Jasmine und Melissa Hemsley: Zwei Schwestern begeistern die Briten mit Rezepten
Es begann mit einem Rezept-Blog – nun sind die Hemsley-Schwestern Stars. Ihr Motto: keine Food-Dogmen! Über Kokoslinsen und Zucchininudeln.
Ihr claim to fame ist die Pasta ohne Pasta. Lange Nudeln aus Zucchini und Sellerie mit Pesto aus Zitronen, Basilikum und Cashewkernen oder gerösteten Tomaten und Pfeffer, so lecker wie Spaghetti, aber längst nicht so schwer und viel gesünder. In England sind die beiden Schwestern Jasmine und Melissa Hemsley mit ihrer Essphilosophie längst Küchenstars, in Deutschland könnten sie das nächste große Ding werden.
Gerade haben die Hemsleys ihr zweites Kochbuch veröffentlicht und einen Tourplan wie eine Rockband mit neuem Album: Interviews, Buchpräsentationen, Showkochen. Jeden Tag in einer anderen Stadt. In Berlin gastieren sie im „The Store Kitchen“, im Erdgeschoss des Soho-House. Hier muss man zwar nicht Mitglied sein, um reinzukommen. Dafür ist man beim Lunch von einer Ladenwelt mit eleganter Kleidung, angesagten Schallplatten und allerhand anderen schönen Dingen umgeben.
Jasmine Hemsley war Model: superschön, aber nicht unnahbar
Erste Frage also. Aber – Moment! Am Nebentisch packt ein Lieferant gerade einen Rohmilch-Ziegenkäse nach dem anderen aus. Die Köche vom „The Store Kitchen“ stehen um den Tisch, verkosten mit andächtiger Miene den Käse, und der bärtige Lieferant sagt italo-englisch in unsere Richtung: „Twäntiifoor moonss – muste trai!“ Aber vorher, da ist er streng, auch bitteschön noch die vier jüngeren Käsesorten. Und so sind wir zwar nicht gleich beim Gespräch, aber mitten im Thema: beim guten Essen.
Das war nämlich immer schon eine Passion von Jasmine Hemsley. Auch wenn man ihr das nicht ansieht. Sie war mal Model. Spezialgebiet: superschön, aber nicht unnahbar. Kosmetikfirmen wie „The Body Shop“ oder „Oil of Olay“ warben mit ihrem Gesicht, Kaufhäuser wie Marks & Spencers und sogar Fluglinien wie British Airways. Hätte sie nicht die Branche gewechselt und wäre sie nicht zusammen mit ihrer Schwester Melissa, 30, auf dem Weg, eine internationale Food-Celebrity zu werden, dann könnte die 35-Jährige immer noch im Geschäft mit der Schönheit arbeiten.
Es kam anders. Heute haben die Hemsleys 238 000 Follower auf Instagram, ein eigenes Café im Kaufhaus Selfridges in London, eine Fernsehshow auf Channel 4 – und einen Bestseller. Ihr erstes Kochbuch „Good & Simple“ war in England monatelang auf den obersten Plätzen der Verkaufscharts und wurde nominiert für einen Kochbuch-Award, den dann letztlich der Koch-Superstar Yotam Ottolenghi gewonnen hat. Ihr neues Buch ist auf Deutsch gerade unter dem Titel „Einfach gut Essen – jeden Tag“ (Edel Verlag) herausgekommen.
Was wohl am meisten über den Erfolg der Hemsleys aussagt: Sie haben längst eine Menge Epigonen. Mittlerweile kopieren englische Supermärkte ihre Ideen und Rezepte. Da bekommt man längst Zucchininudeln, Sellerie-Spaghetti, Brokkoli- oder Blumenkohlreis, der in Wirklichkeit kein Reis ist, sondern geraspeltes Gemüse. Also jene Gerichte, mit denen sich die Hemsleys ihre große Fanbasis aufgebaut haben (und an die sie einen Spiralizer verkaufen, mit dem man das Gemüse irgendwie nudelig geschnitten kriegt).
Sie brachte ihr eigenes Essen mit auf die Shootings
Skandal? „Nein, niemand hat das Copyright an einem Rezept“, findet Melissa und leckt sich den Ziegenkäse von den Fingern. Sie sieht sich eher bestätigt: „Die Supermärkte würden es nicht machen, wenn sie nicht an die Rezepte glauben würden.“ Und Jasmine sagt: „Natürlich verliert das Gemüse an Vitaminen, wenn es lange vor dem Verzehr gehobelt wird. Aber so kommen Leute, die sich wohl nie ein Kochbuch kaufen würden, auf die Idee, das zu kochen.“
Wie so viele Erfolgsgeschichten hat auch die der Hemsleys einiges mit Zufall zu tun. Weil es auf den Shootings nie etwas Vernünftiges zu essen gab, brachte Jasmine Hemsley immer ihr eigenes Essen mit. Irgendwann wurden die anderen neugierig, und sie versorgte bald die ganze Crew. Von da an dauerte es nicht mehr lange, da begann sie als Köchin und Ernährungscoach zu arbeiten. Ihre Kundschaft – darunter viele Prominente – wuchs und wuchs. Schließlich stieg ihre Schwester mit ein, und sie begannen, ihre Rezepte ins Netz zu stellen. Kurz nachdem sie ihren Blog online hatten, meldete sich die „Vogue“, für die sie anschließend auch regelmäßig ihre gesunden wie originellen Rezepte posteten.
