Filmfest Venedig: Al Pacino hält Hof
Verspiegelte Brille, hochstehender Haarschopf, zwei schöne Frauen im Arm: Show kann Kult-Schauspieler Al Pacino verdammt gut. Auf dem Filmfest in Venedig hat er gleich zwei Eisen im Feuer.
Al Pacino lässt auf sich warten. Ein paar Mädchen hocken schon seit 7 Uhr morgens am roten Teppich vor dem Palazzo del Cinema, um die Show am späten Nachmittag nur ja nicht zu verpassen. Um 17 Uhr sollte sein zweiter Film beginnen, „Manglehorn“ von David Gordon Green, mit dem er dieses Jahr zum Filmfest Venedig gekommen ist, aber er ist schon fast halb sechs. Endlich fährt der Wagen vor, Schreie gellen über die Panorama-Straße an der Adria, it’s Al-Time in Venice.
Show kann er gut, verdammt gut. Der Mann, der als Michael Corleone in Coppolas „Pate“-Trilogie Filmgeschichte geschrieben hat, der Brian de Palmas „Scarface“ war, der Shakespeare-Helden und andere Killer gespielt hat, Gott und den Teufel, er scheint für den roten Teppich geboren zu sein. Verspiegelte Brille, hochstehender Haarschopf, zwei schöne Frauen im Arm, gibt er dem Affen Zucker. Posiert, lässt sich Zeit, richtet sich das Haar, wenn die Fans Selfies mit ihm knipsen, hebt huldvoll die Hände.
„Al Pacino war mein Marlon Brando“, hatte Chris Messina zuvor in der Pressekonferenz gesagt. Messina spielt in „Manglehorn“ Pacinos Sohn. Ob er Angst vor ihm gehabt habe, wollte ein Journalist wissen. Messina ist dank Pacino in die legendäre Actor’s School aufgenommen worden, auf die Schule von Lee Strasberg, aus der auch Brando, James Dean und viele der großen amerikanischen Charakterdarsteller hervorgegangen sind. Mit Pacino hat er „Ödipus“ und „Salome“ geprobt. Pacino lässt sich dann aber weniger über das Method Acting und die „Experimentierfreude“ der Schule aus als über das Geld, das er damals nicht hatte. „Die Schule war umsonst. Ich war 25, konnte meine Miete nicht zahlen, die Schule übernahm das und Gratis-Schuhe gab’s auch.“
"Kann sein, dass ich depressiv bin"
Bei der Pressekonferenz sitzt er da wie ein Rockstar, ganz in Schwarz gekleidet, mit großen Ringen an den Fingern, langer Halskette und ums Handgelenk gewickeltem Lederband. Die Brille zieht er ab, blinzelt in die Journalistenmeute, knetet seine Finger, gestikuliert mit beiden Armen – in schöner Symmetrie. Eine One-Man-Show: Pacino deklamiert, rezitiert, spricht leise und lange, kettet Assoziationsgirlanden aneinander, hält Monologe, unterbricht sich, staunt über sich selbst: „Oh, jetzt habe ich schon minutenlang über Hollywood geredet, dabei weiß ich bis heute nicht, was Hollywood ist.“ Oder auch: „Kann sein, dass ich depressiv bin, aber zum Glück weiß ich selber nichts davon.“
Auf die Idee mit den Depressionen kommt man schnell bei seinen zwei Venedig-Filmen. Pacino pflegt auf der Leinwand das gleiche Image wie hier auf der Pressekonferenz: das eines in die Jahre gekommenen, ein wenig müde gewordenen, eitlen, sich seiner Eitelkeit aber bewussten Mannes. Eines Typen mit Kontaktstörungen zur Realität, eines Menschen, der nicht mehr sicher sein kann, ob er seinem eigenen Mythos, seiner eigenen Aura, seiner eigenen Vergangenheit genügt. Im Wettbewerbsfilm „Manglehorn“ spielt Pacino einen einfachen Schlosser in einem Provinzkaff, der seit Jahrzehnten der Liebe seines Lebens nachtrauert und sich in dieser Trauer eingeigelt hat. Er stößt alle vor den Kopf, die ihm zugetan sind, nur seiner Katze gegenüber bringt er Freundlichkeit auf. Bis sein Seelenpanzer Risse bekommt...
Eine Tragikomödie in eigener Sache
In Barry Levinsons außer Konkurrenz gezeigtem Kammerspiel „The Humbling“ (nach dem gleichnamigen Roman von Philip Roth) stellt Pacino sich im Wesentlichen selber dar. Könnte man jedenfalls meinen: Der Hollywood- und Bühnenstar Simon Axler leidet unter schweren Depressionen, kann nicht mehr spielen, hat auf offener Bühne versagt – für ihn die ultimative Demütigung. Axler hegt Selbstmordgedanken, igelt sich ein, bis die blutjunge lesbische Tochter von alten Freunden bei ihm aufkreuzt (großartig: Greta Gerwig) und ihn aus seinem Selbstmitleid reißt. Eine Tragikomödie in eigener Sache, und wieder sind Katzen im Spiel...
„Katzen sind gut beim Dreh“, sagt Pacino in Venedig. „Sie erinnern daran, dass man nicht spielen soll, dann ist man am besten.“ Der 74-Jährige hält Hof, kämmt sich die Haare mit den Fingern, unglaublich, wie sehr er diesem Simon ähnelt und diesem bärbeißigen, dennoch sympathischen Schlosser. Pacino weiß genau, was das Publikum will, es will gute Geschichten. Also bitte. Wie wär’s mit einer Story von früher, Anfang der Siebziger, die Dreharbeiten für „Asphaltblüten“? Es war heiß auf dem Set in Bakersfield, Kalifornien, und der große Gene Hackman musste in der prallen Sonne mit dicken Klamotten einen Hügel hinabsteigen. „Ich stand unten auf der Straße und dachte, der Mann ist erwachsen, ist doch total verrückt, was wir hier machen. Aber es gibt diesen Hunger, diese Sehnsucht, wir können nicht anders.“
Pacino unterbricht sich wieder. „Tut mir leid, hab jetzt keine Ihrer Fragen beantwortet.“ In „The Humbling“ tritt er am Ende wieder auf die Bühne, lässt sich feiern, so wie jetzt in Venedig. The Show must go on: Ohne Publikum, das wäre kein Leben.
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