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Das erste Programm des Tempo-Verlags. Mit Kat Kaufmann als Covergirl.
© Verlag

Neuer Verlag für Popliteratur: Als der Spaß am größten war

Die Zeitschrift „Tempo“ stieg in den achtziger Jahren zum legendären Zeitgeistmagazin auf. Jetzt kehrt der Geist von damals zurück – auf dem Buchmarkt.

Es mutet zunächst so an, als würde der krisengeplagte Bundesliga-Dinosaurier Hamburger SV plötzlich attraktiven Leipzig- oder Freiburg- oder Guardiola-Fußball spielen. Der in Hamburg ansässige, hanseatisch gediegene, häufig auf Publikumsbücher von Arnold Schwarzenegger oder Michail Gorbatschow setzende, sich aber genauso als Heimatort anspruchsvollerer Literatur verstehende Verlag Hoffmann & Campe hat ein neues, bewegliches, womöglich hippes Sublabel gegründet, eins mit einem lange eingeführten Namen: den Tempo-Verlag.

Hundert Zeilen Hass

„Tempo“ hieß in den mittleren achtziger Jahren, „als der Spaß am allergrößten war“ (Rainald Goetz), eine Zeitschrift, für die zum Beispiel Christian Kracht, Moritz von Uslar oder Marc Fischer arbeiteten und die Generationen von Popjournalisten und Gonzo-Journalismus-Epigonen hervorgebracht hat. Möglich macht so was ein Verleger, der Hoffmann & Campe jetzt seit drei Jahren leitet, der durchaus innovationsfreudig ist – und nicht zuletzt im „Tempo“-Alter: Daniel Kampa, geboren 1971. Auch wenn er in der Ankündigung seines Verlags für das Frühjahr 2017 davon spricht, sich „Tempo“ immer von seinem älteren Bruder ausgeliehen und nie zurückgegeben zu haben. Mit gleich acht Veröffentlichungen geht Kampa mit dem Tempo-Verlag an den Start, mit einer Mischung, die vermeintlich Neues und Junges genauso verspricht wie Bewährtes und betont in der „Tempo“-Tradition stehendes. Also hier der zweite Roman der 1981 in St. Petersburg geborenen Autorin Kat Kaufmann, dort ein Buch von Guy Talese, einem der bekanntesten Vertreter des New Jounalism; hier ein Roman der hierzulande unbekannten Schriftstellerin Lina Wolf mit dem beziehungsreichen Titel „Bret Easton Ellis und die anderen Hunde“, dort die Wiederauflage von Maxim Billers „Tempo“-Kolumne „100 Zeilen Hass“, dereinst als „Die Tempojahre“ schon einmal in Buchform erschienen.

Einer gewissen Gewöhnung bedarf das Ganze unter dem Dach von Hoffmann & Campe schon. Doch der gute alte Zitat-Pop der achtziger Jahre ist längst in der Verlagswelt angekommen. Zumal die Umdrehungsgeschwindigkeiten bei Buchveröffentlichungen mitunter etwas Popmäßiges haben. Keine Atempause, Programme und Bücher werden gemacht. Der Tempo-Verlag ist ein schönes Retro-Branding, hat aber auch etwas von einer nachträglichen Kanonisierung dieser sich einst als Lifestyle-und-Zeitgeist-Hochamt verstehenden Zeitschrift, passt also gut zu der allgegenwärtigen Kanonisierung im Pop.

Bücher müssen sich was trauen

Andererseits ist das alles nicht so neu. Auch Kiepenheuer & Witsch hatte vor einigen Jahren Achtziger-Jahre-Popbuch-Klassiker wie die Anthologie „Rawums“, Joachim Lottmanns Roman „Mai, Juni, Juli“ oder Diedrich Diederichsens „Sexbeat“ neu aufgelegt. Und gab es beim Aufbau Verlag nicht auch ein Label names Metrolit, das die „Grenzen zur Literatur verschwimmen“ (so Kampas „Tempo“-Verlagsvorhaben) lassen wollte? Das Bücher, die „sich etwas trauen“, veröffentlicht hat, unter anderem ein „Spex“-Jubiläumsbuch?

Nur: Metrolit wurde vor gut einem Jahr wieder eingestellt. Ökonomisch war der Verlag kein Erfolg. Weshalb dieser Aufschlag bei Hoffmann & Campe ein guter, wahrhaft tempohafter ist – am Ende zählt auf dem Platz, also dem Buchmarkt.

Gerrit Bartels

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