Theatertreffen: „89/90“ vom Schauspiel Leipzig: Als noch Osten war
Das Schauspiel Leipzig widmet sich in der Produktion „89/90“ der friedlichen Revolution. Die Einladung der Regisseurin Claudia Bauer ist mehr als überfällig.
Es hat ja gute Gründe, dass die DDR nur 40 Jahre alt wurde. Aber eines muss man ihr lassen: Auf ihren letzten Metern, in den Jahren 89/90, hat sie sich noch mal ziemlich aktionistisch ins Zeug gelegt. „89/90“ heißt auch der Roman des gebürtigen Dresdners und hauptberuflichen SZ-Autors Peter Richter, der all die Etappen von den Montagsdemonstrationen bis zur Wiedervereinigung noch einmal Revue passieren lässt – aus der Sicht des Teenagers, der Richter damals war. Es ist ein aufschlussreicher Text, der sächsische Wendejugend-Kämpfe zwischen Skins und Punks so zu beschreiben versteht, dass man darin bereits heutige Pegida-Atmosphären aufziehen sieht. Nur eines ist der epische 412-Seiter garantiert nicht: Ein Werk, das per se nach der Bühne schreit. Und das wiederum macht ihn zu einem Paradefall für die Regisseurin Claudia Bauer.
Bauer sitzt im „Piloten“, der Theater-Kneipe des Schauspiels Leipzig, und erinnert sich: Das könne man eigentlich gar nicht für die Bühne adaptieren, habe der vom Buch schwer begeisterte Intendant Enrico Lübbe zu ihr gesagt. „Das ist also was für dich!“ Lübbe behielt recht: Wann immer es dramatisch kompliziert wird oder aber ein Text so wenig well-made ist, dass Bauer beim ersten Lesen das Gefühl hat, „man könnte genauso gut vor einer Mathe-Hausaufgabe oder vor dem Telefonbuch sitzen“, läuft sie zur Höchstform auf. Weshalb ihre erste Einladung zum Theatertreffen tatsächlich mehr als überfällig ist.
Mit „89/90“ ist Claudia Bauer sogar das seltene Kunststück gelungen, den Romanstoff nicht nur adäquat umzusetzen, sondern ihn sogar inszenatorisch aufzuwerten. Bauer nimmt die 89/90er Anekdoten, die vom Tonfall her gern mal auf der lässigen „Sonnenallee“-Welle surfen, zum Anlass einer umfassenden, ernsthaften Wendebetrachtung, entgeht dabei aber der Ostalgie- genauso geschmackssicher wie der Tränendrüsen-Falle.
Aus theaterideologischer Überzeugung (Ost-)Berlinerin
Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich als inszenatorische Ost-Expertin erweist. Wolfram Hölls im besten Sinne sperrigem Text „Und dann“, der um Verlust, Erinnerung und eine Kindheit im Plattenbau kreist und zu Recht den Mülheimer Dramatikerpreis 2014 gewann, verschaffte Bauer in Leipzig eine ebenso spektakuläre wie kluge Uraufführung, die vielen das Stück überhaupt erst erschloss. Dahinter steckt harte „Detektivarbeit“, wie die Regisseurin das nennt. Dass sie die Texte nicht fünf- und auch nicht zehn-, sondern eher zigmal liest, ist erst der Anfang des intensiven Prozesses.
Geboren ist Claudia Bauer zwar im bayrischen Landshut. Aber seit 1991 ist sie (Ost-)Berlinerin. Und zwar aus theaterideologischer Überzeugung. Am Mozarteum Salzburg, wo sie nach dem Abi Schauspiel zu studieren begann, war sie „sehr unglücklich“, wie sie sagt: „Dort wurde diese Psycho-Einfühlung praktiziert“, erzählt die Regisseurin und lacht. „So nach dem Motto: Denk’ an deine schwere Kindheit, damit die Figur auf der Bühne möglichst gut heulen und dabei zufälligerweise auch noch einen antiken Text sprechen kann.“
Ein Gastspiel der Ost-Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ – zu DDR-Zeiten Partnerschule des Mozarteums – mit Brechts „Gutem Menschen von Sezuan“ wurde für sie zum „Erweckungserlebnis“: „Da habe ich zum ersten Mal eine Spielweise kennengelernt, die nicht über Einfühlung läuft, sondern exaltiert, wild, bunt, clownesk und politisch ist. Aber eben nicht verkrampft politisch, sondern komödiantisch.“ Der Brecht’sche Zeigegestus, dieses „Wir fühlen nicht, was wir spielen, sondern wir führen es vor“, hatte für Claudia Bauer, die bis heute ein großer Fan von Masken, Puppen und anderen bühnentechnischen V-Effekten ist, regelrechten Erlösungscharakter. Logisch, dass sie kurz nach dem Mauerfall nach Berlin ging, um aufs Salzburger Schauspiel- noch ein Regiestudium an der „Ernst Busch“ zu satteln.
Initialzündung durch Castorfs Volksbühne
Die Wohnung, die sie zu dieser Zeit besetzte, lag in der damals gähnend leeren Ost-Berliner Mitte, verfügte nicht über Warmwasser und kostete dafür auch nur schlappe 22 Mark Monatsmiete. Heute bewohnt sie sie immer noch. Auch sonst war das Timing perfekt: „Ich kam an die ,Busch‘ und Frank Castorf wurde Intendant der Volksbühne.“ Die theatralen Initialzündungen durch das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz sind Bauer bis heute präsent.
Der Osten, dem sie später übrigens auch als Regisseurin in Halle, Magdeburg oder Schwerin und von 1999 bis 2004 als künstlerische Leiterin des Theaterhauses Jena die Treue hielt, habe in die „Gesamtkonstruktion Deutschland“ etwas sehr Entscheidendes eingebracht, konstatiert Claudia Bauer: „Eine neue Art von Theater.“ Und das wiederum präsentiert sich unter ihrer Regie wirklich in Bestform.
Haus der Berliner Festspiele, 14. und 15.5., 19.30 Uhr