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Licht am Horizont. „Working Title“ haben nachhaltig schöne Sommermode aus Leinen entworfen.
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Berliner Mode: Working Title sind die Luxus-Ökos

Working Title ist ein Berliner Label, das Luxusmode neu definiert. Komplett ohne Plastik und handwerklich auf höchstem Niveau machen sie nachhaltige Kleidung.

Im Atelier des Berliner Labels „Working Title“ stehen immer noch unausgepackte Kisten mit zurückgesendeter Kommissionsware. „Antonia Goy“ steht darauf. Doch das Label „Antonia Goy“ gibt es nicht mehr, das Designerpaar Antonia Goy und Björn Kubeja hat sich Anfang 2018 als „Working Title“ neu erfunden. Die Kisten dienen als Mahnmal für das, was die Designer nicht mehr wollen.

Kleine Modelabels haben seit etwa zehn Jahren fast nur noch die Möglichkeit, in den wichtigen Läden und Kaufhäusern zu hängen, wenn sie das Risiko selbst tragen und ihre Entwürfe auf Kommission verkaufen. Das bedeutet, dass sie ihre nicht verkaufte Ware wieder zurücknehmen. Die Designer sitzen auf den Kosten und der Ware. Die Überproduktion weltweit in der Textilbranche ist ein Riesenproblem.

2017 befanden sich Antonia Goy und Björn Kubeja in ihrer Mode-Midlife-Crisis, dabei lief es eigentlich gut. Sie waren lange Jahre selbstständig im Geschäft, verkauften im eigenen Berliner Laden ihre oft vielschichtige und meist farbenfrohe Mode gut. Und sie hatten die Aufmerksamkeit und Unterstützung von Christiane Arp, der Chefredakteurin der deutschen Vogue, die sie in den prestigeträchtigen Vogue-Salon der Berliner Fashion Week einlud, wo die beiden im Januar 2017 nach elf Jahren ihre erste Modenschau zeigten.

Goy und Kubeja zogen die Notbremse

Die war zwar so erfolgreich, dass Arp sie in der nächsten Saison wieder einlud – aber kommerziell ohne den gewünschten Erfolg. Goy und Kubeja zogen die Notbremse. In einem atemberaubenden Prozess entschieden sie innerhalb eines Monats, das Label „Antonia Goy“ dichtzumachen und von vorn anzufangen. Das neue Projekt sollte zeitgemäß sein und sich gleichzeitig gut vermarkten lassen, auch international. „Plastikfrei“ sollte es sein, so brachte es Björn Kubeja schließlich auf den Punkt. Keine Kunstfasern, Bügelvlies, geklebte Nähte und Reißverschlüsse, stattdessen luxuriöse Naturstoffe und individuelle, neue Schnitttechniken. „Was, ihr macht jetzt Öko-Mode?“, war die entsetzte Reaktion der Vogue-Chefin, wie Antonia Goy heute lachend zum Besten gibt. Mit einem Mantel aus feinster Wolle, bei dem sie auf das Futter verzichteten und raffiniert mit einer braunkarierten Stoffseite außen und einer rotgestreiften innen spielten, konnten sie ihre Mentorin von dem Neustart überzeugen.

 „Working Title“ mag Mustermix.
„Working Title“ mag Mustermix.
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Das bedeutete aber auch, dass es keinerlei Verschnaufpause für die neuen Herausforderungen gab. Denn die Designer wollen kein Schneideratelier führen, sondern Mode machen, die industriell fertigbar ist. Also alles neu: neue Zulieferer, neue Techniken, häufig neue Produzenten, da die alten die Neuausrichtung oft nicht mitgehen konnten und wollten. Der Umstellungsprozess ist ein Jahr später noch in vollem Gange. „Working Title“, der haftengebliebene Arbeitstitel der Umbruchszeit, beschreibt sehr schön, dass sich die beiden noch auf dem Weg befinden.

