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Lucia Moholy im Bauhaus-Archiv: Ansichten ihrer Zeit

Eine ausgeprägte Neugier. Das Berliner Bauhaus-Archiv zeigt die bislang unbekannten Fotografien von Lucia Moholy aus den Jahren nach ihrer Emigration 1933.

Die Architektur des „Neuen Bauens“ und insbesondere das Bauhaus selbst entfalteten ihre öffentliche Wirkung nicht zuletzt durch die Fotografie. Die scheinbar so sachlichen Aufnahmen in Schwarz-Weiß sind in hohem Maße sorgfältig komponiert, um maximale Wirkung zu erzielen. Für das Bauhaus in Dessau übernahm Lucia Moholy – die Ehefrau von László Moholy-Nagy – die Aufgabe der Bildpropaganda. Die von ihren Aufnahmen gemachten Postkarten trugen das Bild des Bauhaus-Gebäudes in alle Welt.

1933 musste auch Lucia Moholy emigrieren; sie ging über Prag, Wien und Paris nach London. 1934 wurde sie von Moholy-Nagy geschieden. Sie hatte für sich selbst zu sorgen, und mit der Fotografie, der meisterlich beherrschten, schuf sie sich schnell einen guten Ruf und eine breite Kundschaft, die von ihr porträtiert werden wollte. Daneben gab es natürlich auch Landschaftsfotos und auch die Architektur kam bisweilen vor.

„Lucia Moholy – Die englischen Jahre“ heißt die neue Ausstellung des Bauhaus- Archivs, das sich diesem, bislang fast völlig übersehenen Werk der Jahre ab 1934 widmet. Der Nachlass der 1989 verstorbenen Fotografin befindet sich im Haus, und nun kommt ans Licht, was Lucia Moholy sorgfältig verwahrt hat – die Bauhäusler waren oft wahre Ordnungsfanatiker. Im Zentrum steht das Buch „A Hundred Years of Photography, 1839–1939“, das Lucia Moholy zum Jubiläumsjahr der Lichtbildnerei bei Penguin veröffentlichte, als handliches Taschenbuch mit 35 Abbildungen. Diese Auswahl ist jetzt ebenso zu sehen wie die von der Autorin verworfenen Beispiele. Zudem ist das Buch, einst ein Standardwerk, als viertes in der Reihe „Bauhäusler. Dokumente aus dem Bauhaus-Archiv“ in englischer Originalfassung mit parallel angeordneter deutscher Übersetzung aufgelegt worden.

Auf den Spuren Walter Benjamins

Die Bauhaus-Fotos lebten von der Aura des neuartigen Gebäudes, und Lucia Moholy lieferte die Vorlagen für die Postkarten, mit denen die Lehranstalt für sich warb. Auch im Exil hat sie Postkarten gestaltet, etwa mit der weichgezeichneten Aufnahme des Parlamentsgebäudes am Themse-Ufer. Bei der Bebilderung des Buches ging es indessen um historische Beispiele. Die Auswahl Lucia Moholys trägt selbst historischen Charakter; so sind für die Gegenwart des Jahres 1939 Infrarot- und Hochgeschwindigkeitsfotografien ebenso verzeichnet wie der Abdruck einer telegrafischen Übermittlung – damals hochmodern, heute von der technischen Entwicklung längst überholt. Als Umschlagillustration trug das „Penguin“-Taschenbuch die berühmte Karikatur von Honoré Daumier von 1862, „Nadar erhebt die Fotografie auf die Höhe der Kunst“ – dabei steht der allgegenwärtige Nadar, der Fotograf seiner Zeit schlechthin, in der Gondel eines Ballons und knipst die Stadt Paris.

Die Illustration bereits auf dem Umschlag ist vielsagend, denn im Wesentlichen schreibt Lucia Moholy über das 19. Jahrhundert und dabei naturgemäß über Paris. Man könnte meinen, sie wandelte auf den Spuren Walter Benjamins, der bereits 1931 in seinem Aufsatz „Kleine Geschichte der Photographie“ unter anderem den kurz zuvor wiederentdeckten Atget und dessen Straßenfotos behandelt hatte.

Arbeit für Unesco, Ruhestand in der Schweiz

Ihr eigenes fotografisches Werk umfasst sorgfältig ausgeleuchtete Porträtfotos – ihre primäre Einkommensquelle in den Anfangsjahren in London –, dazu aber auch Bauten des wie sie nach England emigrierten Bauhaus-Gründers Walter Gropius, der mithilfe des ortsansässigen Architekten Maxwell Fry im Exil arbeiten konnte. Später hat Lucia Moholy sich in dem unveröffentlichten Aufsatz „Der Bauhausgedanke“ 1946 nochmals mit der Vergangenheit befasst. Das Typoskript liegt jetzt in einer Vitrine aus.

In jenem Jahr wurde sie von der frisch gegründeten Unesco engagiert und in den östlichen Mittelmeerraum geschickt, wo sie die Verfilmung von Kulturgut beaufsichtigte und nebenbei privat fotografierte. Ihren Ruhestand verbrachte die 1894 in Prag geborene Lucia Schulz, später Moholy, in der Schweiz. Ihre Fotografien zeigen keinen Stilwillen, keine ausgeprägte Handschrift; vielmehr ausgeprägte Neugier, die noch immer der stärkste Antrieb war für das Medium der Fotografie. Ihre Reisebilder der dreißiger und fünfziger Jahre können es mit den besten Fotoreportagen der Zeit aufnehmen.

Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 27. Februar, Mi–Mo, 10–17 Uhr. Buch von Lucia Moholy 27,50 €, im Buchhdl. 39,90 €

Bernhard Schulz

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