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Auf dem Toi-Markt in Kenias Hauptstadt Nairobi werden Altkleider aus Europa verkauft. 100 000 Menschen leben dort vom Altkleiderhandel.
© picture alliance / dpa

Altkleidersammeln: Wohin nur mit den Lumpen?

Die Altkleiderberge wachsen und die Qualität ist so schlecht, dass eine Lösung her muss. In Holland steht eine Maschine, die helfen soll.

Es ist einfach zu viel. Die Welle rollt schon lange, aber seit einem Jahr ist ein Tsunami daraus geworden. Die Masse an Altkleidern hat so sehr zugenommen, dass es in Deutschland nicht mehr reicht, die Container einmal in der Woche zu leeren. Normalerweise wird Kleidung vor allem im Frühjahr und Herbst aussortiert. Warum das seit 2018 so anders geworden ist, kann Thomas Ahlmann vom Dachverband Fairwertung ziemlich genau sagen. Darin haben sich mehr als 130 gemeinnützige Organisationen zusammengeschlossen, die über das Sammeln und Verkaufen von Altkleidern Spenden generieren. „Die Qualität der Spenden nimmt immer mehr ab, weil Textilien so billig gekauft und dann schneller entsorgt werden“, sagt Ahlmann. Zehn Kilo kauft jeder Deutsche im Jahr, rund 1,3 Millionen Tonnen Altkleider wurden 2016 gesammelt.

Die Qualität der Altkleider wird immer schlechter

Wenn Mode zu Müll wird, landet sie in den Niederlanden mit ziemlich großer Sicherheit bei Hans Wieland. Seine Firma vor den Toren von Amsterdam gehört zu den Top Five der niederländischen Altkleidersammler. Seit 60 Jahren werden bei Wieland Altkleider sortiert. Dass die Menge in den vergangenen Jahren um das Dreifache auf 200 Tonnen in der Woche stiegen ist, macht Hans Wieland nicht etwa glücklich, denn er macht sich Sorgen, wie lange sich sein Geschäft noch lohnt. Er lebt davon, Kleidung weiterzuverkaufen. Aber die Qualität ist inzwischen so schlecht, dass in Holland nur noch 50 Prozent dafür infrage kommen, 35 Prozent werden zu Putzlappen, Dachpappen oder Abdeckungen für Autos verarbeitet. 15 Prozent sind Müll und werden verbrannt.

Wieland kann klar einen Hauptschuldigen benennen: die Fast-Fashion-Industrie. Da ist er sich mit Studien von Greenpeace bis McKinsey einig: Billigkleider sind zu einem riesengroßen Problem geworden, nicht nur bei der Herstellung, sondern auch am Ende der Verwertungskette. Eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting rechnet vor, dass der Müll, der durch die Modeindustrie verursacht wird, bis 2030 weltweit um 60 Prozent steigen wird. Das liegt vor allem am wachsenden Verbrauch in Ländern wie Indien und China. Alle sind sich einig: So geht es nicht weiter.

Bei Hans Wieland steht jetzt eine Maschine, die das Problem lösen soll. Alles fing mit einem Besuch des Deutschen Michael Braungart an. Der Chemiker hat das Cradle-to-Cradle-Konzept entwickelt, ein Kreislaufsystem, in dem jedes Material wiederverwertbar sein soll. Braungart ist so etwas wie ein Messias für Wieland. Endlich einer, der ihm zeigt, wie sein Geschäft eine Zukunft haben kann! Wieland will vom Altkleidersammler zum Rohstofflieferanten werden, denn die werden, weil die Mengen immer größer werden, immer knapper. Braungart wollte aus T-Shirts Garn machen und aus alten Jeans neue, das hat aber nicht funktioniert: Das Material war einfach zu schlecht.