Ihre ersten drei Kollektionen strahlen dennoch Selbstsicherheit aus. Schwere Wollstoffe mit skulpturaler Qualität bedürfen keiner geklebten Einlagen. Bio-Seide, für die keine Raupe sterben musste, fließt zwischen den klaren Linien. Die perfekten Nähte aus Seiden- und Baumwollgarn schimmern, und die kontrastreich gefassten Nahtzugaben, die für ein schönes Innenleben sorgen, verführen dazu, Jacken und Mäntel einmal auf links zu tragen. Dagegen setzt „Working Title“ ein Spiel mit losen Fäden bei den Strickwaren, offenen Kanten und kontrastierenden Flicken. Irritationsflächen, für die zuletzt die Malerei von Oskar Schiele als Inspiration diente. Björn Kubejas Leidenschaft für den klaren Strich zeigt sich in grafischen Drucken, der Umsetzung von Mustern alter Krawatten für Blusenstoffe oder in Lederelementen, die Sommerkleider vor zu viel Lieblichkeit bewahren.

Berlin ist für ihr Luxus-Konzept ein hartes Pflaster

Goy und Kubeja machen es sich nicht leicht. Um die Langlebigkeit ihrer Entwürfe zu fördern, experimentieren sie mit einer Ästhetik, die von Saison zu Saison Neues bietet, deren Elemente sich aber immer wieder aufeinander beziehen. So besteht die Möglichkeit, nach und nach eine harmonische Garderobe aufzubauen. An ihre hohen Standards halten sie sich, koste es was es wolle, auch wenn ihre Luxusmode noch einmal etwas teurer geworden ist.

Berlin ist für dieses Konzept ein hartes Pflaster. „Man kann hier ein komplett neues Konzept stricken und zu Ende denken“, sagt Goy. „Aber Berlin ist halt vergleichsweise arm“ holt Kubeja den schönen Gedanken zurück auf den Boden.

Nach Präsentationen in Berlin, London und Paris mit viel positivem Feedback und bisher wenig kommerziellem Erfolg lassen sie nun einen Testballon im reichen Düsseldorf steigen. Auf Einladung einer Galeristin wird „Working Title“ seine Kollektion deren betuchtem Freundeskreis vorstellen und auf zahlreiche Bestellungen hoffen. Das passt, denn erfolgreiche Galeristinnen und deren Rechtsanwältinnen sehen Goy und Kubeja als ihre Zielgruppe. Zu dem „Private Pre-Sale“ werden auch professionelle Einkäufer kommen. Nach anfänglichen Bedenken, dass diese empfindlich auf den Direktverkauf reagieren könnten, hoffen Goy und Kubeja darauf, dass die Begegnung zwischen Designern, Kunden und niedergelassenen Händlern dazu führt, das angespannte Verhältnis zum kränkelnden Einzelhandel zu entspannen und ganz neue gemeinsame Wege zu finden, Überproduktionen zu minimieren.

Die Unterstützung durch den Fashion Council kommt zum richtigen Zeitpunkt

Unterstützt und bestärkt werden sie auf diesen neuen Wegen vom „German Sustain Concept“, dem zweijährigen Coaching-Programm des Fashion Council Germany, das nachhaltige deutsche Modelabels langfristig auf dem Markt etablieren soll. Die Berater sind davon begeistert, mit dem Designerpaar neue PR-Strategien und Vertriebsformen testen zu können. Antonia Goy und Björn Kubeja sind glücklich, dass diese Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt kommt. Auch wenn „Working Title“ ein noch junges und experimentierfreudiges Label ist, sind die beiden lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie nicht ewig Zeit haben. „In den zwei Jahren des Coachings muss das Projekt abheben“, sagt Kubeja und spielt etwas nervös mit einer Rolle Paketband auf der noch der alte Name „Antonia Goy“ steht. Sollte es jetzt richtig losgehen, muss er sich als Nächstes um eine plastikfreie Alternative kümmern.

Ingolf Patz

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