Jürgen Todenhöfers neues Buch: Tourist unter Terroristen
Jürgen Todenhöfer besucht den „Islamischen Staat“ und schreibt in seinem Buch, was der hören wollte. Eine Rezension
Ist der Mann lebensmüde? Jürgen Todenhöfer, ehemals Bundestagsabgeordneter der CDU und heute selbsternannter Nahost-Experte, hat mit seinem Sohn Frederic und einem weiteren Begleiter die Reise in eine der finsteren Regionen dieses Planeten gewagt. Im Dezember 2014 haben sich die drei von Kämpfern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zehn Tage lang durch deren Herrschaftsgebiet in Syrien und Irak führen lassen. Todenhöfer und sein Anhang waren in Rakka, der „Hauptstadt“ des IS in Syrien und in der irakischen Metropole Mossul, die im Juni 2014 von den Dschihadisten eingenommen worden war. Einreise und Ausreise erfolgten, wie sonst nur bei IS-Kämpfern und Sympathisanten, auf Schleuserrouten über die syrisch-türkische Grenze.
Er beginnt in seiner eigenen Wahnwelt
Der 74-jährige Ex-Politiker und die beiden jungen Männer haben ein unglaubliches Abenteuer riskiert. Sie können sich nun als Helden fühlen, schon weil ihnen nicht, wie beim IS im Umgang mit Ungläubigen üblich, der Kopf abgetrennt wurde. Aber wie kommt jemand auf die Idee, sich freiwillig ins Reich dieser fanatischen Mörder zu begeben?
Antworten finden sich in dem Buch, das Todenhöfer nach der Rückkehr geschrieben hat. Schon in den ersten drei Kapiteln geht es los – allerdings noch nicht zum Islamischen Staat. Die Reise beginnt in Todenhöfers eigener Wahnwelt – die mit der des IS soweit kompatibel ist, dass bereits früh klar wird, warum sich die Terroristen erstmals auf einen deutschen Besucher und dann ausgerechnet auf diesen eingelassen haben; und warum sie ihn nicht als Geisel vorgeführt und brutal exekutiert haben. Was angesichts der Unterstützung der Bundeswehr für die Gegner der Terrormiliz zur Rachelogik des IS gepasst hätte.
Todenhöfer präsentiert eine Wut auf „den Westen“, die an das krude Gerede von Antiimperialisten erinnert. „Der vor 500 Jahren beginnende Aufstieg des Westens beruhte nie auf Altruismus“, schreibt er, „nie auf zivilisatorischen Ideen für den Rest der Welt, sondern auf der konsequenten Verfolgung seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen“. Menschenrechte und Demokratie sind für Todenhöfer nur Beiwerk für „die westliche Gewalttätigkeit“. Die sogar über das hinausgegangen sei, „was uns der bestialische IS-Terrorismus heute vorführt“. Da wird das Denkmuster sichtbar: Der IS ist schlimm, aber der Westen noch schlimmer. Der Weg zur Relativierung der Verbrechen des Regimes der Gotteskrieger ist beschritten. Todenhöfer nennt das die „Suche nach der Wahrheit“.
Anti-amerikanischer Drall
Er entlarvt sich stattdessen als Demagoge mit anti-amerikanischem Drall. „In Deutschland wurde übrigens bis heute nicht ein einziger Deutscher durch islamistische Terroristen getötet“, schreibt Todenhöfer. Dass ein Islamist im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten erschoss, wird verschwiegen. Es waren ja keine Deutschen. Dabei übersieht Todenhöfer allerdings auch jene Deutschen, die am 11. September 2001 und bei weiteren Anschlägen im Ausland starben.
Politisch verquer argumentiert Todenhöfer seit Jahren in seinen Büchern und Fernsehauftritten. Da lässt sich ahnen, warum sein Drängen auf eine Rundreise beim Islamischen Staat Gehör fand. Die Terrortruppe agiert in Sachen Propaganda professionell und innovativ – doch die Welt will einfach nicht glauben, dass der Islamische Staat ein funktionierendes Staatswesen ist, in dem die Bevölkerung durchaus sicher leben könnte, gäbe es da nicht die Luftangriffe des Assad-Regimes und der Amerikaner. Warum also nicht einen Westler als Lautsprecher nutzen, statt ihm die Kehle durchzuschneiden? Der hartnäckig anklopfende Todenhöfer war da für den IS ein geeigneter Kandidat. Er scheint das, es ist dem Buch zu entnehmen, gemerkt zu haben. Dennoch macht er sich zum Deppen des Kalifen.
Am Gängelband eines deutschen Dschihadisten und weiterer Kämpfer, einer soll angeblich der Kopfabschneider „Jihadi John“ gewesen sein, werden Todenhöfer und seine Begleiter durch den „Staat“ geführt. Als Überlebensgarantie gilt eine schriftliche „Sicherheitsgarantie“, die das Büro des IS-Anführers Abu Bakr al Baghdadi alias „Kalif Ibrahim“ ausgestellt hat. Trotzdem lassen die Kämpfer die drei Westler spüren, dass sie ihnen ausgeliefert sind. Wann wohin gefahren wird, mit wem zu reden ist und mit wem nicht, bestimmen die Milizionäre. Ein Interview mit dem Kalifen wird Todenhöfer verweigert. Er muss sich mit den Parolen des Dschihadisten aus Solingen begnügen, der an seiner Seite klebt. Immerhin kann Todenhöfer gleich am ersten Tag probieren, wie sich ein Sprengstoffgürtel anfühlt. „Er wiegt nur ein paar Kilo und schmiegt sich perfekt dem Körper an.“
Die Pizza schmeckt entsetzlich
Viel zu sehen bekommt er in Rakka und Mossul nicht. In der irakischen Metropole, die auf Todenhöfer einen „verdammt normalen Eindruck“ macht, darf er mit einem „Richter“ sprechen. Der ehemalige Prediger preist Steinigung und weitere brachiale Strafen als Abschreckung. Später gerät die Reisegruppe mit ihren Bewachern beinahe in einen Angriff mutmaßlich amerikanischer Bomber und Drohnen. Es passiert nichts, Todenhöfer schreibt von „Todesmaschinen“ und fragt empört, „weiß eigentlich die westliche Welt, was hier passiert?“
Auf solche Sätze dürfte der IS gehofft haben. Todenhöfer liefert Munition für Propaganda. Dass er am Ende des Buches in einem offenen Brief („Sehr geehrter Kalif Ibrahim“) die brutalen Methoden der Terrormiliz verdammt, wird der Islamische Staat verkraften. Zumal sich Todenhöfer für die „Gastfreundschaft“ bedankt. Auch wenn eine Pizza, die er vorgesetzt bekam, „entsetzlich“ geschmeckt hat.
– Jürgen Todenhöfer: Inside IS – 10 Tage im „Islamischen Staat“. C. Bertelsmann, München 2015. 288 Seiten, 17,99 Euro.
Frank Jansen