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Schmuggelware. Die Bronze- and Keramikfiguren, vermutlich aus dem Irak, wurden 2005 in Jordanien sichergestellt.
© Reuters

Berliner Tagung „Kulturgut in Gefahr“: Antike unterm Hammer

Die Berliner Tagung „Kulturgut in Gefahr“ verdeutlicht das Ausmaß des illegalen Kunsthandels. Schärfere Gesetze gegen Plünderungen und das Verscherbeln antiker Schätze sind unerlässlich. Auch Deutschland ist in der Pflicht.

Stumm und marmorschön stehen sie da, die klassischen Skulpturen in der Rotunde des Alten Museums. Ein Kultur- und Bildungstempel des 19. Jahrhunderts als Bühne antiker Kunstwerke, seit 1999 Weltkulturerbe der Unesco. Schinkels Rotunde erzählt von einer Zeit, als die Ethik und Ästhetik antiker Hochkulturen Richtmaß für die Gegenwart gewesen sind. Und als Antiken wie selbstverständlich aus ihrem Herkunftskontext gelöst wurden, um gehandelt, gesammelt und am fremden Ort ausgestellt zu werden.

An diesem Abend müssen die Götter des Olymp eine Lektion über sich ergehen lassen, die alles andere als erhebend ist: Der Archäologe Neil Brodie vom Scottish Center for Crime and Justice Research der Universität Glasgow spricht über „Transnational organisiertes Verbrechen und Antikenhandel“. Es ist der mehr schockierende als festliche Abendvortrag einer internationalen Tagung, die das Deutsche Archäologische Institut (DAI) und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz unter dem Titel „Kulturgut in Gefahr. Raubgrabungen und illegaler Handel“ am Donnerstag und Freitag im Auswärtigen Amt veranstaltet haben.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters verspricht ein neues Kulturgutschutzgesetz für 2015

Die Tagung zeigt eindrücklich, dass das Thema neben der Fachwelt endlich auch die Politik und die Öffentlichkeit erreicht hat – nicht zuletzt wegen der Nachrichten über die Finanzierung der IS-Terroristen durch geraubte Kulturgüter aus der Region. Der größte Tagungssaal im Auswärtigen Amt reicht kaum, um die aus aller Welt angereisten Regierungsvertreter wie den neuen ägyptischen Kulturgut-Minister Mamdouh Mohamed Gad El-Damaty sowie Archäologen, Juristen, Polizisten und Kunsthändler aufzunehmen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters kündigt in ihrem Grußwort die längst überfällige Vorlage des neuen Kulturgutschutzgesetzes für Mitte 2015 an, „eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben meines Hauses“. Archäologische Objekte sollen künftig nur noch mit gültigen Ausfuhrgenehmigungen der Herkunftsländer nach Deutschland eingeführt werden dürfen, eine Art „Antikenpass“, der möglichst aussagekräftige Informationen enthält.

Die neue Einfuhrregelung löst das wenig praktikable Listenverfahren des derzeit in Deutschland geltenden Kulturgüterrückgabegesetzes von 2007 ab, mit dem bislang keine einzige Rückgabe an ein Herkunftsland erreicht werden konnte. Aufgrund der Gesetzeslage gehört Deutschland seit einigen Jahrzehnten zu den Hauptumschlagplätzen des illegalen Kunsthandels – Tendenz steigend.

Die Diebe und Händler finden fast immer Abnehmer im reichen Westen

Satellitenbild eines Hügels bei Uruk, 2005: Die Löcher in der Mitte markieren die zahlreichen Raubgrabungen seit dem Irakkrieg 2003.
Satellitenbild eines Hügels bei Uruk, 2005: Die Löcher in der Mitte markieren die zahlreichen Raubgrabungen seit dem Irakkrieg 2003.
© Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Am Anfang der Verwertungskette stehen Diebe und Raubgräber, die nicht selten aus purer wirtschaftlicher Not handeln, an ihrem Ende fast immer Abnehmer im Westen. In Neil Brodies Fallbeispielen sind das Auktionshäuser wie Sotheby’s und Museen wie das Getty Museum in Malibu oder die National Gallery of Australia in Canberra.

Der Fall der 2005 geschassten und in Italien wegen Hehlerei, Schmuggel nationaler Kulturgüter und indirekter Beihilfe zu Raubgrabungen angeklagten Getty-Kuratorin Marion True ging durch die Medien, ebenso die Rückgabe von 40 gestohlenen Antiken durch das Museum an den italienischen Staat. True fühlte sich nach ihrer Enttarnung als Bauernopfer. Ihr Fall beleuchtet ein Betriebssystem, welches die Gefahr, dass heiße Ware über Schmuggler und Zwischenhändler in hochangesehenen westlichen Institutionen und Sammlungen landet, lange, wenn nicht als Kavaliersdelikt, so doch als Kollateralschaden musealer Ambitionen hinnahm.

Dass das Urteil von Experten bares Geld wert ist, demonstriert Brodie am Fall der Khmer-Skulpturen aus Koh Ker in Kambodscha, die 2011 in einer Sotheby’s-Auktion unter anderem an das Metropolitan Museum in New York vermittelt wurden. Zuvor war die Provenienz frisiert worden. Ist es erst gelungen, renommierte Handelsplattformen wie die großen, ständig nach marktfrischer Ware gierenden Auktionshäuser einzubeziehen, sind die Gewinnspannen beträchtlich. Der 2011 auf dem Frankfurter Flughafen verhaftete Kunsthändler Subhash Kapoor etwa vermittelte gestohlene indische Tempelfiguren des 11. Jahrhunderts ans Metropolitan Museum in New York oder – für 5,6 Millionen US-Dollar – an die National Gallery of Australia. All diese Werke mussten inzwischen zurückgegeben werden.

