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Knallhart konservativ. Bis vor drei Jahren arbeitete Beatrix von Storch noch als Anwältin für Insolvenzrecht. Mittlerweile lebt sie von Erspartem.
© Davids/Sven Darmer

Beatrix von Storch: Knallhart konservativ - und bald die wichtigste Frau der AfD

Beatrix von Storch kämpft gegen staatliche Umerziehung, sexuelle Vielfalt und Werteverlust - vielleicht sogar bald in Brüssel. Bei der Europawahl kandidiert sie auf Listenplatz 4 für die AfD. Dabei ist sie selbst in ihrer eigenen Partei umstritten.

Wenn es eine Geste gibt, die typisch ist für sie, dann wohl diese: Sie setzt den Zeigefinger an das untere Augenlid, zieht es etwas herunter, beugt sich nach vorne und stößt ein deutliches „Pffff“ aus. Beatrix von Storch spricht gerade über das Jahr 2010 und die Zusage, das EU-Hilfspaket für Griechenland werde eine Ausnahme bleiben. Sie braucht keine Worte, um zu sagen: Ey, das kann man mir doch nicht erzählen – das hab ich schon damals nicht geglaubt.

Beatrix von Storch spricht schnell, wenn sie empört ist. Ihre kurzen, norddeutsch klingenden Sätze enden dann oft so, als wolle sie noch ein Ausrufezeichen dahintersetzen. Sie regt sich auf über „das System“. Die Augen reißt sie weit auf, die Brauen wandern nach oben. „Ich sagte damals schon: Die Griechenland-Rettung darf niemals kommen! Das ist die Öffnung des Tores!“ Sie fasst sich an die Stirn, schüttelt den Kopf: „Wie naiv kann man sein! Alles, was ich 2010 gesagt habe, ist inzwischen Allgemeingut.“

Beatrix von Storch arbeitet daran, dass ihre Empörung bald auch in Brüssel und Straßburg zu hören sein wird. Sie kandidiert auf dem prominenten Listenplatz 4 der „Alternative für Deutschland“ (AfD) für das Europaparlament – das „Parlament der Europäischen Union“, wie sie es nennt. Die Unterscheidung ist ihr wichtig. Sie habe nichts gegen „Europa“, aber gegen „diese EU“. Und Europa bestehe aus fast 50 Staaten, die EU nur aus 28. Wenn die Umfragewerte für die AfD von sechs bis sieben Prozent stabil bleiben, hat von Storch beste Chancen, ab dem 25. Mai EU-Abgeordnete zu sein.

Beatrix von Storch - bald die wichtigste Frau der AfD?

Dann wäre sie die wichtigste Frau der Euro-kritischen Partei – und darin sehen nicht wenige außerhalb und innerhalb der AfD ein Problem. Es geht um ihre Auffassungen zu Frauen, Familie und Homosexualität. Es geht um Sätze wie den folgenden, den sie kürzlich auf dem katholischen Portal „kath.net“ veröffentlichte. Es war eine Warnung vor „staatlicher Umerziehung“, die zum Ziel habe: „den ,bipolaren Geschlechterzwang’ aufzubrechen, die Geschlechter zu dekonstruieren, die ,Zwangsheterosexualität‘ zu bekämpfen und die Sexualisierung der Gesellschaft voranzutreiben.“ Ein anderes Mal schrieb sie, dass die EU eine „Sexualausbildung ab der Grundschule“ plane, „Masturbationslerneinheiten für 0- bis 4-Jährige“ fordere, und ein Recht auf Abtreibung als „europäisches Menschenrecht“ einführen wolle.

Als die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ vor kurzem eine Geschichte unter dem Titel „Christliche Alternative für Deutschland“ brachte und die These vertrat, von Storch treibe zusammen mit Parteichef Bernd Lucke eine religiöse Fundamentalisierung der AfD voran, war die Aufregung groß. Intern hieß es, dieser Verdacht sei viel gefährlicher als jeder Rechtspopulismus-Vorwurf. Zusammen mit Lucke setzte von Storch als Entgegnung eine lange Pressemitteilung auf. Sie sei eine ganz normale Protestantin, sagt sie. Eher beiläufig erzählt sie, dass sie kürzlich per Internetvideo eine Morddrohung erhielt.

