Berliner Philharmoniker & Daniel Barenboim: Amor muss ein Teufel sein
Wie im Rausch: Jörg Widmann singt eine symphonische Hymne auf Schiller und Daniel Barenboim gastiert bei den Berliner Philharmonikern.
„Süßer Amor, verweile/Im melodischen Flug“: Dass dieses Fragment aus einem verschollenen Gedicht von Friedrich Schiller allein schon in Tönen schwingt, hat der Komponist Jörg Widmann herausgehört und sich von den zwei kleinen Zeilen zu einem groß besetzten Orchesterstück inspirieren lassen. Sein „Symphonischer Hymnos nach Schiller“ spannt den Bogen über eine halbe Stunde, um dem kühnen Entwurf des Dichters in seiner eigenen Sprache zu antworten: „Teufel Amor“ ist daraus geworden. Stürzend und sich verzehrend folgt die Musik dem Amor-Flug und will die Liebe besingen, „auch in ihrer teuflischen Gestalt“.
Daniel Barenboim und die Berliner Philharmoniker, deren intensive Partnerschaft nun ein halbes Jahrhundert umfasst und überschreitet, gehen mit dem Werk auf Entdeckungsreise. Gebeugt über die Riesenpartitur auf seinem Dirigentenpult, gestaltet der Maestro mit den philharmonischen Bläsern eine Feier unheimlicher Tiefe, bis sich die Streicher einmischen, Akkorde krachen, irisierend hohe Violinen in dichten Linien schmerzen, Schönklang sich hochschraubt, wilde Gewalt mit viel Schlagzeug im Teufelstanz sich regt und schließlich legt, um Amors Lied Raum zu geben – was der Teufel vermasselt.
Jörg Widmann lässt Riesenorchester auffahren und ist doch ein Meister des Disparaten
Jörg Widmann, vor 42 Jahren in München geboren, ist Klarinettist und ein Komponist, dem heute die Musikwelt gehört. Die Bayerische Staatsoper sowieso, wo seine Sloterdijk-Oper „Babylon“ gigantische Kräfte freisetzt, dazu die besten Orchester und Kammermusiker überall. Unter seinen Uraufführungsdirigenten befinden sich so heterogene Namen wie Boulez und Thielemann. Er ist Professor an der Freiburger Hochschule, war Composer in Residence des DSO in Berlin.
Wo sich weniger erfolgreiche Tonschöpfer mit geringen Besetzungen bescheiden, kann Widmann Riesenorchester auffahren lassen. Aber wie er damit umgeht, das hat Charakter, ohne sich anzubiedern. Er ist ein Meister der klanglichen Disparatheit, durch die Vertrautes schimmert, was sich beim Hören aber bis zum Versteckspiel verschlüsselt.
Eine kleine Wartezeit vergeht mit aufforderndem Zwischenklatschen, bevor Daniel Barenboim nach der Pause wieder das Podium betritt. Dass er etwas angestrengt ist an diesem Abend, steigert seine Hingabe an die Seelenregungen der Pathétique von Tschaikowsky. So heftig echauffiert er sich in der Betriebsamkeit des dritten Satzes, dass Zwischenapplaus ausbricht. Der Schweiß rinnt. Die Philharmoniker, deren Soli glänzen, spielen nun wie berauscht. Gefeiert wird ein fiebriges Adagio lamentoso.