Philippe Le Guays "Molière auf dem Fahrrad": Alexandriner auf der Insel
Spröder Liebreiz, der einen um den Finger wickelt: Fabrice Luchini und Lambert Wilson rezitieren „Molière auf dem Fahrrad“.
Ausgerechnet der „Menschenfeind“. Keinen Geringeren als Nationaldichter Molière hat sich der ergraute Schönling Gauthier Valence für sein Regiedebüt am Theater auserwählt. Den Part des Alceste will er gleich selbst übernehmen. „Die schwierigste Rolle im französischen Theater“, erklärt ihm sein Freund Serge mit leisem Vorwurf – zumal er sie gerne selbst spielen würde.
Die Idee hinter der Komödie „Molière auf dem Fahrrad“ ist simpel und birgt Potenzial für allerlei Peinlichkeiten. Zwei Schauspielfreunde treffen sich nach Jahren wieder. Sie proben Molière in der nasskalten Umgebung der Île de Ré, einer verschlafenen Insel vor der französischen Westküste. Die grundverschiedenen Lebensmodelle schlagen sich in ihren Rollen nieder. So weit, so sehr Steilvorlage für bildungsbürgerliche Witzeleien, für cognacschwenkende Betulichkeit.
Philippe Le Guays Film entgeht diesen Stolperfallen oft mit dem Charme des Beiläufigen – vor allem wegen seiner Protagonisten. Fabrice Luchini gibt als Serge den bockigen Einsiedler, angewidert von der Welt der Schauspielerei. Chronisch pleite, findet er Entspannung im Abmalen von Aktfotos und will sich sterilisieren lassen: nächster Schritt in die Weltabkehr. Dagegen Lambert Wilson als Valence; unerhört erfolgreich als Fernseh-Chirurg, umgarnt in der Öffentlichkeit. Ein Mann von jovialer Milde. Künstlerisch unterfordert, aber vom Ruhm kokett verwöhnt.
Hier asketischer Feingeist, dort Lebemann: Luchini und Wilson umschiffen trotzdem die Klippen platter Klischees. Weil ihre Rollen ironisch Bezug auf die Schauspieler selbst nehmen. Luchini, der Charaktermime, hat mit Éric Rohmer und François Ozon gearbeitet, Wilson, der Mann fürs große Publikum, wäre fast erster französischer Bond-Darsteller geworden. Luchini lebt übrigens selbst auf der Île de Ré, wo er fast täglich den „Menschenfeind“ rezitiert.
Der Film missbraucht Molières Verse dabei nicht für billigen Klamauk, sondern gibt ihnen wohltuend viel Raum. Die Leinwand-Dialoge spiegeln den Streit der beiden Freunde: Im Stück glaubt Alceste, die Menschen ändern zu können, indem er ihnen stets die unbequeme Wahrheit vorhält. Philinte hingegen hat die gesellschaftlichen Regeln verinnerlicht und folgt ihnen eifrig. Auch der Konflikt zwischen Werktreue und freier Interpretation wird ohne Besserwisserei ausgetragen. Am Ende rezitiert eine sonnige Pornodarstellerin, die zur persönlichen Inspiration den Proben beiwohnt, Molières zwölfsilbige Alexandriner. Wenn die beiden älteren Herren schließlich zu Montands Chanson „La Bicyclette“ über die Deiche strampeln, lässt man sich gerne um den Finger wickeln vom spröden Liebreiz des Films.
In 7 Berliner Kinos. OmU: Bundesplatz, Cinema Paris, fsk am Oranienplatz
Kaspar Heinrich
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