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Hanna Schygullas Autobiografie: Säuselnde Schläfrigkeit

Um befreiende Karrierebrüche nie verlegen: „Wach auf und träume“, die Autobiografie der deutschen Filmdiva Hanna Schygulla.

Sie spielte den schläfrig melancholischen Hinterhof-Vamp in Rainer Werner Fassbinders frühen Filmen, die Gefühlsextremistin und verführte Verführerin in seinen späten Kriegs- und Nachkriegsmelodramen. Es ist alles gesagt, beinahe von allen, könnte man Hanna Schygullas Image mit Karl Valentin umschreiben. Doch seither ist viel passiert, eben beginnt mit ihrem Umzug von Paris nach Berlin ein neuer Lebensabschnitt.

„Wach auf und träume“ nennt Hanna Schygulla ihre Autobiografie, die sie sich als Vorspiel zum 70. Geburtstag am 25. Dezember geschenkt hat. Vom Träumen, diesem kreativen Modus vivendi, ist darin beiläufig, aber unüberhörbar die Rede. Alles, was man über ihre Ausnahmerolle in Fassbinders inzestuösem Filmkosmos zu wissen glaubt, wird in dem Lebensbericht noch einmal angeschnitten, doch die Sprachmelodie und Bildkraft, in der sie Zeit erzählt, unterlaufen die Genreklischees üblicher Memoiren.

Eher literarische Zeitreise als filmhistorisches Sachbuch und lückenlose Karrierechronik, schüttet das Buch nur sparsam Anekdoten aus. Es geht Schygulla um das Dazwischen, um die Brücken, auf denen sie zurück in die Zukunft findet: „Leider achten wir nicht genügend auf die Anfänge“. Gelassen nimmt sie die Leser auf die Place des Vosges mit, ihren Lieblingsort in Paris, wo sie die Kinder beim Spielen beobachtet. Mühelos switcht sie über solche Momentaufnahmen in die eigene Kindheit in Deutschland, rekapituliert ihren durchdringenden Eigensinn, springt in Skizzen ihrer Liebsten, besten Freundinnen und Eltern – alles geprägt von einer „Gegenspannung“ zwischen Zuneigung und Abgrenzung.

Wie lebt es sich mit dem Schatten von Rainer Werner Fassbinder?

Geboren 1943 in Königshütte bei Kattowitz, erlebte Hanna, das einzige Kind eines Holzarbeiters und seiner vom Leben enttäuschten Frau, als Dreijährige die Flucht mit der Mutter nach München. Erst 1948 kehrte der Vater versteinert aus der Kriegsgefangenschaft zurück, ein Fremder, der keine Vatergefühle zeigen konnte. Vielleicht, überlegt Schygulla, stammt ihre tranceartige Ausstrahlung, ein „Narzissmus ohne Eitelkeit“ (Georg Stefan Troller) aus diesen frühen Erfahrungen. Zuerst ein Möchtegernbub beim Spiel mit den vielen Kindern der Nymphenburger Straße, später eine Prinzessin, die mit dreizehn im Riviera-Urlaub einen Schönheitswettbewerb gewinnt, kann die Abiturientin mehr aus ihrem Leben machen: Zuerst lebt sie ein Jahr als Au pair in Paris, dann studiert sie in München Germanistik und Romanistik.

„Wach auf und träume“ – dieser Titel dient ihr als Motto, verdeckte Lebensmuster im Schreiben sichtbar werden zu lassen. So sieht sie sich immer mit einem Bein im Milieu, mit dem anderen draußen. Tagsüber verstrickt in die akademische Begriffshuberei (die Magisterarbeit über Karl Valentin und die Sprache der psychisch Kranken bleibt ungeschrieben) nachts unterwegs, allein tanzend. Sie fühlt sich angesteckt vom Wir-Gefühl der Studentenbewegung, lernt in der Schauspielschule, in die sie eine Freundin begleitet, zufällig Rainer Werner Fassbinder kennen, und der erklärt sie spontan zu seinem zukünftigen Star.

Zufall oder Schicksal, „der Rainer“ lud sie in sein Improvisationstheater ein und drehte mit der skeptischen Eigenbrötlerin Film um Film, bis sie zehn Jahre später nach „Effi Briest“ aus der Gruppe ausstieg, weil der „verhexte Hexer“ sie als steife Puppe totinszeniert hatte. Reisen, wieder das Studium und ein Jahr als anthroposophische Theaterlehrerin folgten, bis sie in „Die Ehe der Maria Braun“, „Berlin Alexanderplatz“ und „Lili Marleen“ erneut mit Fassbinder zur Ikone seiner Geschichtsbilder wurde.

Schygulla spielte auch in Filmen von Godard, Scola, Wajda oder Branagh

Fassbinder starb 1982, seitdem geistert er auf ewig in Retrospektiven, Museen und Theaterrepertoires umher. Wie lebt es sich mit diesem Schatten, der Schygulla zum „Has been“ stempelt, obwohl „der Schöpfer“ sein widerborstiges „Geschöpf“ nach einem Gagenkonflikt zwei Jahre vor seinem Tod aus seinem Kosmos verstoßen hatte? War das „eine Andere“, die in Filmen von Godard, Carlos Saura, Ettore Scola, Marco Ferreri, Andrzej Wajda und Kenneth Branagh spielte, in Kuba an zwei Romanverfilmungen von Gabriel García Marquez beteiligt war und mit George Tabori auf der Bühne stand?

Hanna Schygulla spielte sich, nicht immer in den besten Filmen der Großregisseure, in anderen Kulturen, Sprachen und Schauspielstilen vom Image der Traumwandlerin frei. Knapp fallen ihre Erinnerungen an die Filme dieser Zeit aus, auch ihre Mutterrolle in Fatih Akins Film „Auf der anderen Seite“ von 2007 wird kaum erwähnt. „J'aime te voir vivre“, die Liebeserklärung ihres langjährigen Partners Jean-Claude Carrière, den sie als Drehbuchautor für Schlöndorffs „Die Fälschung“ kennenlernte, ist ein Schlüssel zu ihrem Lebensgefühl. Die Arbeit, das Mühen um Menschenkenntnis, soll Schauspieler zu besseren Menschen machen, nicht Menschen zu besseren Schauspielern, nahm sie aus Taboris „Mutter-Courage“-Proben mit. So entschied Schygulla für ein Jahrzehnt, ihr Leben zwischen Paris und dem letzten Zuhause der Eltern zu teilen, als beide hinfällig wurden.

Milde gestimmt, mit sich im Reinen, im vollen Bewusstsein des eigenen Alters nimmt Schygulla in ihrer Autobiografie alte Notizen zur Fassbinder-Ära heraus, schaut in den „Image-Karton“ mit knalligen „Stern“-Artikeln, lässt Begegnungen mit Marco Ferreri, Helmut Newton und anderen Revue passieren.

Hinter der säuselnden Schläfrigkeit ihrer Fassbinder-typischen Figuren war Hanna Schygulla immer eine hellwache, aktive, zuweilen offensive Frau, um befreiende Karrierebrüche nie verlegen. „Wach auf und träume“ montiert ein fließendes Selbstbild. Wie aus den Schnipseln eines komplex erzählten Films ergibt sich ihre schönste Hauptrolle: das Savoir vivre. Claudia Lenssen

Hanna Schygulla: Wach auf und träume. Verlag Schirmer/Mosel München 2013. 208 Seiten, 19,80 €

Claudia Lenssen

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