Polemik zum Gallery Weekend: Kauft Kunst!
Auf Berliner Vernissagen wird enthusiastisch gefeiert und diskutiert. Nur wenn es ans Kaufen geht, werden die Gäste plötzlich schmallippig. Aber eine Stadt muss ihre Kultur auch tragen. Eine Mahnung zum Gallery Weekend.
Sie waren schon mal offensiver. „Kauft mehr Kunst!“ hieß es Ende der neunziger Jahre auf den Plakaten der Berliner Kunstmesse Art Forum. Sie hingen überall in der Stadt und waren ein Appell aus purer Not: Tausende Besucher tummelten sich jedes Jahr in den Kojen der Galerien am Funkturm. Nur wenige von ihnen schienen allerdings zu verstehen, dass dies keine vom Senat geförderte Leistungsschau war. Sondern Kunstmarkt in seiner reinsten Form: Galeristen mieten Stände, hängen Bilder auf und stellen Skulpturen auf den Boden. Am Ende wird abgerechnet. Hat sich der Aufwand gelohnt? Wenn nein, kommen die Händler eben nicht mehr wieder.
Für das Art Forum ging es, wie man weiß, am Ende schlecht aus. Dabei war der Appell noch lange zu hören, als Schlachtruf zum Auftakt jeder neuen Messe im Herbst. „Kauft Kunst!“ rief dann der Galerist Judy Lybke zur Eröffnung ins Publikum. Inzwischen hat sich viel verändert. Das Art Forum gibt es seit 2011 nicht mehr. Berlins Galeristen sind aus den normierten Kojen ausgebrochen und haben mit dem Gallery Weekend eine über die Stadt verstreute Mega-Ausstellung auf die Beine gestellt, die nun zum zehnten Mal im Frühjahr stattfindet. Und über Geld wird auch nicht mehr so offensiv geredet.
Weshalb eigentlich nicht? Galerien haben nach wie vor keinen Sponsor – nun ja, bis auf manche. Alle anderen müssen hart kalkulieren. Es haben in jüngerer Vergangenheit schon einige ambitionierte Kunstvermittler aufgegeben, weil ihnen der finanzielle Atem ausgegangen ist. Auf der anderen Seite bekommen die Besucher in den Galerien alles umsonst: die Einladungen, Wein und Bier zur Vernissage, die tolle Kunst ohne Eintritt! Während der immer vollen Eröffnungen wird enthusiastisch über die neuesten Arbeiten der Künstler debattiert. Wenn es dann aber ans Kaufen geht, sind dieselben Gäste plötzlich sehr schmallippig. Kunst für mich? Geht leider gerade nicht. Das Loft in Kreuzberg muss abbezahlt werden, Drive now hat wieder abgebucht, das neue Smartphone war doch ziemlich teuer ...
Nicht immer bloß Sektchen trinken!
Es funktioniert so aber nicht. Die Geschichte lehrt, dass eine Stadt ihre Kultur auch tragen muss. Venedig ist ein gutes Beispiel dafür: Was die Kunstsammler und -mäzene von damals bis heute im Wettstreit zusammengetragen haben, lässt dieses Museum auf Pfählen nach wie vor strahlen.
Berlin ist nicht ganz so hübsch. Doch was die Galeristen hier an Pionierarbeit leisten, um den Ruf der Stadt als Hotspot der Kunst zu stärken, ist immer auch als Anzahlung gemeint. Irgendwann müssen die Gäste der zahllosen Vernissagen reagieren. Manch einer kann ruhig mal abwägen, wie viele Flaschen er in den vergangenen Jahren auf Kosten der Kunst getrunken hat. Der Gegenwert würde dann wahrscheinlich schon für ein Bild, eine Zeichnung, eine Grafik reichen. Sie muss ja nicht gleich von Gerhard Richter sein. Gerade die Konkurrenz in der Stadt mit ihrer überbordenden Zahl von Ausstellungsräumen bietet echte Einsteiger-Chancen.
Jedenfalls, wenn man sich traut, nicht nur mit den Ohren zu kaufen. Es soll schon passiert sein, dass einer ein Werk auswählt, ganz einfach weil es ihm gefällt – unabhängig von den Top-Namen, die gerade kursieren. Im Rheinland, lange Vorzeigeregion für einen florierenden Kunstmarkt und aktuell wieder on top, funktioniert das vorzüglich. Dort gibt es ein stabiles, über lange Zeit gewachsenes Bürgertum, das regelmäßig Kunst kauft: die großen Sammler, natürlich, deren Reisen nach Berlin bei den hiesigen Galeristen leuchtende Augen hervorrufen, weil viele ganz selbstverständlich einen festen Jahresetat für Kunst einplanen. Aber auch der oft belächelte Oberstudienrat ist im Rheinischen zu Hause, der Kunst notfalls in Raten kauft und zugreift, bevor die Preise in astronomische Höhen schnellen.
Dass in Berlin das Bürgertum noch bis in die achtziger Jahre ebenso munter abgewandert ist wie die Unternehmen, ist Allgemeinplatz. Seit 1989 sind allerdings auch Tausende zugezogen, die Stadt ist voller Wohnungen, in denen Platz genug sein dürfte. Wer also künftig Kunst sehen will, für den gilt: Er muss auch mehr Kunst kaufen!