Verlage und Migration: Aktueller denn je
Könnte ein Trend sein, nicht zuletzt in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Im Frühjahr erscheinen vermehrt Bücher über Flucht, Vertreibung und das Zusammenspiel von Heimat und Fremde.
An den Sachbuch-Bestsellerlisten lässt sich in der Regel gut ablesen, was Deutschland so bewegt. Im Moment Bäume, Helmut Schmidt und der IS. Besonders auffällig zeigt sich das gerade an dem Buch von Jürgen Todenhöfer über seine zehntägige Reise 2014 in die IS-Hochburg Mossul, das nach den Anschlägen von Paris sofort wieder vermehrt gekauft wurde und die Spitzenpositionen der Charts erklomm.
Klar, dass die Verlage so etwas aufmerksam registrieren und stets versuchen, gesellschaftspolitische Top-Themen auf dem Buchmarkt zu lancieren – um damit womöglich ihrerseits Debatten anzustoßen, die wiederum dem jeweiligen Buch und dessen Verkäufen zugute kommen. Und fehlt da nicht gerade noch ein Thema neben Bäumen, Helmut Schmidt und dem IS? Natürlich, die sogenannte Flüchtlingskrise. Den Roman dazu hat im vergangenen Herbst bekanntlich Jenny Erpenbeck mit „Gehen, Ging, Gegangen“ geschrieben. Wie auf Kommando erscheinen nun im kommenden Frühjahr gleich haufenweise Bücher, in denen es um Migration, Asylpolitik oder Integration geht. Bei Nagel & Kimche zum Beispiel erscheint mit „Stadt der Verlorenen“ ein Buch des amerikanischen Journalisten Ben Rawlence über das „Leben im größten Flüchtlingslager der Welt“, gelegen in Kenia, an der Grenze zu Somalia.
Heimat in der Fremde: Shida Bayzar, Abbas Kider, Senthuran Varatharajah
Ist "Stadt der Verlorenen" ein typisches Beispiel aus dem Sachbuchressort, so fallen vor allem aber vermehrt literarische Titel, also Romane zum Thema ins Auge: Bei Kiepenheuer & Witsch gibt es mit „Nachts ist es leise in Teheran“ den Debütroman der Deutsch-Iranerin Shida Bayzar, „eine aufrüttelnde Familiengeschichte zwischen Revolution, Flucht und deutscher Gegenwart“, so der Verlag. Bei Hanser erscheint Anfang Februar ein neuer Roman des in Berlin lebenden irakischen Schriftstellers Abbas Khider, „Ohrfeige“, der von einem jungen irakischen Flüchtling erzählt, der sich laut Klappentext „durch Formulare und Asylunterkünfte schlagen muss“; ein Roman, der letztendlich die Frage beantwortet: „Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er weder in der Heimat noch in der Fremde leben darf“.
Auch der S. Fischer Verlag hat die Zeichen der Zeit erkannt und veröffentlicht einen Roman „über die Räume des Asyls“, über zwei Menschen, die sich gegenseitig etwas „von ihren Familien und ihrer Flucht aus Bürgerkriegsgebieten“ erzählen, „von ihrer Kindheit im Asylbewerberheim und ihrer Schul- und Studienzeit“. Geschrieben hat ihn der 1984 auf Sri Lanka geborene Autor Senthuran Varatharajah, den man jetzt hierzulande naturgemäß noch nicht kennt, ist schließlich sein Debüt. Angenehmerweise verzichtet man bei Fischer auf den Hinweis, dass Varatharajahs Roman „für die Leser von Alina Bronsky, Olga Grjasnowa, Feridun Zaimoglu“ ist, so wie Kiepenheuer & Witsch das Debüt von Shida Bayzar in seinem Frühjahrsprogramm anpreist. Es tut sich was in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, keine Frage, das zeigt die Namensauflistung, die Zaimoglus scheinen immer mehr zu werden, und die Verlage haben ein feines Sensorium dafür.
Aber geworben werden muss nun einmal – weshalb auch im Fall der Fortsetzung von Riad Sattoufs Graphic Novel „Der Araber von morgen“ im Knaus Verlag der Hinweis nicht fehlen darf: „Eine Kindheit in Syrien – aktueller denn je“.
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