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Weniger ist mehr. Pianist und Kulturmanager Markus Hinterhäuser leitet die Salzburger Festspiele seit 2016.
© Salzburger Festspiele / Franz Neumayr

Salzburger Festspiele trotz Corona: „Am Ende wird sich’s ausgehen“

Die Salzburger Festspiele werden als einziges großes Sommerfestival dieses Jahr trotz Corona stattfinden. Ein Gespräch mit Intendant Markus Hinterhäuser.

Während andere große Festivals wie die Bayreuther Festspiele oder die Opernfestspiele von Aix en Provence schon früh abgesagt wurden, haben Sie mit der Entscheidung bezüglich der Sommerfestspiele lange gewartet. Was gab Ihnen die Zuversicht, dass Sie spielen können?
Von echter Zuversicht konnte lange Zeit keine Rede sein. In den Wochen des Lockdowns dachten wir wie Karl Valentin: „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.“ Natürlich haben wir gehofft, dass nach der Absage der Osterfestspiele und der Pfingstfestspiele zumindest im Sommer etwas möglich sein würde. Wir haben viele Szenarien durchgespielt – von der Totalabsage bis zu einem einzelnen Festivaltag.

Dann entwickelten sich die Infektionszahlen in Österreich positiv. Und durch den Stufenplan der Bundesregierung konnten ab dem 1. August 2020 bei Vorlage eines strengen Hygienekonzepts bis zu 1000 Besuchern zu Veranstaltungen zugelassen werden. Proben, Oper, Theater, Auftritte von Symphonieorchestern – das war alles wieder möglich. So können wir jetzt auch künstlerische Akzente setzen. Natürlich werden wir wirtschaftliche Verluste haben, aber sie werden verschmerzbar sein.

Vom ursprünglichen Opernprogramm behalten Sie nur Richard Strauss’ Musikdrama „Elektra“, das die Festspiele eröffnet. Die restlichen fünf Neuproduktionen sollen im nächsten Jahr nachgeholt werden. Haben Sie sich für „Elektra“ entschieden, weil kein Chor dabei ist?
Es war uns wichtig, zum 100-jährigen Jubiläum der Festspiele das Werk eines Festivalgründers dabeizuhaben. Alle Konzerte und Vorstellungen, die wir im Sommer veranstalten, werden ohne Pause durchgeführt. Da passt der Einakter „Elektra“ auch sehr gut. Das Personal auf der Bühne ist überschaubar und es braucht eben keinen Chor.

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Mit „Così fan tutte“ ist in wenigen Wochen eine Opernproduktion ganz neu für die modifizierten Salzburger Festspiele entstanden. Christof Loy, der eigentlich „Boris Godunow“ inszenieren sollte, führt Regie. Joana Mallwitz, vorgesehen für die „Zauberflöte“, dirigiert. Warum diese Neuproduktion auf den letzten Drücker?
Wir wollten die Salzburg Festspiele nicht ohne eine Mozart-Oper veranstalten. Normalerweise brauchen Opernproduktionen einen Vorlauf von rund drei Jahren. Jetzt haben wir nur wenige Wochen, um mit einem jungen Ensemble und einem begrenzten Bühnenbild „Così fan tutte“ entstehen zu lassen. Diese Spontaneität und Vitalität setzt aber auch Energie frei. Vielleicht ist solch eine Produktion auch perspektivisch interessant, da wir noch lange gezwungen sind, mit dem Coronavirus zu leben und dabei flexibel zu bleiben.

Sie hatten bereits 180 000 Karten verkauft, haben aber nun nur 80 000 Karten zur Verfügung. Wer geht leer aus?
Wir werden jeden einzelnen anschreiben, der Karten bestellt hat, um auch herauszufinden, wer denn überhaupt nach Salzburg kommen möchte. In manchen Ländern gibt es Reiseverbote. Die Karteninhaber werden auf jeden Fall bevorzugt behandelt. Wir haben einen Algorithmus entwickelt, der Alternativen vorschlägt. Wir sind zuversichtlich, dass sich das am Ende ausgeht, wie wir in Österreich sagen.

