zum Hauptinhalt

iPads und Co. in der Pflege Demenzkranker: Tablets und Tabletten

Rechner können auch Demenzkranke anregen und ihr Leben bereichern – das bestätigt eine Pilotstudie. Zu Besuch in einem Pflegeheim in Pankow.

Wie viele Spieler hat eine Fußballmannschaft? Die alten Damen schauen unsicher, sie wissen sich keinen Rat. Ein Herr, bisher unbeteiligt in seinem Sessel, wird munter und schaltet sich mit der richtigen Antwort ein. Das Lob der Mitspielerinnen scheint ihn zu freuen, ein Lächeln gleitet über sein Gesicht. Die Damen wiederum nehmen ihre Unwissenheit gelassen. Muss man sich denn im Fußball auskennen? „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, bemerkt schließlich eine. Klingt weise. Die anderen nicken. Sprichwörter und Redensarten sind bei einigen von ihnen trotz fortgeschrittener Demenz noch gut im Gedächtnis verankert. Die Antwort auf die nächste Frage, die die Pflegekraft vom Tablet abliest, fällt deshalb leichter: Das zu erratende Sprichwort heißt weder „Dackel haben kurze Beine“ noch „Lügen haben schöne Beine“.

Im Domicil-Seniorenpflegeheim Am Schlosspark in Pankow spielen Menschen mit fortgeschrittener Demenz eine vereinfachte Version von „Wer wird Millionär?“. „Solche Spiele sind Türöffner für die Kommunikation“, freut sich Jacqueline Wienholtz. Die Altenpflegerin und systemische Gerontologin sucht seit einiger Zeit unermüdlich nach passenden Apps für die Tablets im Wohnbereich. In Frage kommen etwa Buchstabenspiele, die eigentlich für Leseanfänger gedacht sind. „Der große Vorteil dieser Apps für Kinder: Hier gibt es Lob, wenn man eine Aufgabe richtig gelöst hat. Das freut auch Alte!“

Die Technik ersetzt keine menschliche Zuwendung

Schon vor ein paar Jahren hat die engagierte Altenpflegerin das Tablet als Werkzeug entdeckt, um die demenzkranken Bewohner aus der Reserve zu locken, sie anzuregen, ihnen vielleicht sogar ohne medikamentöse Hilfe einen Weg aus trüben Stimmungen, Unzufriedenheit und aggressivem Verhalten zu bahnen. „Dabei brauchen sie allerdings unsere Begleitung. Es bringt überhaupt nichts, wenn wir sie mit den Geräten allein lassen.“ Diese Technik ersetzt keine menschliche Zuwendung. Einige Monate lang haben sich Jacqueline Wienholtz oder einer ihrer Kollegen Sonntag für Sonntag mit einer Bewohnerin vor den Rechner gesetzt, damit die alte Dame mit ihrer Tochter skypen konnte. Die Anrufe der Tochter kamen aus aller Herren Länder: Die Pflegekräfte hatten sie ermutigt, ihre lang geplante Weltreise anzutreten – ohne deshalb den Kontakt mit der alzheimerkranken Mutter verlieren zu müssen. Dass beide Frauen sich während des Telefonierens nicht nur hören, sondern auch sehen, dass jede auf die feinsten Regungen der Mimik der anderen achten konnte, machte die innerfamiliäre Long-Distance-Kommunikation erst möglich. Bewohner und Pflegekräfte können auch über alte und neue Familienfotos miteinander kommunizieren. Diese sind auf den Tablets der Einrichtung gespeichert. „Früher wurden für diese Biografiearbeit Dutzende von Fotoalben gebraucht, nun ist alles jederzeit griffbereit“, sagt Wienholtz.

Die Technik existiert sowieso. Also warum nicht in der Pflege nutzen?

Inzwischen haben Wissenschaftler vom Institut für medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaften der Charité in einer Pilotstudie untersucht, wie der Einsatz der Tablets sich auf Wohlbefinden, Verhalten und Gedächtnis von Pflegeheimbewohnern auswirkt. Zwischen November 2012 und April 2013 bekamen zwölf Damen und zwei Herren zwischen 76 und 100 Jahren an drei Tagen die Woche fünf bis sechs Einzel- und Gruppenaktivierungen von einer halben Stunde. Sie wurden drei Monate lang systematisch beobachtet, zusätzlich gab es Vorher- Nachher-Tests und Interviews mit den beteiligten Mitarbeitern der Einrichtung.

Die Pilotstudie wurde von der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege in Auftrag gegeben. Vorstandsvorsitzender Ralf Suhr freut sich, dass damit eine Idee aus der Altenpflege aufgegriffen werden konnte. „Ausgehend von Beobachtungen aus dem Pflegealltag ist hier eine spannende wissenschaftliche Fragestellung entstanden: Können wir mit Technik, die ohnehin vorhanden ist und zunehmend genutzt wird, die Lebensqualität von Heimbewohnern verbessern und ihre kognitiven Reserven aktivieren?“

Jetzt planen Charité-Forscher eine größere Studie

„Die Ergebnisse der Pilotstudie sind ermutigend, sie zeigen, wie gut es ist, eine neue Alltagstechnik auch für Menschen einzusetzen, für die sie nicht primär entwickelt wurde“, so Adelheid Kuhlmey, Direktorin des Charité-Instituts. Sie freut sich, dass die mobilen Endgeräte im Pflegealltag nützlich sind – nachdem Untersuchungen zum Einsatz von Computerprogrammen enttäuschende Ergebnisse brachten. „Hier dagegen hatten die Bewohner kaum Berührungsängste. Wenn jemand erst skeptisch war, dann die Angehörigen.“

Nun planen die Charité-Forscher eine größere Studie. An der Untersuchung, die im nächsten Jahr beginnen soll, sollen acht bis zehn Berliner Domicil-Pflegeheime, insgesamt über 200 Personen, teilnehmen, es soll auch eine Kontrollgruppe geben, in der nicht mit den Apps gearbeitet wird. Geplant ist, die Mitarbeiter der Senioreneinrichtungen zuvor in Schulungen auf den Einsatz der Tablets vorzubereiten. In Kooperation mit der TU Berlin sollen zudem spezielle Apps für Menschen mit einer Demenz entwickelt werden. „Sinnvoll sind zum Beispiel Spiele mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen, die bei Bedarf automatisch auf ein niedrigeres Niveau herunterschalten“, sagt Kuhlmey. Sie sollen schließlich nicht entmutigen, sondern ermuntern und aktivieren. Denkbar ist außerdem, dass solche gezielt entwickelten Apps in Zukunft auch eine Funktion in der Diagnostik und Verlaufsbeobachtung von Alzheimer und anderen Demenzen übernehmen könnten. Das würde den Betroffenen frustrierende Test-Situationen ersparen.

Adelheid Müller-Lissner

Zur Startseite