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Hanna Schygulla: Zurück in die Zukunft

Nach 30 Jahren Paris zieht Hanna Schygulla nach Berlin. Und warum hat sie nun eine Spülbürste in der Handtasche?

Erst waren die Pflanzen dran, dann ihre Besitzerin. In Paris hat Hanna Schygulla fleißig ihre Blumen umgetopft, um zu sehen, ob das geht: jemanden umzupflanzen. Die meisten haben es überlebt. Also hat sie es auch gewagt. Mit einem Bein lebt die Künstlerin nun an der Spree, mit dem anderen an der Seine.

Nach Paris hat sie vor gut 30 Jahren „der Eros“ gebracht, ihre große Liebe Jean-Claude Carrière, nach Berlin der Zufall. Oder mehr als das, etwas Magisches. Vor einigen Jahren hat sie zwei junge Buchhändler kennengelernt, die unbedingt eine Lesung mit ihr machen wollten, „da war so eine spontane Herzlichkeit“. Jetzt wohnt sie mit ihnen zusammen. In einer Wohnung, schön, wie es all ihre Wohnungen gewesen sind, aber so groß, dass jeder für sich sein kann, man sich in der Wohnküche trifft.

Sie liebt die Geselligkeit und braucht das Alleinsein. „Ich könnte auch Eremit sein“, sagt die leidenschaftliche Nestbauerin. Idyllische Nester schafft sie sich selbst im Hotel: mit Kleidern, Tüchern und, ganz wichtig, Licht. „Und wenn ich die Nachttischlampe auf den Boden stell’!“

„Zurück in die Zukunft“, so nennt Hanna Schygulla ihren Schritt „in was anderes“. Nach München zog es sie nicht zurück, die Stadt ihrer Kindheit und Jugend, da kleben an jeder Ecke Erinnerungen. Sie wollte was Neues wagen. Ihre Mitbewohner Christian Dunker und Marc Iven könnten ihre Söhne sein, das gefällt ihr an ihnen wie an der Stadt: das Junge, Kreative, Rührige. Das Improvisierte auch, „das Vielschichtige“.

Charlottenburg sollte es sein. Die Gegend ist ihr vertraut, das Gewachsene behagt ihr, „das hat was Beruhigendes“, die vielen Altbauten auch. „Ich bin ja die Schönheit von Paris gewohnt.“ Mit dem Place des Vosges, ihrer „Oase“, kann der Savignyplatz nicht ganz mithalten, sie läuft schon mit Wehmut durch die Straßen von Paris. „Es hat mir noch nie so gut gefallen wie jetzt.“ Berlin hat andere Reize, sie mag zum Beispiel die Direktheit seiner Bewohner. Die Franzosen, musste sie feststellen, sind ziemlich kompliziert.

Wir treffen uns im Café der Autorenbuchhandlung, zu Hause, das ist ihr doch zu intim. Erkältet, sucht sie in ihrer Handtasche von Mary-Poppins-Ausmaßen nach einem Taschentuch und fischt einen Topfdeckel samt Spülbürste heraus. Damit will sie gleich in der Akademie der Künste den Soundtrack produzieren für ihre Videos, „Traumprotokolle“, die sie dort bis zum 30. März ausstellt. (Am 25.2. und 6.3. ist Hanna Schygulla dort auch im Gespräch zu erleben.)

Für ihr neues Zuhause hat sie „das Nötigste“ bei Ikea besorgt, ihre Möbel stehen nach wie vor im Pariser Marais. Sie befindet sich noch in der Blumenumtopftestphase. Vor allem die Sprache hat sie zurückgelockt. Die ist für sie Heimat. So gut sie Französisch spricht, es bleibt eine Fremdsprache. „Sich nicht mehr anstrengen zu müssen“, danach hat die Schauspielerin sich gesehnt. Deutsch dagegen hat so etwas Vertrautes, „das ist wie ein hüllender Mantel“.

Nicht ein einziges französisches Wort verirrt sich in ihr lebhaftes Reden. Sie spricht, wie sie schon als Effi Briest gesprochen hat, mit einem weichen süddeutschen Einschlag. Kein Bayerisch, da ist noch was anderes, was man zu ihrer Freude nicht einordnen kann, ein Hauch Oberschlesisch, vielleicht gar Polnisch.

Hanna Schygulla ist eine Heimatvertriebene. In der Nähe von Kattowitz geboren, war sie in Bayern „das Flüchtlingskind“, wurde gehänselt wegen ihres Nachnamens. Aber wie vieles Unangenehme und Traurige in ihrem Leben scheint sie schon damals beschlossen zu haben, es heiter zu ignorieren, in etwas Positives zu wenden. „Ich hab’ das als Luxus empfunden: dass man Zweierlei sein kann. Deutsch, aber auch slawisch.“

Sie ist gerne Grenzgängerin. Ein Mensch des Sowohl-als-auch. „Wach auf und träume“ hat sie ihre Autobiografie genannt, die im Herbst bei Schirmer/Mosel erschienen ist. Mal alt, mal jung fühlt sie sich, ist mal Mutter, mal Kind, Schauspielerin und Sängerin, pragmatisch und spirituell, Mädchen und Grande Dame. Als „intellektuellen Instinktmenschen“ hat der „Stern“ sie beschrieben.