Knallhart konservativ

Es gab auch Zeiten, da profitierte die 42 Jahre alte Juristin von dem Ruf, eine knallharte Konservative zu sein. Es hieß, sie stehe an der Spitze einer deutschen „Tea Party“. Einer Bewegung nach US-Vorbild, die dem Staat misstraut, für strengere Abtreibungsgesetze und gegen die Homo-Ehe kämpft. Vor der Bundestagswahl sprach von Storch mit der Nachrichtenagentur „Idea“, die Teil eines evangelikalen Netzwerks ist. Diese schrieb daraufhin über ihr Engagement gegen Sterbehilfe und Abtreibung: „Für sie als evangelische Christin ist die AfD gegenwärtig die beste Möglichkeit, diese ethischen Werte politisch umzusetzen.“

Dass von Storch als einflussreich gilt, hat viel mit der „Zivilen Koalition“ tun. „Meinem Verein“, wie sie sagt. 2004 wurde er von ihr gegründet, sie spricht von einer „Graswurzelbewegung“. Manche in der AfD behaupten, es gehe um „hochbezahlten Lobbyismus“, Finanzquelle unbekannt. Als vor der Bundestagswahl ein Hamburger Reeder ein hohes Darlehen an die AfD vergab, hielt sie den Kontakt. Auch im Zusammenhang mit einem „Freundeskreis der AfD“, der damals große Anzeigen in Zeitungen schaltete, fällt immer wieder ihr Name.

Von Storch betreibt ein halbes Dutzend Webseiten

Bis vor drei Jahren arbeitete von Storch als Anwältin für Insolvenzrecht, seitdem ist Protestunternehmerin ihr Hauptberuf. Sie lebe von Erspartem, sagt sie. Zusammen mit ihrem Mann Sven von Storch betreibt sie von der Berliner Zionskirchstraße aus ein halbes Dutzend Webseiten, die Internetzeitung „Freie Welt“, ein „Institut für Strategische Studien“, den „Bürger-Konvent“, die „Allianz für den Rechtsstaat“, die „Initiative Familienschutz“. Aktiv sind dort auch die frühere CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld und die „Familienschützerin“ Hedwig von Beverfoerde.

Geboren als Herzogin von Oldenburg

Wichtigster Berater aber ist ihr Mann Sven von Storch. Die beiden lernten sich zu Studienzeiten kennen – „aber nicht bei einem Adelsball, schreiben Sie das!“ Beatrix trug damals noch ihren Mädchennamen, geboren wurde sie als Herzogin von Oldenburg. Ihre verwandtschaftlichen Beziehungen reichen bis hin zu den Windsors, auf der Liste der britischen Thronfolger steht sie auf Platz 1093. Die genaue Platzierung hat sie angeblich nicht im Kopf. Das sei auch unerheblich, „da steht doch fast jeder drauf“. Beatrix von Storch legt Wert auf die Information, dass sie nicht in einem Schloss aufgewachsen sei. Ihr Vater habe als Ingenieur ein kleines Bauunternehmen im Hamburger Speckgürtel gehabt, ihre Schwester arbeite als Grafikdesignerin.

Für ein Gespräch hat Beatrix von Storch den „Weltempfänger“ am Arkonaplatz in Berlin-Mitte vorgeschlagen, ein Café mit hellgrauen Wänden, vor denen ihre waldgrüne Tweed-Jacke im Gutshofstil besonders auffällig wirkt. Gerade ist sie aus Stuttgart zurückgekehrt. Bei einer Demonstration gegen den grün-roten Bildungsplan, der auch das Thema „sexuelle Vielfalt“ behandeln sollte, lief sie in der ersten Reihe mit.