Alle unsere Kleider. In dieser Halle von Hans Wieland werden die Altkleider für Osteuropa verpackt.
Alle unsere Kleider. In dieser Halle von Hans Wieland werden die Altkleider für Osteuropa verpackt.
© Grit Thönnissen

Also nahm Hans Wieland einen zweiten Anlauf und wird jetzt von der niederländischen Regierung und der EU beim Projekt „Fibersort“ unterstützt. Der Altkleiderhändler hat erkannt, dass es einen enormen Bedarf an Fasern gibt, aus denen neue Kleider gemacht werden können. Aber bevor er die Zukunft präsentiert, will er erst einmal zeigen, womit er jetzt sein Geld verdient. Vor einem großen Tor warten zwei Lastwagen darauf, ihre Fracht loszuwerden. Die Altkleidersäcke werden in große Container gefüllt, Wielands Sohn hilft mit einem kleinen Schaufelbagger.

Diese Kleidung ist erbarmungswürdig

Bis zur Decke türmen sich in der Halle Säcke mit Kleidern in großen Gitterboxen – und das sind nur die, die in einer Woche in Amsterdam gesammelt werden. All diese Kleidung, lieblos in Müllbeutel gestopft, ist erbarmungswürdig. Immer wieder liegt etwas im Weg, das aus einem der Säcke gefallen, vom Gabelstapler gerutscht ist, eine einzelne Sandale, ein verdrehter BH. Diese Kleidung wurde getragen, darin wurde gelebt. Und man sieht: Es sind oft Dinge, die keinen besonderen Wert haben – billige Fasern, ausgeleiert, schlecht behandelt. Vieles ist lange aus der Mode wie die beigefarbene Strickjacke mit den angeschlagenen goldenen Knöpfen; vielleicht aus einem Altersheim.

Eine Halle weiter werden die Säcke von Frauen und ein paar Männern in verschiedene Metallbehälter geworfen, je nach Zustand und Kategorie. Die Masse ist viel zu groß, um dem einzelnen Kleidungsstück mehr als einen flüchtigen Blick zu widmen. Wichtig ist allein: Kann das noch jemand anziehen und lebt derjenige in Osteuropa, Afrika oder, wenn etwas arg ramponiert ist, in Pakistan? Dort landet, nach diesen Kategorien sortiert, die Kleidung, die gerade noch tragbar ist.

Hier werden all die Säcke mit Altkleidern gestapelt, die innerhalb von einer Woche in Amsterdam gesammelt werden.
Hier werden all die Säcke mit Altkleidern gestapelt, die innerhalb von einer Woche in Amsterdam gesammelt werden.
© Grit Thönnissen

Hans Wieland will Geld verdienen. Er wird wütend, wenn er sich anhören muss, dass das Geschäft mit Afrika nicht ethisch sei. Er glaubt nicht daran, dass er mit seinen Altkleidern eine Modeindustrie in Afrika verhindert oder zerstört. Er schimpft auf chinesische Investoren, die ihm das Geschäft kaputt machen wollen, weil sie neue, billige Kleider in Afrika produzieren und verkaufen.

An Containern, gefüllt mit gepressten Ballen aus Pullovern, T-Shirts und BHs für Kenia, vorbei führt Wieland seine Besucher zum „Labor der Zukunft“, zu seiner neuen Maschine, die alles verändern soll, ein langes Gestell aus Metall mit einem Laufband. Eine Mitarbeiterin wirft einen Pullover darauf, ein Computer scannt das Material und sortiert ihn in eine der 17 Boxen. Auf dem Computerbildschirm kann man an den unterschiedlich langen Balken genau erkennen, wie die Mischung eines Kleidungsstücks ausfällt. Was Wieland gleich noch mal zeigen will: Die Modeindustrie ist auch hier nicht ehrlich, die Mischung ist oft anders als im Etikett angeben. Sein Computer kennt kein Pardon, angeblich reine Baumwolle wirft die Maschine in den Behälter mit der Polyestermischung. Später soll die Kleidung recycelt werden. Noch hat die Maschine Laborcharakter und wird nur angeworfen, wenn Besuch kommt. Aber sie ist der zaghafte Beginn, aus einer linearen Industrie, an deren Anfang und Ende eine Menge Dreck produziert wird, einen Kreislauf zu machen.

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