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Denkmal in Gefahr. Ein Wachposten patrouilliert in der Ruinenstadt Hatra im Irak. Nach dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes wurden viele antike Stätten geplündert. 
© pa/dpa

Handel mit Kunstschätzen: Das Milliardengeschäft der Raubgräber

Weltweit wird illegal mit antiken Kunstschätzen gehandelt. Ein deutscher Archäologe kämpft gegen Hehler. Sein fachliches Wissen vor allem über den antiken Vorderen Orient nutzen Polizei und Zoll, wenn sie an Grenzen oder bei Messen Illegales wittern.

Die politischen Gespräche am Anfang der Woche im Auswärtigen Amt waren dem irakischen Vizepremierminister Hussain al Shahristani sicher wichtig. Vermutlich aber erfreute ihn eine Geste des deutschen Außenministers mehr. Guido Westerwelle überreichte dem irakischen Botschafter in Berlin, Hussein al Katheeb, ein knapp drei Zentimeter kleines Goldgefäß, wie die irakische Botschaft am Mittwoch auch offiziell bekannt gab. Das Alter des Gefäßes: 4500 Jahre. Die Herkunftsregion: das antike Mesopotamien. Beschlagnahmt bereits vor sechs Jahren bei einem Münchener Antiquitätenhändler, der den legalen Erwerb des kostbaren antiken Stückes nicht nachweisen konnte – ein Paradefall für den dubiosen bis kriminellen Handel mit antiken Kunstwerken und Kulturstücken in Deutschland.

Wer mehr zu dem Thema erfahren möchte und zufällig nach Mainz reist, sollte sich eine ungewöhnliche Ausstellung in der Haupthalle des Mainzer Hauptbahnhofs zu Gemüte führen. Unter dem Titel „Kriminalarchäologie“ will das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz (RGZM) ein öffentliches Bewusstsein schaffen für die verheerenden Auswirkungen von Raubgrabungen und illegalem Antikenhandel. Beides gehört untrennbar zusammen wie Henne und Ei und ist ein gigantisches Geschäft.

Vor einigen Jahren erzielte eine kleine, etwa 4000 Jahre alte Statue aus Sumer bei einer Auktion in New York 57 Millionen US-Dollar. Die Unesco schätzt den weltweiten Umsatz mit antiken Stücken pro Jahr auf sechs bis acht Milliarden Dollar. „Damit zählt der Antikenhandel, neben Rauschgift-, Waffen- und Menschenhandel, zu den umsatzstärksten illegalen Erwerbsquellen,“ sagt Michael Müller-Karpe. Der Archäologe am RGZM kämpft vehement gegen illegalen Antikenhandel. Sein fachliches Wissen vor allem über den antiken Vorderen Orient nutzen Polizei und Zoll, wenn sie an Grenzen oder bei Messen Illegales wittern. Der Mainzer schätzt den Anteil der legal angebotenen Antiken auf weit unter ein Promille. „Die im Handel angebotenen Stücke kommen nicht ausnahmsweise, sondern regelmäßig aus illegalen Grabungen und rechtswidriger Verbringung, also aus Straftaten.“ Der Handel mit solchem Diebesgut, sprich Hehlerei, wird in Deutschland mit bis fünf Jahren Gefängnis geahndet – wenn es denn zu einer Anklage kommt.

Der Archäologe Müller-Karpe mit einem Gefäß, das jetzt an den Irak zurückgeht.
Der Archäologe Müller-Karpe mit einem Gefäß, das jetzt an den Irak zurückgeht.
© picture-alliance/ dpa

Daran hapert es hierzulande aber, meint der Mainzer Müller-Karpe und konstatiert ein „mangelndes Bewusstsein über die Gemeinschädlichkeit von Antiken-Hehlerei.“ Das würde eher als Kavaliersdelikt angesehen, mit dem man sich sogar öffentlich brüsten kann. Von seinen Archäologen-Kollegen, „die mir ja im Grundsatz zustimmen“, wünscht sich Michael Müller-Karpe deutlichere Stellungnahmen. Das Schlüsselerlebnis für sein Engagement gegen den illegalen Antikenhandel waren nach dem Sturz des irakischen Machthabers Hussein die Luftbilder der pockennarbig verwüsteten antiken Landschaften in Mesopotamien, der antiken Kulturzentrale im heutigen Irak. Was dort fünftausend Jahre relativ unbeschadet im Boden gelegen hat, ist nun von Raubgräbern völlig zerstört.

Damit geht auch jegliche Information verloren. Die einzelnen Fundstücke mögen schön und wertvoll sein. Sie erzählen aber keine Geschichte mehr, denn ihr Umfeld ist unbekannt: Wo wurden die Artefakte ausgegraben? Was lag sonst in dem Grab? Gab es ein Skelett, Mann oder Frau? Gab es Waffen, gab es Schmuck? Welche Gebrauchsgegenstände waren dem Verstorbenen mitgegeben? Erst mit vielen solcher Informationen, Wissen und Glück kann der Archäologe die Lebensumstände des vor Langem verstorbenen Menschen, sein ökonomisches Umfeld oder die gesellschaftliche Ordnung rekonstruieren. Nur so kann er uns den Weg zu unseren Vorfahren, zu ihren Krankheiten, Ängsten und Freuden öffnen.

