Tagesspiegel-Leserjury im Forum: 3304 Minuten Berlinale
Vereint in ihrer Kinoleidenschaft: Die neunköpfige Tagesspiegel-Jury wird aus 35 Weltpremieren im Forum ihren Favoriten wählen. Ein Gruppenporträt.
Sie sind schon mit Michael Douglas nach Potsdam gefahren, haben falsche Polizisten am roten Teppich entlarvt oder wirken seit Jahren als Komparse in verschiedenen Filmen mit. Vor allem eint die neun Mitglieder der diesjährigen, zwölften s die Leidenschaft zum Kino. Nicht alle sind dabei so exzessiv wie Guillaume Bazan, der während seines Studiums bis zu vier Filme am Tag schaute. Aber sie alle haben sich vorgenommen, sämtliche Weltpremieren des Internationalen Forums zu sehen – 35 Beiträge. Aus reiner Lust am Film, denn bezahlt wird die Jury für ihre Arbeit nicht.
Darunter finden sich mit „Unas preguntas“ und „An Elephant Sitting Still“ zwei Produktionen, die fast vier Stunden dauern, im Ausgleich aber auch einige Werke, die nur rund 60 Minuten lang sind, wie etwa „Classical Period“, „Los débiles“ oder „Casanovagen“. Spielfilme und Dokumentationen wechseln sich ab, manchmal liegen die Filme auch irgendwo dazwischen, wie Forums-Chef Christoph Terhechte sagt. Die Grenzen zwischen den Genres sind ohnehin längst fließend. Und mit „La casa lobo“ hat es auch ein Stop-Motion-Film ins Forums-Programm geschafft, das gibt es eher selten. Insgesamt 3304 Filmminuten, also etwa 55 Stunden wird die Leserjury im Kino verbringen. Am Ende wählt sie ihren persönlichen Lieblingsfilm aus, der am Samstag, den 24. Februar bei der Preisverleihung der unabhängigen Juries bekanntgegeben wird. Am Publikumstag, dem 25.2., ist der Gewinnerfilm dann noch einmal um 19 Uhr in der Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen.
Keine lauen Kompromisskandidaten wählen
Wie genau die neun Jurorinnen und Juroren sich am Ende auf einen Film einigen, das müssen sie erst noch ausknobeln. Ganz bestimmt nicht einfach per Punktesystem, sondern indem sie sich die Köpfe heiß reden. Leidenschaftliche Diskussionen werden nicht ausbleiben. Guillaume Bazan kündigte bereits beim Vorbereitungstreffen am Montag an: „Ich habe radikale Meinungen zu Filmen und kann anstrengend werden.“ Die anderen nehmen es gelassen, sie alle freuen sich auf die Diskussionen. Christoph Terhechte warnt davor, sich um des lieben Friedens willen auf einen lauen Kompromisskandidaten zu einigen: „Das ist das Unschönste, das Sie machen können“, sagt er. „Kämpfen Sie mit Blut, Schweiß und Tränen für Ihren Film. Es muss Herzblut in der Entscheidung liegen.“ Und nehmen Sie sich Zeit genug für die Diskussionen, ergänzt Tagesspiegel-Kulturchefin Christiane Peitz. Auch das ist Berlinale: Filme gucken und drüber reden
Einige Jury-Mitglieder wie Martin Boschmann – der ohne Fernseher aufgewachsen ist und einen unvoreingenommen Blick aufs Kino für sich beansprucht – haben sich seit Jahren immer wieder für die Leserjury beworben. Etliche haben sich besonders fantasievolle Bewerbungen einfallen lassen. Julia Johannsen schrieb ein Gedicht und Melvyn Zeyns reichte ein selbstgedrehtes Video ein – ein Hobby, das er übrigens gerne ausbauen würde. Als Student ist er eins der jüngsten Mitglieder: Vom Rechtsanwalt über die Yogalehrerin bis zur Lehrerin bringen die neun Filmsüchtigen die unterschiedlichsten beruflichen Erfahrungen mit. Viele kennen die Berlinale seit Jahren und freuen sich besonders darauf, in fremde Welten einzutauchen und unbekannte Sprachen zu hören.
Sarah Kugler