Wie haben die Hemsleys die bloggende Konkurrenz abgehängt? Vielleicht ist es ja ganz einfach: Sie sind keine Kostverächter. Das unterscheidet sie von den meisten „Foodamentalisten“, wie der Innsbrucker Psychosomatiker Johan Kinzl jene Menschen nennt, die in Essensdingen zur Hysterie neigen. Und zumindest im Netz sind das praktisch alle.
Bei den Hemsleys ist erst mal nichts verboten - fast nichts
Die meisten derzeit so erfolgreichen Essensphilosophien funktionieren über den rigiden Verzicht. Die Veganer, die sich alles Tierische verkneifen, oder die Anhänger der Paleo-Diät, bei der man verarbeitete Lebensmittel weglässt, Getreide, Milch und Zucker etwa.
Bei den Hemsleys ist erst mal nichts verboten. Oder fast nichts. Ein paar Regeln haben sie schon, doch die sind relativ gnädig. Fisch und Fleisch sind gut – sollten aber nicht die Hauptrolle spielen. Beige-farbene Lebensmittel eher meiden – Brot und Pasta etwa, weil die meisten modernen Getreidesorten überzüchtet und mit Chemikalien behandelt seien, weswegen wiederum der Blutzuckerspiegel auf Achterbahnfahrt gehe. Ansonsten: gut kauen, nicht zu spät essen, viel trinken. Darüber kann man lächeln – die Hemsleys aber kriegen ihre Botschaft rüber: Essen soll Spaß machen.
Was auch hilft: Die Gerichte sind einfach. Durchschnittlich werden aus jedem Kochbuch drei Rezepte nachgekocht. Bei den Hemsleys sollte die Quote deutlich höher liegen. Das meiste ist ziemlich alltagstauglich – und anschlussfähig an größere Trends. An Superfood etwa. In ihren Rezepten kommen auch mal Chiasamen, Goji- und Açai-Beeren vor, von denen sich Menschen magische Dinge erwarten (die wissenschaftlich allerdings nicht wirklich bestätigt sind). Ihr Superfoodbegriff ist nicht nur auf exotische Beeren aus aller Welt beschränkt, die man für sehr viel Geld kaufen muss, sondern meint auch Blaubeeren, Brokkoli, Knochenbrühe, gute Butter. Denn: Fett ist gut. Noch so ein Satz aus dem Hemsley-Regelkatalog.
Ausgerechnet das Ex-Model bricht eine Lanze fürs Fett
Es muss schon weit gekommen sein mit unserer Ernährungswelt, wenn ausgerechnet ein Ex-Model eine Lanze für das Fett bricht. „Zwei Generationen Engländer haben sich vor Fett gefürchtet“, sagt Jasmine. Gebracht habe es nicht viel. „Deshalb haben sie Niedrigfett-Produkte gekauft, die dann wiederum viel mehr Zucker hatten.“ Für all jene, die an einer Orthorexia nervosa leiden, also krampfhaft möglichst gesund essen wollen, jene 80 Prozent Käufer von laktosefreien Produkten, die gar nicht laktoseintolerant sind beispielsweise, für die ist es eine Entspannungsübung, durch die Bücher der Hemsleys zu blättern und Rezepte wie die gekühlte Schokoladencreme-Tarte mit Kirschen nachzubacken.
Bei aller Lockerheit – an einem wird nicht gekratzt: an den Großversprechen, die heute am gesunden Essen haften. Nicht weniger als die Erlösung von den zivilisatorischen Übeln, die das moderne Leben mit sich bringt, erwarten wir uns. Die richtige Ernährung ist Medizin und Therapie. Sie soll schön, vital und glücklich machen.
Dafür gibt es in „Einfach gut Essen – jeden Tag“ eigene Wochenpläne. Montag: Chia Pudding mit Beeren und Kokos, Dienstag: Kokoslinsen mit Krautsalat, Mittwoch: Zucchininudeln mit schneller Kichererbsen-Tomatensauce, Donnerstag: Chinesisches Rindfleisch mit Brokkoli. So geht’s weiter bis zum Sonntag, wo im trinkfreudigen England ja gerne mal ein Kater bekämpft werden muss – da gibt’s eine Bloody Mary. Na gut, die steht nicht im Wochenplan. Aber im Kochbuch. Der besondere Dreh: Statt mit Tomatensaft (Jasmine: „viel zu viel Säure“) wird sie mit Rote Bete gemacht („schmeckt besser und ist ein klassischer Blutreiniger“).
Sie schleusen ihren Hummus durch die Sicherheitskontrolle
Wie ist das, wenn man unterwegs ist wie die Hemsleys? Kann man da überhaupt der eigenen Essphilosophie folgen? Klar, sagt Melissa: „Die Hälfte unseres Hummus kriegen wir durch die Sicherheitskontrollen am Flughafen. Bei dem miesen Flugzeugessen ist es mir das Risiko wert.“ Jasmine: „Das Kriterium ist die Konsistenz. Wenn sie sehr dick ist, denken die Sicherheitsbeamten nicht, dass es Flüssigkeit sein könnte.“ Melissa: „Ich nehm mir manchmal eine vorgekochte Quinoa-Mischung mit – im Flugzeug oder Hotel gieße ich mir dann heißes Wasser drüber. Unterwegs gibt’s fast nie gutes Essen.“
Der Käsetest am Nebentisch ist vorbei. Jetzt ist Wurst dran. Diesmal kommt der Koch gleich rüber an unseren Tisch, mit einem Teller voll aufgeschnittenem Rosmarinschinken, mit schöner Fettschwarte. Jasmine greift zu, Melissa ebenso. Ein langes Mmmmm, ein anerkennendes Nicken. Und schon geht das nächste Interview los.
Felix Denk
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