Auf der Berlinale kann man Hanna Schygulla als junge Frau auf der Leinwand sehen, mit Fassbinder an ihrer Seite: Volker Schlöndorffs Brecht-Verfilmung „Baal“ wird zum ersten Mal seit Jahren gezeigt. Am ersten Weihnachtstag hat sie ihren 70. Geburtstag gefeiert, auf Kuba, mit ihrer Freundin Alicia Bustamante. Sie wollte an diesem Tag am Meer sein, das hat ihr den Gefallen getan und sich so wild und ungestüm aufgeführt, wie sie es sich gewünscht hat. Das hat sie sich selbst geschenkt, wie sie sagt: „diesen besonderen Augenblick“. Hat ihn mit der Filmkamera festgehalten.

Als Kind hat sie sich unerwünscht gefühlt. Die Familie, bei der sie mit der Mutter einquartiert wurde, wollte sie nicht haben, und als der Vater nach fünf Jahren Kriegsgefangenschaft zurückkehrte und seine Frau ihm „das Hannchen“ entgegenhielt, hat er es nicht ergriffen, blieb das Kind in der Luft hängen. Dass sie am Schluss ein inniges Verhältnis zu den Eltern hatte, ist auch das Ergebnis töchterlicher Entschlossenheit. 20 Jahre lang hat sie sich um die alten Eltern gekümmert, ist im Zweiwochenrhythmus hin- und hergependelt zwischen der bayerischen Provinz und Paris, wo Alicia Bustamante in der Wohnung die Stellung hielt, die kubanische Schauspielerin, Schygullas Lebensmensch. „Ich habe schon immer Brüder und Schwestern gesucht.“ Allein die Worte findet sie, das Einzelkind, so schön: brüderlich und schwesterlich.

Nur ein einziges Mal, als ganz junge Frau, hat sie mit einem geliebten Mann zusammengewohnt, danach hat sie sich geschworen: nie wieder. Sie will niemandem ganz gehören. Als ein Fremder sie in der Kindheit auf der Straße fragte, ja, wo sie denn hingehöre, da hat das Mädchen geantwortet: „Ja, zu mir!“ Selbst wenn sie jetzt fröhlich Berlin in den Schnee schreibt: Auch als „Berlinerin“ wird sie sich kaum vereinnahmen lassen.

Hanna Schygulla bestellt eine Zitronentarte. Ob ihr die französische Küche fehlt? Nein, „auch da verkomplizieren sie viel“. Was sie vermisst, sind die Radiosender, wo sie immer auf was Interessantes stößt. „Hier ist so eine Lustigkeit ausgebrochen, eine Haurucklustigkeit.“

Wie sie das Licht in Berlin, dieses trübe Wintergrau, aushält? Sie zuckt mit den Schultern. „Ich halt’ ziemlich viel aus.“ Wirklich wichtig ist ihr das Licht von innen. So hat sie auch eine dramatische Rückenerkrankung vor ein paar Jahren einigermaßen überstanden, mit viel Morphium und ebenso viel Optimismus und Entschlossenheit. Seitdem ist sie „anlehnungsbedürftig“, wie sie lächelnd erklärt. Stundenlang auf der Bühne stehen, wie noch vor ein paar Jahren mit ihrem musikalischen Programm, das geht nicht mehr. Schon bei der Immobiliensuche in Berlin, noch bevor sie tatsächlich im Rollstuhl saß, hat sie darauf geachtet, dass die Wohnung rollstuhltauglich ist, einen Pfleger bequem beherbergen kann.

Neue Freunde zu finden: Das ist jetzt „die größte Herausforderung“ für die Neuberlinerin. Wenn die Berliner nur halb so offen sind wie sie, sollte das ziemlich schnell gehen. Und wenn sie in einem Menschen etwas Kindliches fühlt: „Das ist schon die halbe Miete.“

Für das Foto hat sie die Loggia vorgeschlagen, wegen des Baums im Hintergrund. Sie findet Bäume zu jeder Jahreszeit schön, auch im Winter, „wenn sie ihr Skelett zeigen“. Es gefällt ihr, dass sie so lange leben, Wurzeln schlagen. Da fällt ihr ein Satz ein, den sie in einem Theaterstück gesagt hat, sie muss lachen: „Bäume haben Wurzeln, ich hab’ Beine.“

Susanne Kippenberger

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