Da für den Mainzer Archäologen der Handel mit Altertümern der Auslöser für die Raubgrabungen ist, engagiert sich Michael Müller-Karpe stark gegen die Antikenhehlerei hierzulande. Er ist dementsprechend zum verhassten Buhmann der Antikenhändler geworden, die sich von ihm behindert und verunglimpft fühlen. So spricht der Arbeitskreis Deutscher Kunsthandelsverbände in einer Stellungnahme von einer „irrationalen, von Ressentiments geleiteten Kampagne des Mainzer Archäologen gegen den Kunsthandel und gegen den Besitz von antiken Kunstwerken“, die hoffentlich bald ein Ende nehme.

Neben Deutschland zählen Frankreich und Großbritannien zu den attraktivsten Hehlermärkten, „die Schweiz ist dank schärferen Durchgreifens der Behörden für die Szene schwieriger geworden,“ sagt Müller-Karpe. München gehört neben Paris und London zu den Drehpunkten des Handels. Das Bundeskriminalamt (BKA) listet seit 2002 pro Jahr jeweils um die 2000 Fälle von (erkanntem) illegalem Handel auf, im letzten Jahr stieg die Zahl um 17 Prozent auf 2411.

Da bei Zoll und Landeskriminalämtern eher selten Fachwissenschaftler arbeiten, müssen sich die Mitarbeiter der Abteilungen für Kulturgüterschutz die nötigen Kenntnisse in Eigeninitiative und Weiterbildung erwerben – und sollen dann verdächtige Funde von der Vorgeschichte bis zur Neuzeit beurteilen. Also ziehen sie Experten hinzu. Michael Müller-Karpe hat für sein Gebiet Dutzende Gutachten erstellt und dadurch etliche „Sicherstellungen“ von verdächtigen Handelsobjekten bewirkt. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen darüber füllen bei ihm unzählige Aktenordner. Die Ergebnisse sind gemischt: Mal verzichtet der Händler „freiwillig“ auf ein Objekt, mal muss ein Artefakt wieder für den Handel freigegeben werden. Das erregt regelmäßig Verärgerung bei den betroffenen Ländern, die sich als die einzig rechtmäßigen Eigentümer betrachten. Nach internationalem, EU- und deutschem Recht meist zurecht, denn die Händler können nur in Ausnahmefällen eine staatliche Exportgenehmigung vorweisen.

Manchmal aber führen die Bemühungen von Polizei und Wissenschaft auch zu staatsmännischen Auftritten: Vor zwei Jahren überbrachte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier dem irakischen Ministerpräsidenten Maliki persönlich eine „Ankeraxt“, die vor rund 4000 Jahren dem sumerischen König Schulgi gehörte. Das antike Stück war einer BKA-Mitarbeiterin bei einem Kölner Händler aufgefallen, sie bat Michael Müller-Karpe um Begutachtung und dem „stockte der Atem“, als er das Foto in der Email betrachtete: „Eine Ankeraxt! Davon gibt es maximal 50 Stück, keines ist verlässlich datiert, da fast alle aus Raubgrabungen stammen. Seit 30 Jahren versuche ich, diese Ankeräxte chronologisch ’einzuhängen’ – und nun kann ich sie auf wenige Jahre genau datieren!“

Tatsächlich weist eine Inschrift die Axt als Eigentum von Schulgi, König von Ur, König von Sumer und Akkad, aus. Schulgi regierte zwischen 2094 und 2047 vor Christus in Mesopotamien. Aus der gleichen Zeit stammt eine „Schaftlochaxt“, die nach Begutachtung durch den Mainzer Experten aus dem Handel gezogen und dem irakischen Botschafter diesen Februar im RGZM übergeben wurde. Auch wenn die meisten in der BKA-Liste notierten Artefakte aus dem Irak, der Türkei und Südamerika stammen, sind Diebstahl und illegaler Handel mit antiken Kulturgütern kein exotisches Problem. Auch hierzulande wird geräubert: „Vor 30 Jahren gab es einige Dutzend spätkeltische Münzen, inzwischen rechnet man mit rund 50 000 Objekten, die allein aus dem keltischen Heidetränk-Oppidum bei Frankfurt am Main von Sondengängern gestohlen wurden,“ sagt Müller-Karpe. Und: „Die Höhensiedlungen im Taunus sähen genauso aus wie die mesopotamischen Mondkraterlandschaften – wenn nicht der Wald darüber wäre.“

Die Ausstellung „Kriminalarchäologie läuft noch bis zum 30. Juli. Eine Ausstellungsbroschüre informiert mit vielen Beispielen über das Thema und ist für 4,50 Euro im Buchhandel erhältlich: „Kriminalarchäologe“, Hrsg.: Römisch-Germanisches Zentralmuseum, ISBN 3-88467-179-5.

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