Museumsexperte Müller-Karpe: Legal nach Deutschland eingeführte Antiken sind seltene Ausnahme

Raubgrabungslöcher in Isin, Irak.
Raubgrabungslöcher in Isin, Irak.
© DAI van Ess,Unesco/Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Solche Beispiele sind eher die Ausnahme. Die Auffindung und Rückgabe gestohlener, durch Raubgrabungen ans Licht beförderter und über unbewachte Grenzen geschmuggelter archäologischer Objekte gelingt in den seltensten Fällen. Experten zählen den illegalen Handel mit archäologischen Objekten mittlerweile neben Drogen- und Waffenhandel zu den verbreitetsten Zweigen der internationalen Kriminalität. Schätzungen nennen weltweite Umsätze von jährlich zwischen 2 und 10 Milliarden Dollar. Gedealt wird nicht nur mit Spitzenware. Auf leicht zu findenden Internetportalen werden auch unzählige Allerweltsobjekte wie Münzen oder Öllämpchen gehandelt, deren materieller Wert nur wenige Euro beträgt und deren Gehalt an wissenschaftlichen Informationen nach der gewaltsamen Entfernung aus dem Fundkontext für immer verloren ist. Münzen und Tonscherben dienen Archäologen seit jeher zur Datierung. Fehlen diese, bleiben die ergrabenen Mauerreste sprachlos.

Museen müssen mit Erblasten leben: Prominentes Beispiel sind die Elgin Marbles

Dass es neben dem verbrecherischen auch einen legalen Handel mit Antiken gibt, ist auf der Tagung lediglich Randthema. Kunsthändler kommen, mit Ausnahme von Ursula Kampmann, der Kulturgüterschutzbeauftragten der International Association of Dealers in Ancient Art (IADAA), nur abseits des Podiums zu Wort. Auch wenn die IADAA mit 32 Mitgliedern einen verschwindend kleinen Teil des Antikenhandels repräsentiert, setzt man dort seit 1993 Standards, die in der Diskussion um das neue deutsche Kulturgutschutzgesetz Beachtung finden sollten. In der Schweiz, in der es seit 2005 ein relativ strenges Gesetz gibt, profitiert der Antikenhandel vom Imagegewinn eines „sauberen“ Marktes. Dass so etwas überhaupt durchsetzbar ist, wird von Archäologen mit Erfahrung im Feld bestritten. Kürzlich erwirkte der Freiburger Antikenhändler Günter Puhze – ebenfalls ein IADAA-Mitglied – eine einstweilige Verfügung gegen Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz. Puhze fand es geschäftsschädigend, dass Müller-Karpe in einem Fernsehbeitrag einen Zusammenhang zwischen im Westen gehandelten Altertümern aus Syrien und Irak, ihrer vermuteten illegalen Herkunft, der Zerstörung archäologischer Stätten durch Raubgrabungen und der Finanzierung des IS-Terrorismus herstellte.

In Berlin legt Müller-Karpe sogar noch nach und sieht die Zahl legal nach Deutschland eingeführter Antiken „im Promillebereich“. Die weit verbreitete ProvenienzAngabe „alte Adelssammlung“, so der Mainzer Museums-Mann, „zusammengetragen vor Inkrafttreten der gesetzlichen Ausfuhrverbote der Herkunftsländer, ist ein Märchen. Antiken ungeklärter Herkunft stammen nicht vom Dachboden und auch nicht aus Schweizer Familienbesitz“.

Müller-Karpes Polemik berührt bei aller Verkürzung etwas Grundsätzliches: die moralisch-ethische Dimension des Besitzes antiker Altertümer. Seit Jahrhunderten werden sie aus ihren Ursprungsländern – ob aus dem Mittelmeerraum, aus Ostasien, Afrika oder Mittel- und Südamerika – entfernt, um im reichen, antikenbegeisterten Westen öffentlichen Bildungsinteressen, individueller Schaulust oder privaten Besitzansprüchen zu dienen. Fast jede Museumssammlung muss mit dieser Erblast leben, prominentestes Beispiel sind die Elgin Marbles im Britsh Museum. Kluge Museumsleute wie der Leiter der Berliner Antikensammlung Andreas Scholl, der bei der Tagung das Ende musealer Ankäufe und die Epoche langfristiger Dauerleihgaben ausruft, haben längst darauf reagiert.

Auch wenn die aktuellen Bilder vom Krieg bedrohter und von Raubgräbern geplünderter archäologischer Stätten besonders im Mittleren Osten – allein in der nordirakischen Provinz Mossul sind es etwa 1500 – die Dramatik der Lage unterstreichen, ist das Problem ein altes, zudem ein viel zu lange verschlepptes. 1970 verabschiedete die Unesco die maßgebliche Konvention zum Kulturgüterschutz, 1995 folgte die juristisch konkretere Unidroit-Konvention. Der 1970er Konvention ist die Bundesrepublik erst 2007 beigetreten, als einer der letzten von mittlerweile 123 Vertragsstaaten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat in Berlin deutlich gemacht, dass die Kulturnation Deutschland auch völkerrechtlich ihrer Verantwortung gerecht werden muss. Zu viel steht auf dem Spiel.

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