Beim Programm des ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien unter Kent Nagano haben Sie mit Bernsteins Symphonie Nr. 3 „Kaddish“ das Werk mit Chor gestrichen und spielen nur Mahlers „Lied von der Erde“. Ist Chorgesang zu gefährlich?
Wir haben uns für ein Werk entscheiden müssen, weil wir ohne Pause spielen. Das hat den Ausschlag für Mahler gegeben. In Sachen Chorgesang gehen die wissenschaftlichen Meinungen auseinander. Wenn wir aber einen Chor vermeiden können, vermeiden wir ihn. Auch die Orchesterbesetzung ist bei „Kaddish“ noch aufwändiger als bei Mahler. Mich hätte gerade die Kombination der beiden Werke interessiert, aber das geht leider nicht mehr.

[Die Salzburger Festspiele finden vom 1. bis 30. August mit zwei Opernpremieren, drei Theaterstücken, Konzerten und Lesungen statt.]

Die Wiener Philharmoniker spielen unter Riccardo Muti dreimal die 9. Symphonie von Beethoven mit dem Wiener Staatsopernchor. Wie stellen Sie den Chor auf?
Ganz eng beieinander werden die Choristen jedenfalls nicht stehen. Das Konzert wird im großen Festspielhaus stattfinden – da gibt es schon viel Platz auf der Bühne. Die Wiener Philharmoniker müssen gar keine Abstandsregeln beachten, sie sitzen bei den Opernproduktionen dicht an dicht im Orchestergraben. Sie werden regelmäßig getestet. Wir werden auch eine Teststation im Festspielhaus haben. Diese Regel gilt übrigens für alle österreichischen Orchester. Das wird in Deutschland anders gesehen.

Welche Abstandsregeln gelten denn für die anderen Orchester?
Das West-Eastern-Divan Orchestra, das am 16. August unter Daniel Barenboim spielt, und die Berliner Philharmoniker, die zwei Konzerte unter Kirill Petrenko am Festivalende geben, halten sich aus Haftungsgründen an die Vorgaben, die in ihrem Heimatland gelten. Die Programme wurden teils verändert und sind jetzt kleiner besetzt als ursprünglich geplant, um genügend Platz auf der Bühne zu haben.

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Eine coronabedingte Vorgabe war, die Konzerte ohne Pause stattfinden zu lassen und die Bewirtung zu streichen. Die Zuschauer sollen möglichst kontaktlos hinein und wieder herausgeschleust werden. Fehlt da nicht etwas ganz Entscheidendes: nämlich das Gespräch über das Erlebte?
Das Hineingehen wird länger dauern als sonst, weil sich jeder ausweisen muss. Das Gespräch kann danach auch in Restaurants geführt werden. Ein Festival besteht aus einer künstlerischen Konzeption und aus einer atmosphärischen Situation. Trotz der Vorgaben versuchen wir, eine besondere Atmosphäre herzustellen. Und wir installieren ein Navigationssystem für die Besucher, das möglichst jedes Risiko ausschließt. Wir appellieren aber auch an die Eigenverantwortung der Besucher.

In den Konzertpausen gilt bei den Salzburger Festspielen Sehen und Gesehen-Werden. Verändert das Fehlen dieser Publikumsbühne den Charakter des Festivals?
Das kann ich Ihnen erst nach dem Festival sagen. Die angebliche Glamoursucht halte ich allerdings für ein Klischee, das nicht zutrifft. Aber vielleicht gibt es in diesem Jahr noch eine konzentriertere Hinwendung zur Kunst, weil jede Ablenkung fehlt.

Vor ein paar Wochen habe ich mit hundert anderen Besuchern einen Klavierabend von Daniel Barenboim im Wiener Musikverein gehört. Ich war sehr melancholisch gestimmt, als ich in den fast leeren Saal ging. Während des Konzertes war es ganz still. Niemand hat es gewagt zu husten, jeder hatte viel Raum um sich. Ich möchte das wirklich nicht als Dauerzustand, aber ich konnte besonders intensiv zuhören.

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