Ihre wichtigsten Themen: Sexualität und Geschlechterrollen

Knallhart konservativ. Bis vor drei Jahren arbeitete Beatrix von Storch noch als Anwältin für Insolvenzrecht. Mittlerweile lebt sie von Erspartem.
Knallhart konservativ. Bis vor drei Jahren arbeitete Beatrix von Storch noch als Anwältin für Insolvenzrecht. Mittlerweile lebt sie von Erspartem.
© Davids/Sven Darmer

Wenn man sie fragt, warum sie die Themen Sexualität und Geschlechterrollen so umtreiben, dann sagt sie: „Weil die Veränderung schleichend kommt. Im allgemeinen Sprachgebrauch zum Beispiel werden gezielt Geschlechterstereotype eliminiert. Erst verschwinden die Begriffe, dann die Ideen dahinter.“ Die meisten Leute bemerkten das gar nicht. „Ich frage sie dann: Was ist Ihre Herkunftssprache? Was ist Ihr Herkunftsland? Und keiner merkt, was sich da schon verändert hat. Man spricht nicht mehr von Muttersprache und Vaterland.“ Dann erwähnt sie, dass es um ganz „kleine Stöpsel“ gehe, die ihr leidtäten, weil diese jetzt in der Schule beigebracht bekämen, was Lesben „unten rum“ machen würden. „Entscheidend ist die Summe der Manipulationen“, sagt sie.

Nun ist Beatrix von Storch in ihrem Element. „Kennen Sie den Fall David Reimer? Nein? Dazu gibt es Videos im Internet, die müssen Sie sich anschauen.“ Sie schildert den Fall eines kanadischen Jungen, dessen Penis bei einer Beschneidung in den 60er Jahren verstümmelt wurde. Auf Anraten des Arztes Dr. Money wurde er als Mädchen mit dem Namen Brenda erzogen. „Das ist der Fall, auf dessen Grundlage die Nichtexistenz der Geschlechter gelehrt werden soll.“ Das Kind habe lieber Fußball spielen und raufen wollen – „er war immer ein Außenseiter, fühlte sich in der ihm aufgedrängten Rolle fremd im eigenen Körper und beging schließlich Selbstmord“.

Kampf gegen "Gender Mainstreaming"

Das alles erzählt sie, um zu begründen, warum sie „Gender Mainstreaming“ so vehement ablehnt. Das Bundesfamilienministerium definiert den Begriff so: „Bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“

Begonnen hatte Beatrix von Oldenburgs Engagement allerdings nicht mit dem Kampf gegen „Gender Mainstreaming“. Als Studentin stritt sie in den 90er Jahren für die Rücknahme der ostdeutschen Bodenreform. Zwar sei ihre Familie nicht von Enteignungen betroffen gewesen, dafür aber das Adelsgeschlecht der von Storchs in Mecklenburg. Schon als junge Jura-Studentin in Heidelberg habe sie gestört, dass der „Schirm des Rechtsstaats“ Löcher habe: „Erst werden nur die nass, die direkt drunterstehen, später kriegen dann alle nasse Füße.“

Sven von Storch wuchs in Chile auf, „nicht in Argentinien“, wie sie betont. Wieder greift ihr Finger kurz ans Augenlid: Sie wissen schon, was ich meine! In der AfD werde das Gerücht gestreut, seine Familie habe etwas mit den Nazis zu tun gehabt. Das aber sei infam, denn die von Storchs seien im Widerstand aktiv gewesen. Ähnliche Bemerkungen werden ihr bekannt vorkommen: Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, Beatrix von Storchs Großvater, war Reichsfinanzminister zwischen 1932 und 1945.

