Lars Eidinger als Richard III. an der Schaubühne: Alles gegeben, bürgerlich geblieben
Er buckelt, zieht blank, setzt sich aus: Doch als „Richard III.“ bleibt Lars Eidinger an der Berliner Schaubühne am Ende doch monoton. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Stück fast zum Solo gerät.
Was haben sie hier nicht alles versucht! Thomas Ostermeier, der Regisseur und Schaubühnenchef, hat seinen vertrauten Bühnenbildner Jan Pappelbaum eigens eine Anspielung auf Shakespeares legendäres Globe Theatre in die Apsis des Mendelsohnbaus am Kurfürstendamm einbauen lassen. Das Berliner „Globe“ ist zwar nur ein hübscher Gag, weil eigentlich nichts weiter als ein modernes Amphitheaterchen mit zwei Steilrängen und einer vorspringenden Sandarena. Aber allein die Idee plus Ostermeier, Shakespeare und der Protagonist Lars Eidinger sorgen bei verknapptem Platzangebot dafür, dass dieser „Richard III.“ bis Ende März schon ausverkauft ist.
Und Lars Eidinger gibt viel. Gibt sich hin und preis. Richard Drei ist ja zunächst der von der Natur mit Klumpfuß und Krummwuchs Geschlagene, Verachtete, der zurückschlägt. Wenn er schon nicht zum schönen Liebhaber geboren ist, will er als Königsmörder und Usurpator der Krone zum Held des Bösen werden. An seiner schwarzen Sonne sollen alle Anderen vereisen oder verbrennen. Und Eidinger humpelt gleich zu Anfang so tief und monströs gebuckelt, so knickbeinig verquer auf die Sandbühne, als wolle er zum teufelsfüßigen Meuchler auch noch den mittelalterlichen Glöckner geben, den Quasimodo.
Je höher er dann durch seine Intrigen steigt, desto gewaltsamer richtet auch der Gekrümmte sich auf. Mit einer Halsstreckkrause, mit einem schwarzen, tuntig teuflischen Korsett. Und am Ende gar spielt er die letzte, für ihn tödliche Schlacht („Ein Königreich für ein Pferd!“) als jäher Springfuß ganz allein. Sein Tierfell, das ihn eben zur Nacht noch deckt, wirft er ab, und nur im Slip und wie ein Irrwisch spreizt er sich und tanzt durch den Sand, klettert die Rückwand empor, mimt mit ein, zwei manchmal Eisen an Eisen feuerfunkenden Degen all seine Gegner noch mit. Das ist eine große, körperlich bravouröse Show. Dazu ein durchaus ingeniöser inszenatorischer Einfall. Denn Richards letzte Schlacht, die ihn von seinen Gebrechen zu befreien scheint und in der er zugleich für seine Verbrechen büßt, setzt seinen davor geträumten nächtlichen Alb als Wunsch- und Wahntraum fort – der am jüngsten Tag hier keine reale Beglaubigung mehr braucht. Richards Gegner Richmond tritt nicht mehr auf, und der blutige Held und Unhold hängt sich zum Finale auch selber an seinem imaginären Klumpfuß auf. Kopfüber baumelt er so von der hohen Decke wie einst das abgestochene Schwein in Thomas Ostermeiers vormaliger Shakespeare-Inszenierung, im Berliner „Maß für Maß“.
Die Nebenfiguren bleiben blass
Damals freilich war Gert Voss noch Lars Eidingers Partner und Führer durchs Stück. Der „Richard“ ist nun, nicht nur zum Ende hin, fast gänzlich Eidingers Solodrama. Das liegt einerseits an Shakespeares Vorlage, die Marius von Mayenburg als gut sprechbare Prosa sehr griffig übersetzt hat (mit nur seltenen Steifigkeiten der Art: „Um sein Blut zu royalisieren, habe ich mein eigenes verspritzt“). Mehr noch als beim „Macbeth“ ist das Drama fast ganz auf die Titelfigur fokussiert. Aber es gibt immerhin auch wichtige, schöne Nebenrollen wie Richards opportunistischen Gegenspieler Buckingham, den Moritz Gottwald zu harmlos, fast eigenschaftslos andeutet. Oder die von Richard mit Gatten- und Sohnesmord verletzten und zugleich mit skrupelloser Chuzpe verführten Nobeldamen Elizabeth und Anne (Eva Meckbach, Jenny König). In ihrem leider blass konventionellen Aufsagetheater wirken sie mitunter, als seien sie von der Regie alleingelassen. Ostermeier fehlen da Spielerinnen wie einst Anne Tismer, Katharina Schüttler, Judith Rosmair oder – in seiner noch laufenden, fabelhaften Inszenierung der „Kleinen Füchse“ von Lillian Hellman – eine Nina Hoss oder Ursina Lardi.
Am Ende, nach gut zweieinhalb pausenlosen Stunden gab’s viel Beifall, ja Jubel in der Premiere. Anerkennung wohl vor allem für Lars Eidinger. Für sein Schluss-Solo. Für seine Aussetzung, wenn er zuvor eine lange Szene ganz nackt spielt. Eidinger, so heißt das im Schauspielermetier, bezahlt jederzeit bar. Er rezitiert an einem herabhängenden Mikrofon mit eingebautem Scheinwerfer und Minikamera auch mal englische Originalverse, schmiert sich Sahne als weiße Totenmaskenschminke ins Gesicht, wirft mit Tellern und sich selber als Teufelsschatten an die Wand. Und das erwähnte silbrige Mikro lässt er gerne wie ein Pendel durch den Raum schwingen. Das ist für Kenner dann der von Jan Kott, Shakespeares bestem Exegeten, so bezeichnete Kippmechanismus der Macht.
Aber vieles davon bleibt doch: äußerlich. Eidingers Richard trägt am Kopf beispielsweise eine sonderbare Lederriemenbandage. Sie erinnert an Hannibal Lecters Filmmaske, nur ohne den gespenstischen Maulkorb. Während der Kannibale Lecter zubeißend mordet, tötet Richard mit Worten. Das Drama gründet ja in seiner verkörperten Sprachgewalt. Gert Voss als legendärer Wiener Richard hat das mit aasigem Charme gezeigt; Kevin Spacey agierte zuletzt als Londoner Richard mit belfernder Explosivität: ein Underdog als Bluthund, als Reiß- und Leitwolf.
Lars Eidinger bleibt indes leise, trotz aller Buckelei eher einförmig. Monoton. Ein paarmal züngelnd, listig lächelnd. Aber keine Schärfe – die hat nur Robert Beyer als alte, alle verfluchende Königin Margret. Dieser Richard ist nicht dämonisch, eher bürgerlich, und am dramatischsten klingt das donnernde Schlagzeug (von Thomas Witte). Ein Mal gibt er sich frömmelnd, und man sieht: ein Tartuffe (den Eidinger an der Schaubühne auch noch spielt). Ein Heuchler. Kein wirklicher Meuchler. Vielleicht wollten er und Ostermeier die Banalität des Bösen demonstrieren. Doch nur umgekehrt wird daraus ein Theaterthriller.
Peter von Becker
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