944 und dem sechs Jahre später folgenden, gleichfalls autobiografisch romanhaften Buch „Die Haut“. In beidem spiegelt sich der Zweite Weltkrieg als ultimative Krise Europas.

Malaparte erzählt in "Kaputt" von der Ausrottung der Juden in Osteuropa

Curzio Malaparte, der als Kurt Erich Suckert 1898 in der Toskana geborene Sohn eines sächsischen Textilfabrikanten und einer italienischen Mutter, drehte seinen Namen „in das Gegenteil von Bonaparte“. Er war jung schon Chefredakteur der Turiner Zeitung „La Stampa“, ein Dandy der europäischen Salons, Faschist, später auch Kommunist, ein Internationalsozialist, von Mussolini verbannt und wieder aufgenommen, im Weltkrieg Korrespondent des „Corriere della Sera“ an den deutschen Ostfronten, dann ab 1943 als Presseoffizier an der Seite der Alliierten. Er will mit Heinrich Himmler nackt eine finnische Sauna geteilt haben, Marschall Rommel besuchte ihn in seiner Villa auf Capri, er korrespondierte mit Stalin und Mao, der ihn in Privataudienz empfing, und Fidel Castro preist noch heute Malapartes neomachiavellistische „Technik des Staatsstreichs“ von 1933. Als er 1957 starb, wollte er sein Vermögen gar der Volksrepublik China vermachen.

In „Kaputt“ erzählt er, schwirrend zwischen mal großer, mal schwülstiger Dichtung, zwischen Reportage und Kolportage als erster prominenter Augenzeuge bereits von der Ausrottung der Juden in Osteuropa. In der „Haut“ ist Malaparte dann dabei, als die Amerikaner 1943 in Süditalien gelandet sind und bei ihrem Einmarsch in Neapel die Pest ausbricht, wie auch die allgemeine Prostitution und im Jahr darauf (zum bisher letzten Mal) der Vesuv. Ein ziemlich barockes Teufelsfratzenpanorama.

Golden auf dem Weg zur Schlachtbank

Und das als Theater, hier und heute? Castorfs Bühnenbildner Bert Neumann hat inmitten giftgelber Wände viel schwarzes Plastik ausgeschlagen und die Trümmer Roms, Italiens, Europas durch ein paar düstere Säulenstümpfe und geborstene Mauern angedeutet. Im Hintergrund schwebt ein grauer Blechcontainer als Gehäuse für die hier wieder dominanten, per Livekamera aus dem Backup übertragenen Innenraumszenen. Dazu steht am Rand aus Goldglitzerpappe ein Tier, das ich in den ersten Stunden für eine (römische?) Wölfin hielt, das dann nach Mitternacht aber doch eher einem Schaf glich. So golden auf dem Weg zur Schlachtbank?

Ein halbschickes, für fast jedes Drama zwischen Aischylos und Achternbusch oder, sagen wir: Heiner Müller und Sibylle Berg taugliches Unortambiente. Heiner Müller übrigens, der an diesem Abend mal nicht zitiert wird, hatte Malaparte schon nach 1989 als hellsichtigen Vorahnen neuer, anarchischer, asymmetrischer Kriege zur Lektüre empfohlen.

Weil aber im Volksbühnenpublikum und auch sonst wohl die Wenigsten jenen einstigen Weltbestsellerautor noch kennen werden, hat Castorf in seiner von elf Schauspieler/innen in wechselnden Rollen vorgetragenen Version eine Art Erzähler und Kommentator eingefügt. Mex Schlüpfer im Smoking (das Basiskostüm außer Battledress, Badeanzug und nur Schlüpfer) gibt einen italienischen realgeschichtlichen Biografen Malapartes, der den lebenslangen Raucher kurz vor seinem Lungenkrebstod Mitte der 1950er Jahre aufsucht. Selber rauchend und mit heiser-rauer Stimme schreit er nun ein paar (eher irrelevante) Daten und Anekdoten in den langen Abend. Es fehlt der Aufführung aber jedes innere Echo, und es gibt nicht einmal ein Programmblatt zum Leben und Werk Malapartes. Zuschauer, die das Theater nicht schon zur Pause verlassen haben, dösen so vielfach dahin, ohne jeden Halt. Denn was Mex Schlüpfer nun Malaparte oder dem Publikum hinterherruft, klingt nur nach einem Schulfunkfragment. Auf solchem Niveau war Castorf kaum je zuvor.

Castorf versüßt und versülzt, was Malaparte als letzte Tage der europäischen Menschheit beschwört.

Etwa vier von sechs Stunden agieren die Spieler nur per Videos, die allerdings auf keine Leinwand, sondern ein Metallgitter geworfen werden, weshalb auch das indirekte Bild (als doppelter Abgesang auf die Präsenz des Schauspielers) noch anstrengend gerastert erscheint. Trotzdem ergeben sich dort zwei Schlüsselszenen, wenn der ansonsten allzu verwirrt verrupft wirkende Patrick Güldenberg, ein schmaler Mensch, mit Anflügen gespenstischer Melancholie von einer neuen Seife erzählt, die leider nur „diesen alten Geruch“ noch habe. Güldenberg spielt dabei Hans Frank, Hitlers und Himmlers Generalgouverneur im besetzten Polen. Man erwartet, in Anwesenheit Malapartes, noch den Boxer Max Schmeling zum Dinner, und Frank schlägt zur Unterhaltung dann eine Spazierfahrt (hier irrtümlich: einen Spaziergang) durchs Warschauer Ghetto vor.

Max Schmeling hat diese Episode nach 1945 als Erfindung Malapartes bestritten. Während die in der Münchner Céline-Aufführung noch so famose junge Britta Hammelstein die Ehefrau Franks als nymphomane Tussi chargiert und Frank Büttner nur äußerlich gewisse Schmeling-Züge markiert, ist Güldenberg (als fiktiver Typus) ganz unheimlich. Das wiederholt er noch mal, als er Stunden später bei den im Ghetto zusammengepferchten Juden die leider mangelnde Hygiene (im Vergleich zu den wohlsituierten Deutschen) beklagt. Ein Massenmörder als sentimentalischer Zyniker. Leise, lauernd. Doch diese Szenen sind Inseln der Spannung in einem Meer von Langeweile.

Fast nur sentimental erscheint leider Jeanne Balibar. Die französische Actrice markiert den vermutlich bisexuellen Malaparte zwar mit romanischer Grazie, aber oft auch in einem hohen Jammerton. Das Monströse, zwielichtig Spannende der Figur wird da unfreiwillig verkitscht. Castorf, wenn er nicht gerade hysterisch brüllen und zappeln lässt, versüßt und versülzt, was Malaparte als letzte Tage der europäischen Menschheit beschwört. Und am Ende geht die sonst völlig textlastige, undramatische Aufführung buchstäblich baden, apokalyptisch geflutete Leiber und Schreier, doch die Sintflut ist bloß knöcheltief.

Wieder am 13., 22. 11. und 5., 12., 20. 12.

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