Storchs Internetvideos als Fundgrube für Satiresendungen

Als „Ikone der Nationalen“ hat sie Oliver Welke in der ZDF-„Heute-Show“ vor kurzem bezeichnet. Für die Redakteure der Satiresendung sind von Storchs Internetvideos inzwischen zur Fundgrube geworden. Eine ihrer Reden wurde so zusammengeschnitten, dass 20 Mal zu hören ist: „Führen, Führer, geführt“. Beim 21. Mal ruft von Storch: „Autobahnbau“. Jetzt grinst sie: „Hach – sie hat wieder Autobahn gesagt.“ Bei einem Wahlkampfauftritt vor einer Woche in Zehlendorf erwähnt sie den Einspieler auch vor Publikum: „Da lache ich jedes Mal wieder drüber.“

In einem der Originalvideos ist sie vor dem Reichstag zu sehen. Sie legt die Stirn in Falten, dann ruft sie: „Mobilisieren wir uns gegen den Ausverkauf unserer Interessen! Wir sind die Mehrheit!“ Wie mächtig die „Zivile Koalition“ aber wirklich ist, darüber gehen die Meinungen stark auseinander. Außerhalb des Internets ist ihre Protestbewegung kaum sichtbar. Sie begründet das so: „Wir machen eben Basisarbeit. Gerade habe ich wieder 30 000 Briefe verschickt. Briefe, verstehen Sie!“ Beatrix von Storch spricht von mindestens 100 000 Anhängern. Beweise dafür gibt es nicht.

In Schwierigkeiten geriet das kinderlose Ehepaar kurz vor der Bundestagswahl, als bekannt wurde, dass Sven von Storch 98 000 Euro von Vereinskonten abgehoben hatte. Seine Frau sagt, man habe das Geld 2012 aus Angst vor einem Sturm auf die Banken in Sicherheit gebracht. Ein Notar habe später bestätigt, dass das Geld im Safe liege. Auf ihre Finanzquellen angesprochen, erklärt sie: „Wir halten uns genau an die vereins- und finanzrechtlichen Bestimmungen.“ Gerade erst sei dies wieder vom Finanzamt bestätigt worden.

Ehemalige Vereinsmitarbeiter hingegen berichten von unsauberen Methoden. Dokumente belegen, dass E-Mail- Adressen bei Adresshändlern gekauft wurden. Abgeordnete beklagen, sie würden mit Spam-Mails zugemüllt. Ein Ex-Redakteur der „Freien Welt“ spricht von „absurden Tatsachenverdrehungen“, die von ihm verlangt worden seien. Dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zum Beispiel war unterstellt worden, er setze sich für die Interessen von Pädophilen ein. Der Artikel verschwand von der Seite, nachdem von Storch für die Europawahl nominiert worden war.

Zu finden ist dagegen noch ein Text aus dem vergangenen Jahr, in dem Parteichef Lucke schlechte Umfragewerte vorgeworfen werden. In der AfD ist es ein offenes Geheimnis, dass Lucke Beatrix von Storch am liebsten nicht im Europaparlament sehen würde. Beim Listenparteitag im Januar hatte er hinter den Kulissen für eine Gegenkandidatin geworben. Nach außen aber lässt er nichts auf sie kommen. Anders als Franz Niggemann, der früher Bezirksvorsitzender in Tempelhof-Schöneberg war. Im Januar verließ er die AfD, weil Beatrix von Storch ihm zu einflussreich wurde. Er sagt: „Sie vertritt eine fundamentalistische Linie und ist durch ihren Glauben getrieben. Das bedeutet bei ihr auch, Randgruppen zu diskriminieren.“

"Vielleicht habe ich etwas zu wenig Konsensorientierung"

Draußen, vor dem „Weltempfänger“ am Arkonaplatz, schaut Beatrix von Storch nach dem Ende des Gesprächs zuerst auf ihr Smartphone. Zwei tollende Kinder versperren ihr den Weg, sie schüttelt den Kopf und murmelt etwas. Der Vater springt hoch und sagt zu seiner Tochter: „Das mögen die Leute nicht so.“ Die AfD-Politikerin ist da schon außer Hörweite. „Vielleicht habe ich etwas zu wenig Konsensorientierung“, hatte sie ein paar Minuten zuvor gesagt.

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