Sibylle Berg im Gorki Theater: Ab durch den Mittelstand
Ersan Mondtag will aus Sibylle Bergs „Hass-Triptychon“ im Maxim Gorki Theater einen unterhaltsamen Abend machen.
„Ich bin die Krone der Evolution“, verkündet ein junger Mann im zotteligen Kunstfelljäckchen. Und ergänzt, dass dieser Befund, wenn man ihn so betrachte, durchaus alarmierende Züge trage. Wohl wahr. Man würde in der Tat lieber nicht darüber nachdenken müssen, dass es sich bei dem Therapiegrüppchen, das Sibylle Berg in ihrem „Hass-Triptychon“ versammelt, allen Ernstes um den Höhepunkt der Schöpfung handeln könnte. Schließlich stehen da lauter schlaffe Zeitgenossen an der Rampe, die schlimmstenfalls in rosa Plüschhausschuhen feststecken und sich an einer ausgestopften Katze festhalten. Oder Zeitgenossinnen, die zwar noch einigermaßen spektakuläre Turmfrisuren, dafür aber keine Jobs mehr haben; frei nach dem Motto: „Ich bin Sachbearbeiterin. Leider sind da keine Sachen mehr.“
Den folgenden zwei Stunden merkt man deutlich an, dass es leichtere Übungen gibt, als Bewegung in diese Mittelmäßigen zu bringen, in diesen Mittelstand beziehungsweise diese „weggebrochenen Säulen der Gesellschaft“, wie es bei Berg heißt. Die handlungstragende Idee der Autorin: Ein „Hassmaster“ muss her! Eine Führungspersönlichkeit, die den angestauten Frust aus den individuellen Latenzzonen mit Verve an die kollektive Handlungsoberfläche holt – auf dass sich sämtliche Negativemotionen mit Karacho entladen.
Freizeit ist so blöd wie Arbeit
In Ersan Mondtags Berg-Inszenierung, die bereits im Sommer bei den Wiener Festwochen Premiere feierte und jetzt am koproduzierenden Berliner Maxim Gorki Theater angekommen ist, erscheint dieser Hassmaster als angemessen angeschrägte, weiß bekittelte Therapeuten-Eminenz, die ihrer Berufsbezeichnung alle Ehre macht. Über eine derartige Kombination aus formvollendeter Divenhaftigkeit und profunder Beschimpfungskompetenz, wie sie der Schauspieler Benny Claessens mit grünstichiger Langhaarperücke aufs Szenario turnt, verfügen tatsächlich nicht viele Führungskräfte. Und das persönliche Defizit, das dieser Therapeut mitbringt – eine „ kognitive Verzerrung durch Überbewertung meiner Kompetenzen“ –, erweist sich sowieso als ideale Berufsvoraussetzung.
Jederzeit bereit, den nächsten emotionalen Überraschungshaken zu schlagen, kujoniert der Hassmaster seine Klientel, animiert sie zu albernen Leibesübungen und lässt im Übrigen unverzüglich jede Beleidigung auf sie niederprasseln, die ihm so spontan durch den Kopf schießt.
Dass der Hassmaster seine Sottisen nicht nur spricht, sondern gern auch mal in einem kokett nach Bertolt Brecht schielenden Moritaten-Singsang zum Besten gibt, erhöht dabei nicht nur den Demütigungsgrad der Zielgruppe, sondern vor allem den Unterhaltungsfaktor des Abends. Denn der Berg’sche depressive Mittelstand ist nun mal – depressiv. Er produziert, mit anderen Worten, Stagnationsdramatik. Was mit dem gemeinen Horror eines arbeitsfreien Sonntags beginnt, wird da naturgemäß auch am jobintensiven Montag nicht besser.
Im Publikum sitzen Skelette
Der Katzenfreund (Bruno Cathomas) muss jeden Montag mehrfach gegen den Diensttoiletten-Eimer treten, nachdem er sein Mitarbeiter-Feedback erhalten hat, und weiß ansonsten ebenfalls nicht weiter. Sein oberkörpermuskelbepackter Kollege (Aram Tafreshian) bleibt nach seinem Bekenntnis, sich am liebsten „auf dem Schoß einer übergewichtigen Frau“ zusammenrollen zu wollen, erwartungsgemäß objektlos. Und die Kollegin im kleinen Gelben (Abak Safaei-Rad) hat es auch nicht leicht mit ihrer feministischen Sprachsensibilität.
Natürlich haben alle irgendwas studiert, was mit -wissenschaften endet, hatten früher Ambitionen und heute nur noch ein Beschäftigungsverhältnis und verfügen über so überflüssige Fähigkeiten wie Klavierspielen oder Kenntnisse des William-Shakespeare-Gesamtwerks. Dass auf einigen Zuschauersitzen im Parkett Kunstskelette lümmeln, zeigt, dass man mit hoher Publikumsanschlussfähigkeit rechnet: Die mittelständischen (Un-)Toten sind unter uns.
Nachdem das alles ausführlich geklärt wäre, wird final zu den Waffen gegriffen und festgestellt: „Endlich ist das Leben so aufregend wie in Games.“ Wobei man dem Regisseur Ersan Mondtag zugutehalten muss, dass er schon zuvor alles Erdenkliche aufgefahren hatte, um dem ermatteten Mittelstandshaufen theatertaugliches Leben einzuhauchen ( Nächste Vorstellungen am 23. November sowie am 1., 6. und 17. Dezember). Der Therapie-Trupp steht nicht nur in lustigen Fantasy-Outfits irgendwo zwischen Avatar, personifiziertem (Internet-)Troll, Disneyland und den Brüdern Grimm vor Nina Pellers Bühnenhäuschen, sondern tritt auch immer wieder zu absichtsvoll misslingenden Musical-Nummern an. Aber Entertainment ist nun mal beim besten Willen nicht herauszuholen aus diesen bekennenden Langweilern.
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