Angelica Domröse zum 80.: Alles wie zum ersten Mal
Ohne sie ist das DDR-Kino nicht vorstellbar. Die Berliner Schauspielerin Angelica Domröse schrieb Filmgeschichte. Jetzt wird sie 80.
Seltsam, welches Bild man zuerst sieht, wenn man an einen Film denkt. „Die Legende von Paul und Paula“: Sie lehnt in der Haustür, sehr still, inmitten vieler und doch von allen geschieden. Mehr geschieht nicht. Da versucht eine, nicht zu explodieren vor Glück. Aber was heißt Glück? Sehen, schmecken, riechen, hören – alles wie neu, alles wie zum ersten Mal. Und man sah es ihr an.
Wenn von der DEFA nur ein Film übrigbleiben dürfte, die meisten würden wohl „Die Legende von Paul und Paula“ wählen. Auch weil sich in ihm der Aufbruch einer ganzen Zeit, der frühen Siebziger Jahre, mit dem zweier Menschen verband.
Dieser Film war nur damals möglich, 1973, sagte Drehbuchautor Ulrich Plenzdorf. Ulbricht war weg und Honecker noch nicht richtig da. Der Geschmack von Zukunft lag beinahe auf jedermanns Zunge, und Paul und Paula waren seine Zeugen.
Drei Jahre zuvor hatte Angelica Domröse als Effi Briest vor der Kamera gestanden. Da war das DDR-Kino schon nicht mehr vorstellbar ohne sie, ihr Gesicht wurde zur Ikone. Diese Kinnlinie! Etwas zu lang, aber auf ganz und gar betörende Weise. Liegt Schönheit nicht immer in der minimalen Abweichung von der Regel?
Spielen in den Trümmern des Nordbahnhofs
Doch Regisseur Heiner Carow war das egal, er wollte sie nicht. Paula ist 22!, sagte er zu der Anfangdreißigjährigen. Er hatte landauf, landab nach seiner Paula gesucht, in Fabriken und Berufsschulen. Blutjung und ein Kind von der Straße sollte Paula sein. – Ich bin's!, sagte sie nur.
Zur Not hätte sie für ihn auch eine Siebzehnjährige gespielt. Und wenn jemand ein Recht auf den Ehrentitel „Kind der Straße“ hat, dann doch wohl sie. Am 4. April 1941 wurde sie geboren, im "Heim für gefallene Mädchen“ in Berlin-Weißensee, der Vater ein südfranzösischer jüdischer Fremdarbeiter. Ein Kind der Schande, nach den Begriffen der Zeit. Ihre Mutter wollte sie weggeben und konnte es nicht.
Domröse. Fremder konnte sie gar nicht heißen. Der Name, der dann deutsche Filmgeschichte schrieb, gehörte dem schweren langen Schatten über ihrer Kindheit. Der erbitterte, strafende Hilfsschlosser Rudolf Otto Domröse war nicht ihr Vater, das hat sie lange nicht gewusst, aber gespürt hat sie es jeden Tag.
Berlin hat mich gerettet, die Straße hat mich adoptiert, würde sie sagen. Spielen in den Trümmern des Nordbahnhofs, und wenn es kalt war, ging sie in die Kirche oder ins Kino. Bloß nicht zu Hause sein!
Sie war eine wie Paula, eine von unten. Doch sie bekam alles, was die Straße ihren Kindern mitgibt, wurde stark, frech und spröde.
Die 1106. Kandidatin
Wohl nur ein einziges Mal stand in der DDR eine Annonce wie diese in der Zeitung: Hauptdarstellerin gesucht! Der "Kuhle Wampe"-Regisseur Slatan Dudow, Erfinder des "proletarischen Films", wollte eine Liebeskomödie drehen. Sie war die 1106. Kandidatin des dritten Tags, die Prüfungskommission mitsamt Regisseur schlief schon, doch dann wachten alle wieder auf.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können ]
Dieses Kind da vor ihnen, diese 17jährige Stenotypistin, berlinerte auf sie ein als ginge es um Leben und Tod. Alle lachten - wie später Helene Weigel und ihre berüchtigten Assistenten am Berliner Ensemble. Und nahmen sie.
Göre und Dame. Derbheit und Zartheit. Dieses seltene, berückende Amalgam würde sie durch viele Theaterstücke und Filme tragen. Die großen TV-Mehrteiler "Fleur Lafontaine" und "Abschied vom Frieden" liefen erst, als sie fast schon weg war.
1976 verließ sie die DDR
Ostern 1976 zeigte das DDR-Fernsehen auch einen Mehrteiler, es war "Daniel Druskat". Sie spielte die todkranke polnische Ehefrau des progressiven Parteisekretärs Daniel Druskat (Hilmar Thate), der immer Ärger hat mit einem reaktionären Bauern, der nicht in die LPG eintreten will (Manfred Krug).
Bald darauf machten alle drei Pioniere der sozialistischen Landwirtschaft, was sie niemals wollten: Sie verließen die DDR. Im November 1976 hatten sie zu den Erstunterzeichnern gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann gezählt.
Die schönsten Filme, sagt Angelica Domröse, habe sie danach gedreht, vor allem "Die zweite Haut" von Frank Beyer 1981 und "Hanna von acht bis acht" von Egon Günther 1983. Filme, ganz über ihr Gesicht erzählt, und alles Licht darin ist ihr Licht.
Die Bühnenschauspielerin fand am Schillertheater eine neue Heimat. Heute wird Angelica Domröse, das schönste Gesicht der DEFA, achtzig Jahre alt.